Mühsam erhob er sich. Giovanni de Medici, der an Galeottos Bett kniete und hemmungslos weinte, schaute zu ihm auf. Julius legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: »Du musst jetzt sehr stark sein, mein Sohn!« Dann segnet er ihn und verließ den Raum. Auf dem Flur verfügte er, seinen Neffen in der Sixtinischen Kapelle aufzubahren. Eine größere Ehre konnte man niemandem erweisen.
In Santa Maria della Pace fragte der Priester am Ende der Taufe: »Glaubst du an den Heiligen Geist, an die heilige Kirche und an die Auferstehung des Fleisches?«
Und für den Täufling sprach Antonio: »Ich glaube.«
Nachdem der Papst in der Sixtina die Totenmesse für seinen Neffen gelesen hatte, teilte er Bramante mit, dass er die Decke nun endlich ausmalen lassen wolle. Zum Ruhme des Hauses della Rovere, zum Andenken an Galeotto und zur Verherrlichung Gottes. Dann neigte er sich zu dem Architekten und fragte ihn flüsternd: »Fällt dir ein geeigneter Maler dafür ein?«
»Ich könnte …«, setzte Bramante zögernd an, doch der Pontifex unterbrach ihn schroff.
»Du bring lieber den Petersdom zu Ende!«
»Verzeiht, Heiliger Vater, ich meine, ich könnte mir einen jungen Maler vorstellen, dem ganz Florenz zu Füßen liegt!«
Julius sah ihn kurz an, dann entschied er: »Gut, lass ihn kommen. Wir wollen ihn Uns ansehen!«
45
Rom, Anno Domini 1508
Mit einer Kutsche kehrten Michelangelo und Francesco nach Rom zurück. Die Stadt empfing sie mit einem verschwenderischen Blütenmeer. Der Frühling hatte sich inzwischen als Sommer verkleidet. Nach zwei Jahren Abwesenheit, die mit einer Flucht begonnen hatte, freute sich Michelangelo darauf, seine Arbeit in der Ewigen Stadt wieder aufzunehmen, denn eines hatte ihm seine Heimatstadt Florenz drastisch vor Augen geführt: Nur in Rom konnte er der größte Künstler der Welt werden. Und sehr viel Geld verdienen, weil im Vatikan ausschließlich fremdes Geld ausgegeben wurde, das als Abgaben aus der ganzen Welt hier eintraf, und man mit fremden Finanzen spendabler umging als mit eigenen. Die Stadt am Arno blieb hinter der rasanten Entwicklung der Tibermetropole merklich zurück. Florenz sank im gleichen Maße, in dem Rom zum Mittelpunkt der Welt aufstieg, zur Provinz herab.
Sicher, für Michelangelo war noch nicht alles eitel Sonnenschein. Er musste sich seinen alten Stand erst noch zurückerobern, den er durch seine trotzige Flucht eingebüßt hatte. Doch er würde sich hier, im Zentrum, durchsetzen müssen und nicht an der Peripherie. Zwar hatte Michelangelo für den Papst ein riesiges Reiterstandbild aus Bronze geschaffen, das die aufrührerische Stadt Bologna immer daran erinnern sollte, wer ihr Herr war, aber er wusste nur zu gut, dass er noch unter Bewährung stand. Durch seine überstürzte Flucht hatte er den Papst herausgefordert, und Julius hatte nicht nur darauf verzichtet, ihn zu vernichten, sondern ihn in Gnade wieder aufgenommen und ihm Aufträge erteilt. Das war bei Weitem mehr, als er wünschen und hoffen durfte.
Als Erstes musste Michelangelo ein Haus finden, das groß genug war, um auch seine Werkstatt aufzunehmen, und das zudem so gut wie nichts kostete. Selbst spottbillige Häuschen in Regola, Sant’Angelo oder Trastevere hatte er abgelehnt. Glücklicherweise fand er im Hause des noch als Legat in Bologna weilenden Kardinals Alidosi Unterkunft, während er weiter auf der Suche nach einer neuen Bleibe war. Francesco taten die Beine weh von den vielen Besichtigungen, und ihm schwirrte der Kopf von den diversen Verhandlungen, die sie mit den Hauseigentümern geführt hatten. Der Diener hatte schon die Hoffnung aufgegeben, dass sie bei Michelangelos Preisvorstellungen ein Haus finden würden, als Michelangelo ihn vergnügt aufforderte zu packen. Ein geräumiges Haus mit einer Werkstatt würde auf sie warten, erklärte er.
Das geräumige Haus erwies sich indes als eine ärmliche, zweigeschossige Hütte in der wilden Gegend zwischen dem Trajansforum und dem Quirinal, die man Macello dei Corvi – Rabennest – nannte und inmitten der Altertümer aus dem antiken Rom lag, der Ruinen des Kolosseums, der Triumphbögen, der zerfallenen und wie Stümpfe aus der Erde ragenden Tempel – stumme Mahnungen der Vergänglichkeit. Allerlei zwielichtiges Gesindel, Auftragsmörder, Zuhälter, Diebe, Falschspieler hausten in der Nacht dort, wo am Tage die Bauern ihre Ziegen, Schafe und Kühe weideten.
Michelangelos kleines Haus zwängte sich zwischen die Mauerreste des alten Forums. Francesco hielt sich die Nase zu, denn es stank entsetzlich. Die Metzger, die hier zahlreich ansässig waren, warfen die Abfälle einfach auf die Straße, aber auch modernde Fischköpfe und faulige Kohlstrünke fanden sich reichlich auf der Gasse. Sie betraten das düstere Haus, Francesco beklommen, Michelangelo frohen Mutes. Im Erdgeschoss wollte er seine Werkstatt einrichten und unmittelbar darüber die Wohnräume. So würde er, auch wenn er sich nicht in der Werkstatt, sondern in seinen Privaträumen aufhielt oder schlief, immer mitten im Lärm der Kunst leben. Er würde stets in der Nähe sein, wenn seine Gesellen Farben anrührten und die Mitarbeiter Skulpturen fertigstellten, die er selbst begonnen und in ihrer Ausführung vorgegeben hatte. Michelangelo konnte es seinem Diener an der Nasenspitze ansehen, wie sehr dieser sich nach der alten Wohnung im Borgo zurücksehnte. Der Künstler tätschelte seinem treuen Begleiter die Schulter und sagte ihm aufmunternd, dass es vielleicht kein Palazzo sei, aber immerhin eine ganz ordentliche Unterkunft.
Persönlich überwachte er die Einrichtung der Werkstatt und den Transport des Marmors. Francesco wiederum kümmerte sich um die Gestaltung des Wohnbereiches – so gut es eben ging, bei dem wenigen Geld, das ihn Michelangelo dafür zur Verfügung stellte. Er konnte noch so sparsam wirtschaften, sein Meister nannte ihn dennoch einen Verschwender, aber daran war er inzwischen gewöhnt.
Seit seiner Rückkehr nach Rom konnte es Michelangelo kaum erwarten, die Arbeit an dem Grabmal für Julius II. fortzusetzen. Als ihn an einem Morgen ein Bote dringend zum Papst rief, machte er sich sogleich auf den Weg. Er bestieg den Maulesel, den er sich zugelegt hatte, und ritt zum Campo dei Fiori, weiter nach Nordwesten zum Tiber, überquerte den Ponte Sisto, und trabte die Straße entlang, die zwischen Gärten und kleinen Sommervillen von Trastevere zum Borgo führte. Neugierig warf er einen Blick auf den großen Palazzo, der linker Hand zum Tiber hin entstand, und erreichte eine halbe Stunde später den Vatikan. Es wunderte ihn nicht wenig, dass man ihn sogleich in die Sixtinische Kapelle führte.
Von Egidio da Viterbo, Giacomo Catalano und Bramante umringt, stand der Papst mitten in der Kapelle. Als er den Bildhauer sah, winkte er ihn zu sich und zeigte mit den Fingern zur Decke. »Gefällt sie dir?«
»Nein«, antwortete Michelangelo. »Der Sternenhimmel ist nichtssagend. Außerdem wird er von den vorgenommenen Reparaturen noch zusätzlich verunstaltet.«
»So ist es«, sagte Julius II. und nickte. »Und deshalb sollst du die Decke ausmalen!«
»Aber Messèr Michelangelo ist Bildhauer, kein Maler! Er hat keine Erfahrung im Freskieren«, protestierte Bramante, dem man die Bestürzung ansah. Offensichtlich hatte der Architekt etwas anderes mit dem Papst besprochen und war nun von Julius überrumpelt worden, dachte Michelangelo nicht ohne Schadenfreude.
»Wer sollte es deiner Meinung nach dann machen?«, erkundigte sich Julius.
»Ich habe in Florenz die Arbeiten eines jungen Malers gesehen, der trotz seiner großen Jugend über größere Erfahrung in der Wandmalerei verfügt.«