Выбрать главу

»Und wirst du Uns den Namen des Wunderkindes verraten?«

»Raffael aus Urbino.«

Der Stellvertreter Christi legte die Hand an die Wange und dachte nach. Michelangelo wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Er fühlte sich hin- und hergerissen. Einerseits wünschte er sich nichts sehnlicher, als das Mausoleum fortzusetzen, und in der Tat verfügte er über wenig Erfahrung in der Wandmalerei – da musste er dem Rivalen leider recht geben. Doch wenn er den Wunsch des Papstes ausschlüge, würde er sich die Gunst des mächtigen Mannes womöglich endgültig verscherzen. Andererseits durfte er auch Bramante nicht gewähren lassen, der versuchte, den Vorschlag des Papstes zu zerpflücken.

Auch wenn sich Bramantes Interessen in diesem Ausnahmefall mit den seinen deckten, verspürte er alles andere als das Bedürfnis, sich mit diesem Kerl zu verbünden, der ihn nicht nur mit Intrigen überzogen hatte, sondern auch absolut rücksichtslos mit der alten Basilika von Sankt Peter umging. Gleich nach seiner Ankunft in Rom hatte er sich die Abrissarbeiten angesehen. Sie hatten ihn angewidert, wenngleich er dem gigantischen Bau der Vierung Respekt zollen musste, vor allem dem Mut, der dahintersteckte.

»Und, was sagst du dazu?«, fragte Julius den Bildhauer ungeduldig.

Michelangelo richtete seinen Blick noch einmal zur Decke des Gewölbes und vernahm plötzlich die Stimme Contessinas, die ihn bat, die Kuppel des Himmels für sie zu errichten. Als sei es gestern gewesen, sah er sie wieder vor sich, ihren Abschied im Florentiner Dom, den Abschied von ihrer Liebe. Eine Kuppel würde er ihr nicht bauen können – die schuf gerade sein Feind Bramante –, aber einen Himmel konnte er für seine Liebe hervorbringen!

Seit der Architekt die alte Kirche im Bereich des Petrusgrabes abreißen ließ, wurden die Hochämter nicht mehr dort, sondern in der Sixtinischen Kapelle gefeiert. Von Sixtus IV., dem hochverehrten Onkel des Papstes, errichtet, war die Sixtina zum Hauptandachtsort von Julius II. geworden. Michelangelo wurde bewusst, dass er mitten im geistigen und mystischen Zentrum der Macht des Stellvertreters Christi stand. Er sank unwillkürlich so rasch vor dem Papst auf die Knie, dass ihm das schwarze Haar ins Gesicht fiel. »Wenn Ihr mit dem Mausoleum warten könnt, Heiliger Vater, dann nehme ich Euren Auftrag dankbar an!«

Der Papst klatschte vor Freude in die Hände.

»Und Raffael? Heiliger Vater, Ihr solltet Euch dieses Talent nicht entgehen lassen!«, warf Bramante resigniert ein.

»Das haben Wir auch nicht vor. Er soll die neuen Gemächer im Palazzo ausmalen.«

Michelangelo spürte die Absicht und den Seitenhieb. Zwar bekam er den prestigeträchtigen Auftrag, doch hatte Julius ihm einen gefährlichen Konkurrenten in den Nacken gesetzt. Wenn sie beide gleichzeitig im Vatikan arbeiteten, lief das auf einen Wettkampf zwischen beiden Künstlern hinaus, der erbittert geführt werden würde.

»Was werdet Ihr denn malen, wenn ich fragen darf?« Bramante kniff listig die Augen zusammen.

»Die Liebe.«

»Die Liebe?«

»Die Liebe, die von Gott kommt und die wir die Schöpfung nennen«, antwortete Michelangelo feierlich. Der skeptische Blick des Papstes und das Grinsen des Architekten zeigten ihm, dass er in seiner Arglosigkeit einen Fehler gemacht hatte. Er spürte, dass er seinen Einfall verteidigen musste, unterließ es aber in Ermangelung einer Idee.

»Großartig! Einfach großartig! Michelangelo, Ihr seid göttlich!«, rief zum Erstaunen aller Egidio da Viterbo aus. Er breitete theatralisch die Arme aus und wartete, bis er die Aufmerksamkeit der Anwesenden genoss. »Heißt es nicht, der Papst sei ein Kriegspapst, heißt es nicht, Heiliger Vater, Euch fehle zu einer würdigen Amtsführung die Liebe? Ja, die Liebe, die Macht der Liebe, wie sie sich in der Schöpfung ausdrückt, die Ihr, Eure Heiligkeit, als Nachfolger Petri und Stellvertreter Christi zu beschützen habt.«

Michelangelo staunte über die Klugheit des Augustiner-Eremiten. Bramantes langem Gesicht sah er an, dass er ihm nicht zu widersprechen wagte. Wie hätte der Bildhauer auch ahnen können, dass Egidio dem Architekten in höchster Not beistand? »Heiliger Vater«, fuhr Egidio fort, »ich erinnere Euch an die Predigt, die Euer großer Onkel Sixtus IV. noch als Francesco della Rovere, als junger Franziskanerbruder, dem Bischof von Padua, Fantino Dandolo, 1448 geschrieben hat. Es ging dabei um das Buch über die ›Concordia Novi ac Veteris Testamenti‹.«

Das Gesicht des Papstes entspannte sich. Seine Züge wurden wieder weicher, und seine Augen blickten fast zärtlich. »Wurde das Werk des Abtes Joachim von Fiore nicht vom vierten Laterankonzil wegen seiner falschen Dreifaltigkeitslehre verurteilt und als häretisch eingestuft?«, warf Giacomo, der bis jetzt geschwiegen hatte, in scharfem Ton ein.

»Geh, Giacomo, raus mit dir! Ich kann dich nicht mehr sehen! Ich habe dich satt! Deine ständigen Angriffe, deine Verdächtigungen. Manchmal frage ich mich, ob du ein Christ bist. Mir aus den Augen! Aus den Augen!«, schrie Julius II., der hochrot im Gesicht angelaufen war. Es fehlte nicht viel, und er hätte den Mönch geschlagen. Seinen Onkel mit einer Häresie in Verbindung zu bringen, das ging entschieden zu weit, das empfand er als Angriff auf sich selbst. Der Dominikaner, wahrlich kein feiger Mann, zog in seiner Überraschung den Kopf ein und wollte die Hand des Papstes küssen, der sie ihm aber nicht reichte, sondern ihn nur noch einmal anfunkelte. Betroffen fiel er auf die Knie, küsste die Pantoffeln des Papstes und verließ, rückwärtsgehend und sich vor dem Pontifex verneigend, die Kapelle. So sah es das Protokoll vor, doch Julius II. verzichtete zumeist darauf, weil die Zeremonie ihm zu viel Zeit raubte.

Ein kurzes Schweigen folgte. Michelangelo tat Giacomo leid, weil seine hohen Prinzipien ihm einen jähen Sturz eingetragen hatten. Aber es war töricht gewesen, den geliebten Onkel des Papstes in den Verdacht der Ketzerei zu bringen. Egidio kämpfte damit, seine Freude zu verbergen, während Bramante ihr, seiner Miene nach zu urteilen, freien Lauf ließ.

»Jeder, der die Geschichte kennt«, hob der Augustiner-Eremit erneut an, »der weiß, dass die Verurteilung auf einem Missverständnis beruhte. Im Übrigen steht jenes Buch, das von Jesu Vorfahren, also auch von Euren Vorfahren, Heiliger Vater, handelt, außerhalb jeden Verdachts. Die Herrlichkeit von Gottes Schöpfung wollen wir in dem großen Bild entfalten!«, schloss er ergriffen.

»Tut das. Du wirst auf der Grundlage der Predigt Unseres lieben Onkels und der weisen Schrift des Joachim von Fiore gemeinsam mit Michelangelo das Bildprogramm entwerfen und Uns vorlegen. Wenn es Uns gut dünkt, wird Michelangelo es umsetzen.«

Ein knappes Jahr später waren die von Michelangelo und Egidio erarbeiteten Vorschläge genehmigt, alle Vorbereitungen abgeschlossen, die Vorlagekartons hergestellt und die Gerüste für das Malen unter der Decke errichtet.

Rom, Anno Domini 1510

Ein weiteres Jahr der Vorbereitungen verging, dann begann Michelangelo endlich mit den Arbeiten an der Decke der Sixtinischen Kapelle. Er hatte Maler aus Florenz kommen lassen, darunter auch alte Freunde wie Francesco Granacci. Doch bald schon störten sie ihn. Sie arbeiteten nicht schnell genug, nicht gut genug und verlangten für seine Begriffe obendrein zu viel Geld. Der Maler hatte angewiesen, dass niemand, auch der Papst nicht, sich die entstehenden Bilder ansehen dürfe, bevor sie fertig wären.

Eines Abends, als er noch einmal in die Kapelle kam, ertappte er ein paar Kardinäle, die auf den Leitern standen und die entstehenden Fresken begutachteten. Offenbar hatten sich die Gesellen bestechen lassen und diese Besichtigung ermöglicht. Als hätte das nicht ausgereicht, um seinen maßlosen Zorn zu wecken, erschrak Michelangelo bis ins Mark, als er den Zustand der Bilder sah. Sie blühten. Die Wände blühten! Durch die Feuchtigkeit und die Kälte trat Kalk aus dem Mauerwerk, der seine Arbeit vernichtete. In seiner Wut rüttelte er an den Leitern, in dem Bestreben, sie samt der Kirchenfürsten umzustürzen. Behände wie Käfer kletterten die Prälaten herunter und flohen aus der Kapelle, angetrieben von den Brettern, die der Maler nach ihnen warf. Dann prügelte er die Gesellen hinaus und entließ sie auf der Stelle. Wut hatte ihn erfasst, die ihn nicht zum Nachdenken kommen ließ.