Der graue Opel war nirgends mehr zu sehen. Robert zog die Kreditkarte aus seiner Geldbörse, um sie zu untersuchen. Sie war etwas dicker und steifer als eine gewöhnliche Kreditkarte und enthielt eine ertastbare Innenschicht. Vermutlich wurde sie ferngesteuert aktiviert. Gut, dachte Robert, dann wollen wir den Kerlen mal was zu tun geben.
Entlang der Straße parkten mehrere Lastwagen, die Waren aus- oder einluden. Robert achtete im Vorbeigehen auf die Kennzeichen. Als er zu einem französischen Lastwagen kam, stellte er mit einem raschen Blick in die Runde fest, daß er nicht beobachtet wurde, und warf die Kreditkarte nach hinten in den Laderaum.
Dann hielt er ein Taxi an.»Hassler, per favore.«
In der Hotelhalle trat Robert an die Reception.»Sehen Sie bitte nach, ob heute abend noch ein Flug nach Paris geht?«
«Sofort, Commander.«
«Danke. «Robert wandte sich an den Portier.»Bitte meinen Schlüssel. Zimmer 314. Und ich reise in ein paar Minuten ab.«
«Wie Sie wünschen, Commander. «Der Portier griff in Fach 314 und holte den Schlüssel und einen Umschlag heraus.»Dieser Brief ist für Sie abgegeben worden.«
Robert griff zögernd danach. Auf dem zugeklebten Umschlag stand nur sein Name: Commander Robert Bellamy. Er tastete ihn nach Metall oder Plastiksprengstoff ab. Dann riß er ihn vorsichtig auf. Der Briefumschlag enthielt lediglich die Werbepostkarte eines römischen Restaurants. Eigentlich war er ganz harmlos — bis auf seinen Namen auf dem Umschlag.
«Wissen Sie zufällig noch, wer Ihnen das gegeben hat?«
«Tut mir leid«, entschuldigte sich der Portier,»aber wir haben heute abend soviel Betrieb gehabt…«
Das war nicht weiter wichtig. Der Mann hatte bestimmt ein Durchschnittsgesicht gehabt. Er hatte die Karte in dem Briefumschlag an der Reception abgegeben und gewartet, um zu sehen, in welches Fach er gelegt wurde. Jetzt würde er oben in Zimmer 314 auf Robert warten. Es wurde Zeit, dem Feind ins Gesicht zu sehen.
Robert hörte unbekümmert lärmende Stimmen, drehte sich um und sah die Shriner, denen er zuvor begegnet war, lachend und singend in die Hotelhalle kommen. Sie hatten sich offensichtlich noch ein paar Drinks genehmigt. Der rotgesichtige Stiernackige rief Robert zu:»Hallo, Kumpel! Sie haben ‘ne Riesenparty verpaßt.«
Roberts Verstand arbeitete auf Hochtouren.»Ihr geht wohl gern auf Parties?«
«Ho-ho!«
«Oben bei mir steigt gleich eine«, behauptete Robert Bellamy.»Drinks. Mädchen… was ihr wollt! Kommt einfach mit, Jungs.«
«So spricht ‘n echter Amerikaner, Kumpel. «Der stiernackige Shriner schlug Robert auf den Rücken.»Habt ihr das gehört, Jungs? Unser Freund hier gibt ‘ne Party!«
Sie zwängten sich gemeinsam in den Lift und fuhren in den dritten Stock hinauf.
«Diese Italiener versteh’n was vom süßen Leben«, sagte der Shriner unterwegs.»Aber schließlich haben sie die Orgien erfunden, stimmt’s?«
«Bei mir erlebt ihr ‘ne richtige Orgie«, versprach Robert ihm.
Sie polterten den Flur entlang hinter Robert her zu Zimmer 314. Er steckte den Schlüssel ins Schloß und drehte sich nach der Gruppe um.»Okay, kann der Spaß losgehen?«
Allgemeine lärmende Zustimmung.
Robert drehte den Schlüssel um, stieß die Tür auf und trat zur Seite. Das Zimmer war dunkel. Er knipste das Licht an. Vor dem Bett stand ein hagerer Fremder, der eine mit einem Schalldämpfer ausgerüstete Mauser in der Hand hielt. Der Mann starrte die Gruppe verblüfft an und schob die Pistole dann hastig wieder unter seine Jacke.
«Hey, wo ist der Schnaps?«fragte einer der Freimaurer.
Robert deutete auf den Unbekannten.»Er hat ihn. Das ist euer Mann!«
Die Shriner umringten den Hageren.»Wo bleiben die Drinks, Kumpel?… Wo sind die Mädchen?… Wann geht’s los mit der Party?«
Der Hagere versuchte, zu Robert vorzudringen, aber die angeheiterten Amerikaner versperrten ihm den Weg. Er konnte nur hilflos zusehen, wie Robert nach draußen verschwand.
Unten in der Hotelhalle rannte Robert gerade zum Ausgang, als der junge Mann an der Reception ihm nachrief:»Commander Bellamy! Ich habe Ihren Flug bei der Air France gebucht: Flug 212 um ein Uhr morgens.«
«Danke«, sagte Robert hastig.
Dann war er zur Tür hinaus und stand auf dem kleinen Platz oberhalb der Spanischen Treppe. Ein Taxi setzte eben seinen Fahrgast ab. Robert Bellamy stieg ein.»Piazza Farnese.«
Robert wußte jetzt, womit er zu rechnen hatte. Er sollte liquidiert werden. Er war vom Jäger zum Gejagten geworden, aber er hatte einen großen Vorteiclass="underline" Sie hatten ihn gut ausgebildet. Er kannte alle ihre Methoden, ihre Stärken und ihre Schwächen — und er würde sein Wissen nutzen, um zu überleben.
Als erstes mußte er es schaffen, die Verfolger irgendwie von seiner Fährte abzubringen. Den Männern, die ihn jagten, hatte man wahrscheinlich falsche Informationen gegeben: Sie
glaubten wohl, Robert werde wegen Drogenschmuggels oder wegen Mordes oder Spionage gesucht. Ihre Auftraggeber würden sie gewarnt haben: Bellamy ist gefährlich. Riskiert nichts! Schießt ohne Vorwarnung.
Robert ließ den Fahrer halten, stieg aus und nahm an der nächsten Ecke ein anderes Taxi.»Stazione Termini. «Sie jagten ihn, aber sie würden noch keine Zeit gehabt haben, ein Fahndungsfoto zu verbreiten. Bisher war er noch gesichtslos.
Das Taxi hielt vor dem Bahnhofsgebäude an der Via Giolitto, und der Fahrer verkündete:»Stazione Termini, Signore.«
«Halten Sie einen Augenblick. «Robert blieb sitzen und beobachtete den Platz vor dem Bahnhofsgebäude, auf dem nur die gewöhnliche Betriebsamkeit zu herrschen schien. Privatautos und Taxis kamen an und setzten Fahrgäste ab oder nahmen welche auf und fuhren davon. Gepäckträger luden Koffer ein und aus. Ein Polizist mit Trillerpfeife war damit beschäftigt, Autofahrer aus dem Parkverbot zu weisen.
Trotzdem störte Robert irgend etwas an dieser Szene. Dann wurde ihm plötzlich klar, was hier nicht stimmte. Genau vor dem Haupteingang parkten drei unauffällige Limousinen, deren Fahrer nirgends zu sehen waren, im absoluten Halteverbot. Und der sonst so eifrig trillernde Polizeibeamte übersah sie geflissentlich.
«Ich hab’s mir anders überlegt«, erklärte Robert dem Fahrer.»Via Veneto 110A. «Dort würden sie ihn am allerwenigsten vermuten.
Die amerikanische Botschaft und das Generalkonsulat befinden sich in der Via Veneto in einem rosa Gebäude, dessen Vorgarten zur Straße hin von einem schwarzen schmiedeeisernen Zaun begrenzt wird. Die Botschaft war um diese Zeit geschlos-sen, aber die Paßabteilung des Konsulats hatte für Notfälle Tag und Nacht geöffnet. Hinter dem Schreibtisch in der Eingangshalle im Erdgeschoß saß ein Marineinfanterist.
«Ich brauche einen neuen Paß«, erklärte ihm Robert Bellamy.»Ich hab’ meinen verloren.«
Der Marineinfanterist wies auf den Flur.»Letzte Tür rechts. Dort helfen sie Ihnen weiter, Sir.«
«Danke.«
In der Paßabteilung traf er auf ein halbes Dutzend Männer und Frauen mit den unterschiedlichsten Anliegen.
«Brauche ich für Albanien ein Visum? Ich möchte dort Verwandte besuchen.«
«Ich muß diesen Paß unbedingt noch heute abend verlängert bekommen, sonst kann ich morgen nicht weiterfliegen…«
«Ich weiß nicht, wo er geblieben ist. Ich muß ihn in Mailand im Hotel liegengelassen haben.«
«Sie haben mir den Paß auf offener Straße aus der Handtasche geklaut.«
Robert stand da und hörte zu. In Italien war Paßdiebstahl gang und gäbe. Mehrere dieser Leute würden einen neuen oder verlängerten Reisepaß erhalten. An der Spitze der Schlange befand sich ein gutgekleideter Fünfziger, dem ein Konsulatsbeamter eben einen neuen Paß überreichte.
«Bitte sehr, Mr. Cowan. Tut mir leid, daß Sie ein so unangenehmes Erlebnis gehabt haben. Aber in Rom gibt’s eben viele Taschendiebe.«