«Vor wem denn?«
«Das weiß ich nicht. Aber ich krieg’s noch raus. Möglicherweise ist ‘ne Belohnung für ihn ausgesetzt.«
«Warum fragst du nicht einfach deine Schwester?«
Carlo schüttelte den Kopf.»Pier läßt nichts raus. Du solltest das Armband sehen, das er ihr gekauft hat! Mit Smaragden.«
«Ein Armband? Tatsächlich? Wieviel ist’s wert?«
«Das sag’ ich dir noch. Ich will’s heute vormittag verkaufen.«
Lucca überlegte kurz.»Hör zu, Carlo, ich bin dafür, daß wir uns mal mit dem Freund deiner Schwester unterhalten. Was hältst du davon, wenn wir ihn uns in ein paar Stunden schnappen und in den Club mitnehmen?«Der Club war ein leerstehendes Lagerhaus mit einem schalldichten Raum.
Carlo lächelte zustimmend. »Bene. Ich laß mir was einfallen, um ihn aus dem Haus zu locken.«
«Wir erwarten euch«, sagte Lucca.»Er wird singen, verlaß dich drauf. Hoffentlich hat er ‘ne schöne Stimme, weil er für uns singen wird.«
Als Carlo heimkam, war Mr. Jones fort. Carlo mußte sich beherrschen, um nicht in Panik zu geraten.
«Wo ist dein Freund hin?«fragte er Pier.
«Er hat in der Stadt zu tun. Aber er kommt wieder. Warum interessiert dich das?«
Er rang sich ein Lächeln ab.»Bloß so aus Neugier.«
Carlo wartete, bis Mama und Pier in die Küche gingen, um das Mittagessen zu kochen. Dann hastete er in Piers Zimmer. Er fand das Armband unter einigen Wäschestücken versteckt in einer Kommodenschublade, steckte es hastig ein und war schon an der Haustür, als seine Mutter aus der Küche kam.
«Bleibst du nicht zum Essen, Carlo?«
«Nein. Ich muß in die Stadt, Mama. Ich komme später wieder.«
Carlo stieg auf seine Vespa und führ in Richtung Quartiero Spagnolo. Vielleicht ist das Armband mit falschen Steinen besetzt, dachte er. Vielleicht ist’s ja bloß Talmi.
Er stellte den Motorroller vor einem kleinen Juwelierladen ab. Ettore Gambino, der Ladenbesitzer, war ein Sechziger mit schlechtsitzender schwarzer Perücke und einem Mund voll falscher Zähne.
«Ah, guten Morgen, mein Lieber!«begrüßte er Carlo.
«Was hast du heute für mich?«
Carlo holte das Armband aus der Jackentasche und legte es auf den Ladentisch.»Das hier.«
Gambino griff danach. Während er es begutachtete, wurden seine Augen immer größer.»Wo hast du das her?«
«Meine reiche Tante ist gestorben und hat’s mir vererbt. Ist es was wert?«
«Schon möglich«, antwortete Gambino vorsichtig.
«Erzähl’ mir keinen Scheiß!«
Gambino spielte den Gekränkten.»Hab’ ich dich jemals betrogen?«
«Ständig.«
«Immer zu kleinen Scherzen aufgelegt, was? Hör zu, Carlo, ich weiß nicht, ob ich dieses Stück allein unterbringen kann. Es ist sehr wertvoll.«
Carlos bekam feuchte Hände.»Ohne Scheiß?«
«Ich muß sehen, ob ich’s irgendwo unterbringen kann. Ich ruf dich heute abend an.«
«Okay«, sagte Carlo und steckte das Armband wieder ein.
Als er den Laden verließ, ging er wie auf Wolken. Ich hab ’ recht gehabt! Der Kerl ist nicht nur reich, sondern auch verrückt. Wie käme er sonst auf die Idee, einer Nutte ein so teures Armband zu schenken?
Gambino sah dem jungen Mann kopfschüttelnd nach. Verdammt noch mal, worauf haben die Idioten sich diesmal eingelassen? dachte er. Unter dem Ladentisch holte er ein Rundschreiben hervor, das alle Juweliere und Pfandleiher bekommen hatten. Es enthielt eine Beschreibung des Smaragd-armbands, das er eben gesehen hatte — aber wo sonst eine Telefonnummer im Polizeipräsidium angegeben war, stand hier neben einer anderen Nummer der Vermerk: Sofort SIFAR benachrichtigen!
Ein gewöhnliches Rundschreiben der Polizei hätte Gambino ignoriert, aber mit der SIFAR war nicht zu spaßen. Also griff er widerstrebend nach dem Telefon und wählte die angegebene Nummer.
44
Trotzdem bin ich noch nicht am Ende! dachte Robert trotzig, während er durch die Vorstädte Neapels fuhr. Erst müssen sie mich schnappen. Wie hatten sie ihn hier aufgespürt? Pier. Sie mußten über Pier auf seine Fährte gestoßen sein. Ich muß sie anrufen, um sie zu warnen, überlegte Robert sich. Aber zuerst muß ich eine Möglichkeit finden, hier rauszukommen…
Einen halben Kilometer vor der Auffahrt zur Autobahn sah er eine von der Polizei errichtete Straßensperre. Er wendete gerade noch rechtzeitig und raste in Richtung Innenstadt zurück.
Dann fuhr er wieder langsamer, konzentrierte sich und versuchte sich in seine Verfolger hineinzudenken. Sie würden veranlaßt haben, daß alle möglichen Fluchtwege aus Italien blockiert waren. Jedes auslaufende Schiff würde durchsucht werden. Und dann durchzuckte ihn plötzlich eine Idee. Die Fahnder hatten keinen Grund, Schiffe zu durchsuchen, die Italien nicht verließen. Immerhin eine Chance, dachte Robert. Er fuhr wieder zum Hafen hinunter.
Gambino sah auf, als die Türklingel seines Ladens bimmelte. Zwei Männer in dunklen Anzügen kamen herein. Man sah ihnen auf den ersten Blick an, daß sie keine Kunden waren.
«Ettore Gambino? Sie haben wegen eines Smaragdarmbands angerufen.«
SIFAR. Er hatte ihren Besuch erwartet. Doch diesmal stand er auf der Seite des Rechts.»Ganz recht. Als anständiger Bürger hab’ ich’s für meine Pflicht gehalten, Sie.«
«Diesen Scheiß können Sie sich sparen. Wer hat’s vorbeigebracht?«
«Ein junger Mann namens Carlo.«
«Hat er’s dagelassen?«
«Nein, er hat es wieder mitgenommen.«
«Wie heißt dieser Carlo weiter?«
Gambino zuckte mit den Schultern.»Seinen Nachnamen weiß ich nicht. Er gehört zu den Diavoli Rossi. Das ist eine der hiesigen Banden. Ihr Chef ist ein gewisser Mario Lucca.«
«Wissen Sie, wo dieser Lucca zu finden ist?«
Gambino zögerte unschlüssig. Falls Lucca erfuhr, daß er geplaudert hatte, würde er ihm die Zunge herausschneiden lassen. Falls er diesen Männern jedoch nicht erzählte, was sie wissen wollten, würden sie ihm den Schädel einschlagen.»In der Via Sorcella hinter der Piazza Garibaldi.«
«Danke, Signore Gambino.«
«Ich bin immer gern bereit, mit.«
Die Männer waren schon gegangen.
Lucca lag wieder mit seiner Freundin im Bett, als die beiden Männer die Wohnungstür aufbrachen.
Wütend sprang er aus dem Bett.»Hey, was soll der Scheiß? Wer seid ihr überhaupt? Was…?«:
Einer der Männer hielt ihm seinen Dienstausweis unter die Nase.
SIFAR! Lucca schluckte trocken.»Hey, ich hab’ nichts ange-stellt. Ich bin ein anständiger Bürger, der.«
«Das wissen wir, Lucca. Von Ihnen wollen wir ja auch gar nichts. Uns interessiert ein junger Mann namens Carlo.«
Carlo! Darum geht ’s also! Um das beschissene Armband! In was war Carlo da bloß hineingeraten? SIFAR-Agenten fahndeten normalerweise nicht nach Juwelendieben.
«Also… kennen Sie ihn oder nicht?«
«Schon möglich.«
«Sollen wir Sie in die Zentrale mitnehmen, um Ihr Gedächtnis ein bißchen aufzufrischen?«
«Augenblick! Jetzt fällt’s mir wieder ein«, sagte Lucca.»Sie meinen bestimmt Carlo Valli. Was ist mit ihm?«
«Wir möchten mit ihm reden. Wo wohnt er?«
Jedes Mitglied der Diavoli Rossi mußte bei seiner Aufnahme einen heiligen Eid schwören, eher zu sterben, als einen Kameraden zu verraten. Das machte die Diavoli Rossi zu einem so großartigen Club. Sie hielten eisern zusammen. Einer für alle, und alle für einen.