«Wollen Sie lieber doch in die Zentrale mitkommen?«
Lucca zuckte mit den Schultern und gab ihnen Carlos Adresse.
Eine halbe Stunde später öffnete Pier die Haustür und erblickte zwei Fremde.
«Signorina Valli? Dürfen wir reinkommen?«
«Wer sind Sie?«
Einer der Männer klappte ein Lederetui auf und zeigte ihr seinen Dienstausweis. SIFAR. Das waren nicht die Leute, mit denen sie ihre Vereinbarung getroffen hatte. Panik stieg in ihr auf. Die beiden Kerle würden versuchen, sie um ihre Belohnung zu bringen.»Was wollen Sie von mir?«
«Wir möchten Ihnen ein paar Fragen stellen.«
«Bitte sehr. Ich habe nichts zu verbergen.«Gott sei Dank, dachte Pier, daß Robert nicht da ist! Sie führte die beiden
Männer ins Wohnzimmer.
«Sie sind gestern mit dem Auto aus Rom gekommen. «Das war eine Feststellung, keine Frage.
«Richtig. Ist das verboten… oder bin ich zu schnell gefahren?«
Der Mann lächelte. Auch das machte seinen Gesichtsausdruck nicht freundlicher.»Sie hatten einen Begleiter, nicht wahr?«
«Ja«, antwortete Pier vorsichtig.
«Wen, Signorina?«
Sie zuckte mit den Schultern.»Ein Anhalter, den ich mitgenommen habe. Er wollte nach Neapel.«
«Ist er jetzt hier bei Ihnen?«fragte der zweite Mann.
«Wo er ist, weiß ich nicht. Ich hab’ ihn in der Stadt abgesetzt, und er ist verschwunden.«
«War sein Name Robert Bellamy?«
Sie runzelte die Stirn, als denke sie nach.»Bellamy? Tut mir leid, das weiß ich nicht. Er hat mir seinen Namen nicht gesagt, glaub’ ich.«
«Oh, das hat er bestimmt! Er hat sie am Tor di Quinto angesprochen, Sie haben die Nacht mit ihm im Hotel L’Incrocio verbracht, und am nächsten Morgen hat er Ihnen ein Smaragdarmband gekauft. Er hat Sie mit Flugtickets und einer Bahnfahrkarte in einige Hotels geschickt — und danach haben Sie einen Leihwagen genommen und sind mit ihm nach Neapel gefahren, stimmt’s?«
Sie wissen alles! Pier nickte beklommen.
«Kommt Ihr Freund zurück, oder ist er schon abgereist?«
Sie zögerte unschlüssig. Wenn sie behauptete, Robert habe Neapel verlassen, würden die Männer ihr ohnehin nicht glauben. Sie würden hier im Haus warten, und sobald er zurückkam, konnten sie ihr vorwerfen, gelogen zu haben, und sie als seine Komplicin festnehmen. Am besten sagte sie gleich die Wahrheit.»Er kommt zurück«, gab sie zu.
«Bald?«
«Das weiß ich nicht.«
«Gut, dann machen wir’s uns inzwischen bequem. Sie haben doch nichts dagegen, wenn wir uns ein bißchen umsehen?«Sie knöpften ihre Jacken auf, so daß ihre Pistolen sichtbar wurden.
«N-n-nein.«
Rasch durchsuchten die beiden SIFAR-Agenten das Haus.
Mama kam aus der Küche.»Wer sind diese Männer?«
«Freunde von Mr. Jones«, sagte Pier hastig.»Sie sind gekommen, um ihn zu besuchen.«
Mama lächelte strahlend.»Ein reizender Mann! Dürfen wir Sie zum Mittagessen einladen?«
«Grazie, Mama«, sagte einer der Männer.»Was gibt’s denn Feines?«
Pier dachte fieberhaft nach. Zunächst kam es darauf an, Robert vom Haus fernzuhalten, bis die beiden Typen verschwunden waren. Aber wie?
Plötzlich erinnerte sie sich an ihr morgendliches Gespräch mit Robert Bellamy. Ist alles in Ordnung, bleiben die Jalousien hochgezogen. Droht dagegen Gefahr, läßt man eine herunter. Das ist dann ein Warnsignal für Mitagenten.
Die beiden Männer saßen mit Mutter und Tochter im Eßzimmer und aßen Cappelini.
«Hier ist’s mir zu hell«, behauptete Pier. Sie stand auf und ließ eine Jalousie herunter. Dann kam sie an den Tisch zurück. Hoffentlich erkennt Robert das Warnsignal.
Auf der Rückfahrt zum Haus ging Robert in Gedanken nochmals seinen Fluchtplan durch. Nicht perfekt, gestand er sich ein, aber zumindest erhalte ich so eine Atempause. Dann kam das Haus in Sicht. Als er von der Straße auf die Zufahrt abbog, drosselte er das Tempo und sah sich um. Alles wirkte ganz normal. Er würde Pier warnen, damit sie verschwinden konnte, und sofort weiterfahren.
Er wollte schon vor dem Haus parken, als ihm etwas Seltsames auffieclass="underline" Eine der Jalousien war heruntergelassen, während alle anderen hochgezogen waren. Eine Alarmglocke schrillte durch Roberts Kopf. Pier hatte seine morgendlichen Flunkereien für bare Münze genommen. Sollte die heruntergelassene Jalousie eine Warnung sein?
Robert wendete und fuhr wieder auf die Straße hinaus. Vor der nächsten Bar hielt er und ging hinein, um zu telefonieren.
Sie saßen noch immer beim Essen, als das Telefon klingelte. Die Männer spitzten sofort die Ohren.
Pier stand auf, ging zu dem Apparat und nahm den Hörer ab.»Hallo?«
«Pier? Ich habe die Jalousie gesehen und…«
Sie brauchte nur zu sagen, alles sei in Ordnung, und er würde ins Haus zurückkommen. Die Männer würden ihn verhaften, und vielleicht sprang dann ja doch eine Belohnung für sie heraus, weil sie ihn in die Falle gelockt hatte.
Aber würden sie ihn tatsächlich nur festnehmen? Denn die beiden hier waren schließlich keine normalen Bullen… Die waren gefährlicher.
Pier sagte ins Telefon:»Nein, Sie haben sich verwählt.«
Robert hörte ein Klicken; sie hatte aufgelegt. Einen Augenblick lang stand er wie betäubt da. Pier hatte ihm das Leben gerettet. Gott segne sie!
Er setzte sich wieder ans Steuer und fuhr in Richtung Hafen diesmal jedoch nicht zum Frachthafen, sondern an Santa Lucia vorbei zu einem kleinen Pier, auf dem ein Schild verkündete: Capri & Ischia. Dort parkte er den Leihwagen — und zwar so auffällig, daß die Fahnder ihn unmöglich übersehen konnten.
Dann trat er an das Kassenhäuschen.»Wann fährt das nächste Tragflügelboot nach Ischia?«
«In zwanzig Minuten.«»Und nach Capri?«
«In fünf Minuten.«
«Geben Sie mir eine einfache Fahrkarte nach Capri.«
«Si, Signore.«
«Si, Signore, si, Signore«, äffte ihn Robert nach.»In diesem beschissenen Land kann kein Mensch richtig Englisch!«
Der Kassierer starrte ihn empört an.
«Ihr gottverdammten Itaker seid alle gleich. Einfach blöd! Stupido!« Robert knallte einen Geldschein auf den Zahlteller, griff nach seiner Fahrkarte und ging zu dem Tragflügelboot, das ihn nach Capri bringen sollte.
Drei Minuten später legte das Boot ab. Zunächst fuhr es ziemlich langsam, aber sobald es sich in tieferem Wasser befand, hob es sich elegant über die Wellen. Die Fähre war voller fröhlich schwatzender Touristen aus verschiedensten Ländern. Nach einer Weile trat Robert an die kleine Bar und sagte zu dem Barkeeper:»Geben Sie mir einen Wodka mit Tonic.«
«Ja, Sir. «Der Mann in dem weißen Kittel mixte den Drink.»Bitte sehr, Signore.«
Robert griff danach und kostete einen Schluck. Dann knallte er das Glas auf die Theke.»Dieses Scheißzeug soll ein Drink sein?«fragte er angewidert.»Das schmeckt ja wie Pferdepisse! Was ist eigentlich mit euch gottverdammten Itakern los?«
Andere Fahrgäste drehten sich nach Robert um.
«Entschuldigen Sie, Signore«, sagte der Barkeeper steif,»aber wir verwenden nur die besten.«
«Den Scheiß können Sie sich sparen!«brüllte Robert.»Ich werde mich über Sie beschweren! Commander Robert Bellamy von der US-Marine läßt sich nicht mit so einem drittklassigen Gesöff abspeisen!«
Damit stapfte er nach vorn zum Bug und ließ sich in einen freien Sessel fallen. In seinem Rücken spürte er die Blicke der Mitreisenden. Sein Herz hämmerte, aber die Komödie war noch nicht zu Ende.