»Herr.« Saumakos’ Gesicht war ohne Regung. Eine Maske mit flacher Nase, wulstigen Lippen und schlauen Augen. »Es gibt überlebende Zapote in einem Keller am Platz. Alle Bewohner der Stadt scheinen sich dorthin geflüchtet zu haben. Die Daimonen haben sie verschont.«
»Nahe am Platz? Du meinst diesen Platz hier?«
»So ist es, Herr.«
Subai griff sich mit der Hand an die Stirn. Die Götter hassten ihn, dachte er verzweifelt. »Nimm dir ein paar Männer und töte sie! Kein Zapote, der gesehen haben könnte, was wirklich mit dem Drachen geschah, darf überleben.«
»Aber Herr, dieser Feldzug wurde unternommen, um Wanu zu befreien und die Einwohner der Stadt zu retten.«
»Was kann ich dafür, wenn die Daimonen alle Gesetze des Krieges missachten und selbst Gefangene ermorden«, sagte Subai laut und hob die Hände in resignierender Geste. »Was sollte man von Daimonen auch anderes erwarten?« Leise fügte er hinzu. »Nimm nur wenige Männer, denen du ganz und gar vertraust. Und sprich niemals über das, was ihr getan habt. Nun geh! Ich habe einen Drachen zu töten.«
Saumakos rief einige Krieger zu sich und verschwand. Alle übrigen schossen indessen auf den Drachen. Auch jene Steppenreiter, die neu auf den Platz im Schatten der Ankertürme kamen, schlossen sich unaufgefordert den Bogenschützen an. Doch waren keine Jubelrufe zu hören, wie sie sonst erfolgreiche Kämpfe begleiteten. Auf dem Platz herrschte eine unheimliche Stille, die nur vom dumpfen Einschlag der Pfeile im geschuppten Leib gestört wurde.
Endlich riss Subai seinen Bogen hoch. »Das genügt!«, befahl er. Unzählige Pfeile steckten inzwischen im Leib des Drachen. »Benetzt die Pfeilwunden mit Blut, schneidet euch in den Arm, an unauffälliger Stelle, und tropft das Blut auf den Drachen. Wenn es kein Blut gibt, dann wird auch der Einfältigste begreifen, dass wir die Pfeile abgeschossen haben, nachdem er schon tot war. Los, los! Beeilt euch. Wir haben nicht mehr viel Zeit.«
Subai trat vor den geschändeten Kadaver und rollte den Ärmel seiner Pelzjacke zurück. Dann zog er ein Messer aus seinem Gürtel und schnitt sich in den Arm. Er streckte den Arm weit vor, sodass alle sehen konnten, wie sein dunkles Blut auf einige der Pfeile und die roten Drachenschuppen tropfte. »Von nun an sind wir die Bruderschaft des Drachen. Wir teilen einen Sieg, wie ihn noch kein Krieger Daias je errungen hat. Und wir teilen ein Geheimnis. Hier und jetzt schwöre ich beim Weißen Wolf, dem Gebieter der Steppe, bei Russa, dem Blitzschleuderer, und der Sturmruferin mit dem Schlangenhaar, dass ich Ruhm und Reichtum mit jedem in der Bruderschaft teilen werde, ebenso, wie ich meinen Dolch in das Herz eines jeden Verräters tauchen werde. Und nun tut es mir gleich! Besiegeln wir mit unserem Blut den Pakt, den wir geschlossen haben, Brüder!«
Diesmal zögerten sie nicht, seinem Befehl zu folgen. Zu Dutzenden gingen sie zum Drachen und stiegen über seine Beine zum Rücken hinauf, um ihr Blut zu vergießen. Es wurde eine regelrechte Orgie des Blutes. Bald troff es überall am Leib des Ungeheuers hinab, rann in seine weit offenen Augen und seine Lefzen hinab, perlte von den Schuppen auf Rücken und Flanken und sammelte sich zuletzt unter seinem Leib auf dem gestampften Boden des Marktplatzes.
Zufrieden folgte Subai dem Spektakel, bis Saumakos zurückkehrte. Sein Hauptmann hielt ein blutiges Schwert in Händen. »Es gibt keine Zeugen mehr«, sagte er mit belegter Stimme.
Dem Prinzen gefiel der Gesichtsausdruck des Kriegers nicht. Saumakos verurteilte ihn, auch wenn er klug genug war, kein Wort zu sagen. Für wen hielt sich der Kerl! Er entstammte zwar einer Sippe, die seit Jahrhunderten in der Gunst des Unsterblichen Madyas stand, aber er war nur ein Halbblut. Ein Bastard, zwischen den glatten Schenkeln einer Hure vom Seidenfluss hervorgekrochen. Er würde niemals ein Fürst sein. Dafür hätte es reinen Blutes bedurft. Saumakos wusste das. Die Leibwache eines der Söhne des Madyas zu befehligen war schon mehr Ehre, als er hatte erwarten dürfen. Weiter würde er nie kommen. Niemals würde er ein großes Reiterheer befehligen oder in den Kreis der Vertrauten des Unsterblichen aufsteigen. Mit der Zeit würde er missgünstig und verbittert werden … Es wäre klüger, es nicht so weit kommen zu lassen.
Subai trat an die Seite seines Hauptmanns und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich bin dir zutiefst dankbar. Manchmal verlangt das Leben uns Taten ab, die unser Herz beschämen. Einen wahren Mann aber erkennt man daran, dass er dennoch ohne zu zögern tut, was getan werden muss. Nun habe ich eine ehrenvollere Aufgabe für dich, mein Freund. Die letzten Daimonen, die uns auf dem Eisfeld entkommen sind, haben sich in einen Keller zurückgezogen. Nimm dir die besten Krieger und stürme ihren Unterschlupf! Ich möchte, dass es in dieser Stadt keinen Feind mehr gibt, wenn die Unsterblichen eintreffen.«
Saumakos nickte knapp. Mehr stand ihm nicht zu, auch wenn er genau wusste, was der Befehl, den er erhalten hatte, für ihn bedeutete. »Dein Wille wird geschehen, Herr!«
Subai beobachtete, wie das Halbblut Krieger aussuchte, die ihn begleiten sollten, und bald erkannte der Fürst, auf welch subtile Art sich Saumakos rächte. Er nahm nur die besten Männer mit sich. Alles, was Subai noch bleiben würde, waren die Jasager und Dummköpfe.
»Lasst uns ein Fest feiern, Männer!«, rief er eher aus Frustration als aus wirklicher Festlaune. »Brecht unsere Jagdbeute auf! Schneidet ihm das Fleisch von den Rippen und bratet es auf Spießen. Heute Nacht wollen wir alle vom Drachen essen, auf dass sein Mut einen Weg in unsere Herzen findet. Lasst uns ein Festmahl abhalten, wie es nicht einmal die Unsterblichen je hatten. Nie zuvor hat ein Mensch Drachenfleisch gekostet. Lasst uns die Ersten sein. Was wäre ein passenderes Bankett zur Gründung der Bruderschaft der Drachen, als von einem solchen zu speisen.«
Sieben
Brennende Bündel aus Lumpen rollten die Treppe zum Keller hinab und füllten die Luft mit beißendem Rauch.
»Zu mir!«, rief Galar aus Leibeskräften. Er hatte die Decke von seinen Schultern gerissen und versuchte, die Flammen zu ersticken, als schon wieder weitere Bündel die Treppe hinabgepurzelt kamen.
»Groz! Beweg deinen großen Arsch hierher!«, schrie Che hustend.
Ailyn brannten die Augen. Das Kellergewölbe, in dem sie Zuflucht gefunden hatten, war bei Weitem nicht so groß wie jenes, in dem sie die Menschenkinder gefangen gesetzt hatten. Schnell füllte es sich mit dem Rauch. Ein traniger Geschmack lag auf ihrer Zunge. Wahrscheinlich waren die Lumpenbündel in Fischöl getränkt worden, damit sich mehr Rauch entwickelte.
Che knöpfte seinen Hosenlatz auf. »Los, Groz, mach mir nach, was ich jetzt tue. Wir pissen diese verdammten Brände aus und …«
Mit Schrecken sah Ailyn, wie der Troll seinen Lendenschurz hob. Der Gestank, der sich hier verbreiten würde, wenn er den Befehl des Kobolds umsetzte, würde den des brennenden Trans sicherlich noch übertreffen.
»Nein!«, befahl die Elfe scharf. »Ich kümmere mich darum.« Sie schloss die Augen und öffnete ihren Blick für die magische Welt. Zu oft hatte sie in den letzten Tagen Zauber gewoben. Sie wusste, was geschah, wenn sie zu oft nach jener Macht griff, die alle drei Welten zusammenhielt. Immer wieder Magie zu wirken zehrte von der Lebenskraft. Sie ignorierte dieses Wissen, griff im Geiste nach den Kraftlinien und zischte eines jener uralten Worte der Macht, die, auf die rechte Art gesprochen, Gedanken Wirklichkeit werden ließen.
Ein stechender Schmerz griff vom Nacken in ihren Kopf hinein. Knisternde Spannung lag in dem Kellerloch, das ihre Zuflucht war. Ein Luftzug spielte mit dem Saum ihres Gewandes, frischte auf und wurde zur Bö, die allen Rauch aus dem Keller trieb. Zurück blieb der feuchtwarme Odem einer Sommergewitternacht. Sie konnten wieder frei atmen. Ailyn öffnete ihre Augen. Die Lider waren schwer wie Blei. Sie könnte das nicht noch einmal tun. Allzu gut erinnerte sie sich an die Ermahnungen des Schwebenden Meisters, der sie vor einer Ewigkeit in die Kunst des Zauberwebens eingeführt hatte. Wer sich der Magie über die Maßen bediente, den brannte sie aus. Und das war ganz wörtlich zu nehmen! Das war der Fluch der Macht.