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»Was erwartet Ihr zu finden?«

Artax setzte den Maskenhelm auf und schloss das Visier. »Keine Freunde.« Seine Stimme hallte blechern. Er griff nach dem karmesinroten Umhang und versuchte ungelenk, ihn an den Ringen auf den Schulterstücken zu befestigen, bis Ormu ihm zu Hilfe eilte. »Wollt Ihr allein gehen? Ist das klug?«

»Du und deine Männer können nicht immer auf mich aufpassen, Ormu.« Der Unsterbliche streifte seine schweren Stulpenhandschuhe über. Der Handrücken und seine Finger waren zusätzlich durch einander überlappende Eisenschuppen geschützt. »Ich könnte nach Madyas und Ansur suchen, aber wahrscheinlich würde es mir nur die Erkenntnis bringen, dass beide gestern mit ihren Hauptleuten gezecht haben, um unseren Sieg über den Drachen und die Daimonen zu feiern. Ich bin sicherer, wenn ich allein gehe. Und die Zeit drängt. Wenn dort draußen ein neuer Feind lauert, dann müssen wir schnell wissen, was uns erwartet.«

Es war Ormu deutlich anzusehen, wie sehr ihm dies missfiel. Sie würden mehr von den geflügelten Löwen brauchen, dachte Artax, als er aus der Tür trat. Eisige Kälte begrüßte ihn. Der Himmel war klar. Das fahle Licht der Sterne und der Zwillingsmonde verlieh der Stadt und der Eisebene etwas Geisterhaftes. »Finde den Pfeil!«, schärfte Artax Ormu noch einmal ein. Dann trat er zu dem metallenen Löwen, der neben der Hütte wartete. Der Löwe hob sein Haupt, als er näher kam, und sah ihn erwartungsvoll an. Die Kreatur war Artax unheimlich. Obwohl er ganz und gar aus Metall bestand, schien es Langarm gelungen zu sein, dem Löwen Verstand einzuhauchen. Er wusste, wer sein Herr war, und es genügte, sich allein in Gedanken vorzustellen, was der Löwe tun sollte, damit er gehorchte.

Trotz seiner anfänglichen Zweifel war es ein wunderbares Gefühl zu fliegen. Schon gestern, bei seinem ersten Ritt auf dem Silberlöwen, hatte Artax gewusst, dass er dort oben, allein am Himmel, den Ort gefunden hatte, an dem er all seine Sorgen vergessen konnte. Für einen Flug lang zumindest.

»Mach nicht so ein Gesicht, Ormu. Ich bin ein Unsterblicher! Ich brauche nicht dauernd jemanden, der auf mich achtgibt. Es ist nicht leicht, mich umzubringen. Und wie sollten ein paar Pferdemänner mir gefährlich werden, wenn ich hundert Schritt über ihnen schwebe?«

»Und was ist, wenn es noch einen Drachen gibt?«

Artax lachte, ein Laut, der sich seltsam falsch unter dem Helm anhörte. »Dann wird dies ein aufregender Morgen werden.«

Langarm hatte den Löwen nach dem ersten Flug gestern ein wenig verändert. Nun hingen Steigbügel tief an seinen Seiten herab, sodass sich Artax ohne fremde Hilfe in den Sattel mit der hohen Rückenlehne erheben konnte. Zwei lange Ledergürtel griffen über seine Schultern und konnten mit Schnallen an einem dritten Gürtel, der sich um seine Taille schlang, befestigt werden. Auf diese Weise gesichert, würde er selbst dann nicht aus dem Sattel fallen, wenn er tot war.

Ormu reichte ihm die lange Lanze mit der Schwertklinge.

»Ich komme wieder!«, rief Artax und dachte daran, in den Himmel zu steigen.

Augenblicklich setzte sich der gewaltige Löwe in Bewegung. Sein ganzer Leib klirrte, als er mit kraftvollen, weit ausholenden Sprüngen auf die Ebene hinauseilte. Seine goldenen Schwingen wirbelten Schnee auf, der ihnen in einer langen Schleppe tanzender Spiralen folgte. Dann hob er ab. Artax spürte eine kurze Spannung tief in seinen Eingeweiden, doch dann überkam ihn dasselbe Glücksgefühl wie am Tag zuvor. Er fühlte sich frei. Die Fesseln und Sorgen, die ihm seine Würde als Unsterblicher auferlegten, fielen von ihm ab. Es war fast wie in jenen gestohlenen Nächten, als er sich mit Shaya heimlich auf dem Rücken des Wolkensammlers getroffen hatte.

Am Horizont kündigte ein erster, blasser Silberstreif den nahenden Tag an, während er schneller und schneller den Sternen am tiefblauen Firmament entgegeneilte. Das kleine Banner an der Lanzenspitze knatterte im Wind. Beständiges leises Klirren begleitete den Flug des Löwen. Kälte drang unbarmherzig durch die Schichten der warmen Kleidung, die er trug. Er wusste, dass die Zauber, die in Helm und Rüstung gewoben waren, ihn auch ein wenig vor dem Frost schützten. Einfache Krieger würde der eisige Odem des Nordens binnen kurzer Zeit töten. Schon bedeckten feine Eiskristalle seine Handschuhe und Ärmel. Sein Umhang fühlte sich ganz steif an.

Bald sah Artax weit voraus schwarze Punkte, die schnell davonpreschten. Aber er flog zu hoch, um sagen zu können, ob es sich um die seltsamen Pferdemänner handelte, von denen Ormu berichtet hatte. Der Löwe verstand seine Wünsche, schwenkte ein und flog tiefer, um den Reitern zu folgen.

Der Löwenhäuptige hatte ihm gesagt, dass jenes magische Tor südlich des Flusses, durch das die Armee der Sieben Reiche marschiert war, das einzige im Umkreis von mehr als dreihundert Meilen sei. Woher waren die Daimonen gekommen?

Vielleicht waren es ja nur ein paar letzte, versprengte Späher der Truppen, die sie am Fluss zerschlagen hatten. Sie ritten nach Osten, fort von Wanu. Es würde schwer werden, sie zu stellen.

Artax ließ den Löwen noch tiefer sinken. Er wollte dicht über ihre Häupter hinwegfliegen, um einen guten Blick auf sie zu bekommen. Pferdemänner! Was für ein bösartiger Scherz der Götter war das? Doch die Menschen würden diesen Kampf bestehen, schwor sich Artax. Egal, welche Daimonen die Himmelsschlangen zu ihren Verbündeten gemacht hatten. Der Sieg bei der Brücke und der tote Drache in Wanu hatten den Männern Zuversicht gegeben. Es gab nichts, was dem Heer der Sieben Reiche widerstehen konnte. Und dem Willen der Unsterblichen! Sie waren bereit, einen langen Krieg zu führen, wenn es nötig sein würde.

Wir werden auch keine andere Wahl haben, meldete sich die unwillkommene Stimme in seinem Kopf. Alle sieben Reiche sind längst viel zu sehr auf die Waren aus Nangog angewiesen.

Was für ein Heuchler du bist, dachte Artax angewidert. Zu Lebzeiten hast du dich nur für deinen Harem interessiert.

Wer lieber von Frauen träumt, als sie in den Armen zu halten, sollte nicht das Maul aufreißen, kam es gehässig zurück. Meine Frauen sind mir nie weggelaufen. Doch kommen wir zum Thema zurück. Vielleicht braucht man etwas Abstand, um mit schärferem Blick zu sehen. Die großen Reiche haben sich in eine ungünstige Lage gebracht. Ihr habt gar keine Wahl. Ihr müsst kämpfen, ganz gleich wie schlimm es wird.

Gerade wollte Artax zähneknirschend zustimmen, als ihn die Reiter voraus alle Gedanken an Hungersnöte und Politik schlagartig vergessen ließen.

Noch war er etwa eine halbe Meile entfernt, doch deutlich konnte er bereits sehen, wie widernatürlich diese Kreaturen waren. Menschliche Oberkörper wuchsen aus Pferdeleibern, dort wo deren Hals hätte sein sollen. Jetzt hatten sie auch ihn bemerkt. Einige deuteten zum Himmel hinauf, andere griffen nach den kurzen Bögen, die in ihren Köchern steckten, und zogen die Sehnen auf, bereit, ihn mit einem Hagel von Pfeilen zu empfangen, sobald er in Schussreichweite kam.

Ich finde, die sind unseren werten Verbündeten aus der Steppe gar nicht so unähnlich. Selbst von hier oben sehe ich, was für stinkende, ungewaschene Pferdeärsche sie sind, bemerkte Aaron hämisch. Sie tragen die gleichen schmuddeligen Fellwesten wie die Ischkuzaia. Und sieh dir nur diese grobschlächtigen Tätowierungen auf den Armen an. Gut, die da unten haben nicht alle schwarze Haare, dafür vertrauen sie aber denselben Waffen wie die Ischkuzaia: Speer und Bogen. Vermutlich muss man aufpassen, dass sich diese Pferdemänner und unsere Pferdeärsche nicht in die Arme fallen und spontan verbrüdern, wenn sie einander begegnen.

Ein erster Pfeil verfehlte Artax um zwei Handbreit. Der silberne Löwe stieg steil nach oben, und die lästige Stimme in Artax’ Kopf verstummte. Die Pferdemänner reckten ihre Fäuste in die Luft und schrien etwas, was er nicht verstehen konnte. Wahrscheinlich irgendwelche Flüche und Beleidigungen.