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Von Verrückten und Feiglingen

Sein verwundeter Silberlöwe trottete schwerfällig mit den letzten Nachzüglern des Heeres der Brücke entgegen. Artax hatte seine Kushiten um sich gesammelt. Schulter an Schulter standen die Veteranen des Krieges gegen Luwien; die Schilde erhoben und die Speere vorgereckt, bildeten sie einen Schutzwall für die geschlagene Armee. Auf zwei Reihen von Speerträgern folgten Ormus Bogenschützen. Sie waren es, die die Pferdemänner auf respektvollen Abstand hielten. Doch wie lange noch? Am Horizont zeichneten sich die Schemen der Riesen ab, die Artax schon am Morgen gesehen hatte. Ganz sicher waren sie zu schwer, um die Brücke zu überqueren, aber ebenso sicher würden sie ohne Mühe den Schutzwall der Speerträger durchbrechen.

Die beiden anderen Silberlöwen folgten seinem, der immer noch hinkte. Artax ging auf sie zu und wollte eines der Tiere besteigen, so wie er es schon mehrmals versucht hatte. Doch wieder bleckte der Löwe Ansurs die Zähne und gab ein bedrohliches, metallisches Klacken von sich. Als er sich ihm am Morgen zum ersten Mal genähert hatte, hatte er sich sogar einen Tatzenhieb eingefangen. Wie es schien, duldeten die Tiere nur ihre eigenen Herrscher als Reiter. Darüber sollte er dringend mit Langarm reden, wenn er lebend hier herauskam.

Ansur selbst war bei der Vorhut des Heeres. Der Herrscher Valesias hatte sich längst auf der anderen Seite der Brücke in Sicherheit gebracht. Nicht so Madyas. Der Unsterbliche, der die Steppenreiter führte, war den ganzen Morgen über bei seinen Kriegern geblieben und hatte sich Plänklergefechte mit den Pferdemännern geliefert. Zwei Pferde waren unter ihm getötet worden. Niemand könnte ihn einen Feigling nennen, und dennoch schreckte er davor zurück, in den Himmel zu steigen.

»Ihr solltet jetzt zur Brücke gehen«, flüsterte Ormu Artax ins Ohr. »Die Riesen werden hier sein, bevor wir alle ans andere Ufer bringen können. Das wird hässlich werden, denn ich schätze, dass sie weder meine Pfeile noch unsere Speere beeindrucken werden.«

»Als Unsterblicher bin ich der Erste meines Volkes. Ich lebe im Luxus und genieße unzählige Privilegien. Wenn ich jetzt davonlaufe, von wem könnte ich dann noch erwarten, hier auszuharren? Es ist meine Pflicht, ein Beispiel an Mut zu sein.«

»Von den sieben Unsterblichen sind nur noch Madyas und Volodi hier.« Ormu flüsterte noch immer. »Und ehrlich gesagt, halte ich beide nicht für besonders helle. Könntet Ihr nicht ein wenig wie die anderen sein?«

Also hatte sich auch Labarna schon zurückgezogen, dachte Artax enttäuscht. Von den übrigen Unsterblichen hatte er nichts anderes erwartet. »Volodi ist mit seinen Kriegern noch auf Adlerjagd?«

»Ich habe ihm einige meiner Bogenschützen geschickt. Die meisten seiner Männer sind eher für Handfesteres zu gebrauchen als dafür, mit einem Bogen einen Adler, groß wie ein Pferd, zu treffen.«

Artax musste schmunzeln. Er wusste, was Ormu meinte. Die Drusnier waren furchteinflößende Gegner, wenn es um den Kampf Mann gegen Mann ging. Für ihre Bogenschützen waren sie weit weniger berühmt.

Ein Pulk Reiter raste dem Wall aus Speeren entgegen. Ein Mann mit Wolfshelm auf einer großen, weißen Stute ritt mitten unter ihnen. Madyas! Die Pferdemänner folgten ihnen dichtauf. Immer wieder wandte sich der Unsterbliche im Sattel um, um seine Verfolger mit Pfeilen einzudecken. Nur wenige seiner Männer folgten noch seinem Beispiel. Viele hielten sich nur noch mit letzter Kraft im Sattel.

»Achtung!«, rief Artax. »Öffnet Lücken für unsere Freunde! Dritter, fünfter und siebenter Zug, zurückweichen!«

Die Krieger folgten seinen Befehlen mit einer Präzision, als führten sie nur ein Manöver auf dem weiten Löwenfeld vor seinem Palast auf. Hunderte Male hatte Ashot sie gedrillt, bis sie alle Manöver selbst mitten in der Nacht, gerade aus dem Schlaf gerissen, ausführen konnten. Ashot hätte hier sein sollen. Die Männer Arams waren sein Heer. Es war ungerecht gewesen, ihn im Palast zurückzulassen, nur weil er für das Reich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Und dennoch konnte er Ashot nicht verzeihen, dass er ihm Shaya genommen hatte.

Nüchtern betrachtet, war es auch für sie besser gewesen. Shaya war eine Kriegerin. Sie hätte sich durch nichts davon abhalten lassen, hier an seiner Seite zu sein. Wo immer sie jetzt auch sein mochte, jeder Ort war besser als dieses Schlachtfeld, auf dem es keinen Sieg mehr zu erhoffen gab.

Madyas war der letzte Reiter, der durch die Reihen der Speerträger preschte, während Ormus Bogenschützen die Pferdemänner auf Abstand hielten. Die grässlichen Zwitterwesen begannen nun ihrerseits, mit ihren kurzen Bögen zu schießen, und Pfeile schlugen in die hohen Schilde der Kushiten.

Madyas zügelte sein Pferd neben Artax. Der Schimmel war über und über mit Blut bedeckt. Ihm fehlte das rechte Ohr, ein Hinweis auf einen ungelenk geführten Schwerthieb des Reiters.

Der Fürst der Steppenreiter ließ sich von einem seiner Männer einen Wasserschlauch zuwerfen und nahm einen tiefen Schluck. Blanker Schweiß stand ihm auf dem Gesicht. »Verdammt, das sind die besten Reiter, die ich jemals getroffen habe. Würde gerne wissen, wie das so ist, wenn Mann und Pferd eins sind.«

Artax sah ihn ungläubig an. Das war offensichtlich kein Scherz. Madyas meinte es ernst. Ihn schien die Vorstellung, zur Hälfte Pferd zu sein, tatsächlich zu faszinieren. Und auch die Krieger, die ihn umgaben, wirkten von seinen Worten nicht abgeschreckt.

»Kannst du einige deiner Bogenschützen zum Flussufer schicken, damit sie Volodi dabei helfen, die Adler von der Brücke fernzuhalten?«

Madyas nahm noch einen tiefen Schluck. »Wir haben nicht mehr viele Pfeile. Subais Krieger haben ihre Köcher fast leer geschossen, als sie den Drachen erlegt haben.«

Artax kam es so vor, als wäre der Unsterbliche eher verärgert als stolz. Ahnte auch er, dass etwas bei der Drachenjagd nicht mit rechten Dingen zugegangen war? »Wir können am Ufer jeden Schützen gebrauchen«, sagte Artax ruhig. »Die Adler kosten uns viel Blut.«

Der Steppenfürst bellte einen Befehl, und einige seiner Krieger setzten sich murrend in Bewegung. Dann wandte er sich wieder an Artax und fragte: »Wo stecken nur die Devanthar?«

Zum ersten Mal sah der Reiterkrieger aus, als wäre er in Sorge. Üblicherweise überspielte er alle Schwierigkeiten mit zur Schau gestellter Härte oder derbem Humor. Doch jetzt war die Maske gefallen. Tiefe Sorgenfalten zeichneten sein Gesicht. »Wenn uns die Daimonen über den Fluss folgen, dann blüht uns noch ein übles Gemetzel, bevor wir das magische Tor erreichen.«

»Wenn du mir hilfst, könnten wir beide das vielleicht verhindern.«

»Was hast du vor?« Ein Hauch von Unsicherheit lag in seinen schmalen Augen.

Während rings um sie herum die Pfeile der Pferdemänner einschlugen, erklärte Artax ihm seinen Plan.

Als er endete, fasste Madyas sich an die Stirn. »Du bist vollkommen verrückt! Niemand, der halbwegs bei Verstand ist, würde so etwas tun!«

»Deshalb frage ich dich. Ich weiß, bei dir stehe ich vor einem Verwandten im Geiste.«

Der Reiterfürst schnaubte unwillig. »Wenn ich zustimme, bin ich ein Verrückter, wenn ich ablehne, ein Feigling? Was für eine wunderbare Wahl.« Er blickte unschlüssig zu seinem geflügelten Löwen, von dessen Kopf gerade ein verirrter Pfeil abprallte. Madyas kratzte über sein stoppeliges Kinn. »Egal, ob wir siegen oder verrecken, man wird Heldenlieder über uns singen, was meinst du?«

»Ganz sicher. Zwei Unsterbliche, die allein den Rückzug ihrer Armee decken. Davon wird man sich noch in tausend Jahren erzählen.«

Madyas schüttelte den Kopf, dann lachte er laut auf. »Verdammt, ich hätte dich zu meinem Schwiegersohn machen sollen, statt Shaya Muwatta zu überlassen. Du kennst mich. Ich bin genauso verrückt wie du. Tun wir es!«

Die Worte waren wie ein Stich in Artax’ Herz. Dieser verdammte Idiot! Hätte er nur Shaya nicht erwähnt.

Madyas sah ihn fragend an. »Stimmt etwas nicht?«