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»Ganz und gar nicht«, mischte sich die Sturmruferin ein.

Langarm mochte seine Schwester nicht. Ihr Schlangenhaar widerte ihn an, und ihre kalte, herablassende Art ihm gegenüber kränkte ihn.

»Wir machen es einfach wie immer, wenn die Zeit für einen Unsterblichen gekommen war«, fuhr sie fort. »Wir ersetzen sie. Niemanden wird es wundern, wenn allein die Unsterblichen den Schrecken der Schlacht auf der Eisebene überlebt haben.« Sie blickte zu Langarm.

»Nein!« Der Schmied wusste, was nun kommen würde. »Ihr stellt euch das viel zu einfach vor. Das ist …«

»Drück dich nicht, Bruder. Jeder von uns hat seine Pflichten. Du wirst sieben Rüstungen erschaffen, die bis ins kleinste Detail denen entsprechen, die unsere jetzigen Unsterblichen tragen.«

»Du hast keine Ahnung, was du da verlangst!«, empörte sich Langarm. »Allein einen dieser Helme zu schaffen kostet mich einen Tag. Nehmen wir die Rüstungen der Toten!«

»Die Toten liegen auf der Eisebene, du Narr!«, mischte sich Išta ein. »Also dort, wo die Himmelsschlangen uns erwarten. Ich bin mir sicher, wenn wir nicht alle kommen, dann begnügen sie sich auch damit, einen einzigen von uns zu verbrennen. Willst du es wagen, dort hinauszugehen, Langarm? Und das nur wegen ein paar Rüstungen?«

»Wenn wir unsere neuen Unsterblichen weit entfernt von ihren Vorgängern erschaffen, dann werden ihnen die Erinnerungen ihrer Vorgänger fehlen«, wandte der Adlerhäuptige ein. »Bei Hof wird man sehr schnell bemerken, dass etwas nicht stimmt.«

»Ich bitte dich«, rief Išta spöttisch. »Bist du nicht in der Lage, einem Menschen Erinnerungen an Ereignisse einzupflanzen, an denen er nicht teilhatte? Soll ich dir zeigen, wie das geht? Wir haben mehr als zehn Tage, um unsere neuen Unsterblichen auf ihre Herrschaft vorzubereiten. Früher werden keine Überlebenden das zweite Weltentor erreichen. Falls es denn überhaupt Überlebende gibt. Stopfen wir ihre Köpfe voll mit den Erinnerungen an ihre heroischen Kämpfe im ewigen Eis. Sie sollen gute Geschichten zu erzählen haben, wenn sie wiederkehren.«

»Ganz gleich, wie gut ihre Geschichten auch sind«, murrte der Große Bär. »Wer will noch einem Mann in die Schlacht folgen, der mit Tausenden auszog und ohne einen einzigen seiner Krieger wiederkehrte.«

»Ist denn wirklich ausgeschlossen, dass sie den nächsten Albenstern erreichen?«, fragte der Löwenhäuptige. »Was macht euch so sicher, dass von einem ganzen Heer kein einziger Mann übrig bleiben wird. Könnten wir nicht eine Flotte von Wolkensammlern schicken, um sie zu retten?«

»Nein, es ist aussichtslos«, sagte Langarm niedergeschlagen. »Unser Heer kann den anderen Albenstern nicht erreichen, und die Wolkensammler meiden die tödliche Kälte der beiden Pole. Sie fliegen nicht einmal in die Nähe. Es würde Wochen dauern, eine Flotte von ihnen nach Wanu zu bringen. Und selbst wenn wir das täten, kämen sie zu spät, um die Menschenkinder noch zu retten. So lange werden sie im ewigen Eis nicht durchhalten. Ich steige hinab in meine Schmiede und werde mit der Arbeit an den neuen Rüstungen beginnen.«

»Aber ist es denn wirklich ausgeschlossen, dass sie den nächsten Albenstern erreichen?«, fragte der Löwenhäuptige aufgebracht. »Zumindest einige von ihnen. Es wäre doch …«

»Ausgeschlossen«, erklärte der Ebermann mit einer Stimme, die wie ein Henkersbeil die Rede des Löwenhäuptigen zum Verstummen brachte. »Ich kenne das Land. Ich bin dort schon gewandert. Es gibt dort keine Wälder. Nichts, wo die Menschenkinder Zuflucht finden könnten, und es sind mehr als dreihundert Meilen bis zum nächsten großen Albenstern. Es fehlt ihnen an der richtigen Kleidung, um der Kälte zu widerstehen. Sie haben nichts, um Feuer zu machen, wenn sie ihre Nachtlager aufschlagen. Selbst das Essen wird ihnen knapp werden. Und was sollen sie trinken, wenn alles gefroren ist? Nangog alleine könnte sie mit ihrem eisigen Atem bezwingen, aber es sitzen ihnen auch noch die Albenkinder im Nacken. Nein, Bruder, es gibt keine Hoffnung mehr. Sie alle werden sterben.« Er wandte sich Langarm zu. »Ich steige mit dir in deine Schmiede hinab und werde dir helfen, die neuen Rüstungen zu erschaffen.«

Das große Dunkel

Chullunku Walla nahm ein Stück gesalzenen Fisch aus dem Lederbeutel auf seiner Hüfte. Eine gelbliche Kruste verbarg das Fleisch. Sein halbes Leben lang hatte er solchen Fisch gegessen. Gemocht hatte er ihn nie, aber er vertrieb das Hungergefühl für eine Zeit. Also biss er ab. Vorsichtig, denn seine Zähne wurden langsam locker. Mehr als vierzig Winter hatte er gesehen. Das machte ihn hier im Norden zu einem Greis. Er hatte zu lange gelebt. Hätte ihn vor einer Woche der Tod gefunden, er wäre als stolzer Mann gegangen. Nun war er ein Nichts.

Er blickte über die Männer, die überall ringsherum auf der Ebene kauerten. Sie dachten, es ginge ihnen schlecht. Sie hatten keine Ahnung, wie der Winter hier im Norden war! Er zog den Federmantel enger um seine Schultern. Und sie hatten immer noch nicht wirklich begriffen, welche Schrecken der Nordwind brachte.

Chullunku hatte sie gesehen, die grünen Gestalten, die sich aus dem Fluss erhoben hatten. Die Geister, die Fleisch geworden waren. Bald würden ihre Brüder auf dem Nordwind heranreiten. Der alte Zapote blickte zum westlichen Horizont, wo die Sonne versunken war und blassblaues Zwielicht ein letztes Geplänkel mit den Schatten der übermächtigen Nacht führte. Das Schauspiel war ein Spiegelbild dessen, was sich hier auf der Ebene abspielte. Was war geblieben von ihrem stolzen Heer? Es hatte sich in einen riesigen Haufen verängstigter Flüchtlinge verwandelt.

»Chullunku?«

Der Statthalter von Wanu sah auf und erblickte den Tod. Er war in Gestalt eines Jaguarmanns zu ihm gekommen. Eines Anführers der Jaguarmänner, der breite goldene Armreifen trug. Das Gesicht des Kriegers war nur ein Schatten zwischen den Kiefern des prächtigen Helmes, den er trug. »Der Unsterbliche wünscht dich zu sehen.«

Müde stemmte sich der Alte hoch. Sein rechtes Knie vertrug die Kälte nicht mehr. Jedes Mal, wenn er rastete und sich anschließend erhob, gab es ein scharfes Knacken von sich, dem ein stechender Schmerz folgte. Chullunku straffte sich und verdrängte die Gedanken an den Schmerz. Er war entschlossen, dem Tod wie ein Mann entgegenzutreten. Wie ein Krieger!

Der Bote sagte nichts mehr. Er führte ihn zwischen den Kauernden hindurch. Es gab nur wenige Feuer. Die Männer waren für einen schnellen Sieg ausgerüstet worden. Es gab kaum Brennholz oder Tran. Nichts, was ein Feuer nähren konnte. Dabei waren Feuer so wichtig. Sie vertrieben nicht die Kälte. Nicht hier draußen im eisigen Wind. Aber sie hielten die Lebensgeister wach und spendeten Hoffnung.

Wieder suchten Chullunku die Bilder des großen Kellers heim. Die Wände voller Blut, die hingemetzelten Körper. Er war für sie verantwortlich gewesen. Es waren seine Männer gewesen. Arbeiter, die sich der Härte dieses Landes gestellt hatten, in der Hoffnung, dass es ihren Familien dadurch etwas besser gehen würde. Bootsfahrer, die immer wieder die gefährliche Passage hinaus zu den Inseln nahe der Küste gewagt hatten, wo das Weiße Gold gewonnen wurde. Hatte man die riesigen Schnabelfische einmal gesehen, war Augenzeuge gewesen, mit welcher Leichtigkeit sie ein Boot zerbrachen, dann erforderte es viel Mut, sich noch einmal auf das Meer hinauszuwagen. Trotz ihres Mutes und ihrer Hingabe waren sie keine Krieger gewesen. Sie waren harte Männer und doch nicht erfahren im Umgang mit Waffen. Daran, wie sie gelegen hatten, hatte Chullunku erkannt, dass die meisten versucht haben mussten, Widerstand zu leisten. Aber was konnte man schon mit Fäusten gegen Schwerter ausrichten!

Chullunku war selbst einmal Krieger gewesen. Er wusste nur zu gut, wie schnell solch ein Kampf vorüber war. Er war zu jedem Toten gegangen, hatte ihnen die Augen zugedrückt und ein kurzes Gebet gesprochen. Er kannte die Angst seiner Männer, dass ihre Geister sich im großen Dunkel zwischen den Welten verirren würden und niemals zurück nach Hause fänden. Er hoffte für sie, dass es nur eine Angst war. Er selbst fürchtete sich nicht. Aber nur deshalb, weil es für ihn kein Zuhause mehr gab. Seine Familie war tot, der Ahnenschrein zerstört und geschändet. Die Stadt Wanu war alles, wofür er gelebt hatte. Eine Stadt voller Toter …