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Dann schob sich Solaiyns Geliebte aus dem Bett. Sie hatte keine Beine! Von den Hüften abwärts besaß sie den Leib einer Schlange. Und als sie sich zu voller Größe aufrichtete, überragte sie Nodon um fast zwei Haupteslängen.

»Überrascht?« Sie lächelte und zeigte dabei nadelspitze Zähne. »Du ahnst nun, warum er mich versteckt, nicht wahr? Wenn wir reisen, sperrt er mich in eine Truhe. Er ist wirklich ein garstiger Mann.«

Nodon rang um Fassung. Eine Gestalt wie sie hatte er nie zuvor gesehen.

»Wirst du mir helfen, ihm Erleichterung zu verschaffen?« Sie glitt zum Tisch, und Nodon machte unwillkürlich einen Schritt zurück, während die Schlangenfrau das schwarz lackierte Kästchen öffnete. Darin lagen auf dunkelrotem Samt eine lange Haarnadel aus poliertem Silberstahl, die in einem hässlichen, breiten Kopf endete, und ein kleiner Hammer, ebenfalls ganz aus poliertem Stahl.

»Wir müssen die Melancholie bekämpfen, die seinen Verstand in Fesseln schlägt.« Mit diesen Worten nahm sie die Instrumente aus dem Kästchen und hob das Samtfutter an. Darunter lagen altersdunkle Lederriemen, durchzogen von feinen Rissen. Obwohl er mehr als zwei Schritt entfernt stand, glaubte Nodon den Schmerz und das Leid geradezu körperlich zu spüren, die mit diesem Kästchen verbunden waren.

Keine Haarnadel

»Was hast du mit ihm vor?« Nodon wich einen weiteren Schritt vor der Schlangenfrau zurück.

Solaiyn regte sich in seinen Armen. »Du musst mich nicht vor ihr beschützen, mein Freund. Sie ist keine Gefahr.« Die Stimme des Fürsten war so schwach und zerbrechlich wie sein ausgemergelter Leib. »Sie ist die Einzige, die mir helfen kann. Setz mich auf den Stuhl dort vorne. Den mit den schmalen Schlitzen in der Lehne.«

Nodon wusste nicht, was er von der Sache halten sollte. Das hier passte überhaupt nicht zu dem Bild, das er von ihrem vermeintlich so farblosen Heerführer hatte.

»Sie hilft mir, Nodon«, beteuerte Solaiyn schwach.

Zögerlich setzte er den Fürsten auf den Stuhl. Das Schlangenweib glitt hinter die hohe Lehne. »Er war wieder in dir?«

Solaiyn nickte. »Ja. Es kam ohne Ankündigung.« Müde sah er zu Nodon auf. »Ich glaube, er hat gespürt, dass der Schwertmeister bei mir war. Ich schätze, er hatte eine Botschaft für ihn.«

Nodon verstand kein einziges Wort. »Von wem redet ihr?«

»Der Goldene! Er hat sich meiner bemächtigt. Ich weiß nicht, wie er auf mich verfallen ist. Vielleicht bedeute ich ihm besonders wenig.«

»Besonders wenig? Und deshalb hat er dich zum Heerführer gemacht?« Solaiyn war offensichtlich irre!

»Du verstehst das nicht, Nodon. Er hat mich vor allem zu seinem Werkzeug gemacht. Durch mich kann er hier sein. Er sieht durch meine Augen, und er kann sogar durch mich sprechen, wenn er will.«

Von einem solchen Zauber hatte Nodon noch nie gehört. War es wirklich die Stimme des Goldenen gewesen, die vorhin zu ihm gesprochen hatte? Oder versuchte Solaiyn, ihn durch diese Geschichte nur einzuschüchtern?

»Was ist, Mörder? Glaubst du mir nicht? Sehe ich aus wie ein Lügner? Ich bin ein Fürst in Arkadien. Ich bin …«

»Ruhig«, die Schlangenfrau legte ihm besänftigend die Hand auf die Schulter. »Soll ich …«

»Nein!« Solaiyn hob die Hand. »Ich bin noch nicht fertig mit unserem Moralprediger mit den blutigen Händen. Du bist ein Mörder und wagst es, mich zu verurteilen!«

»Ich glaube nicht, dass ich mir das länger anhören muss.« Nodon bedachte ihn mit einem süffisanten Lächeln und legte die Hand auf den Schwertknauf. »Im Übrigen möchte ich dir den Rat geben, in Zukunft Männer, die du für Mörder hältst, freundlicher zu behandeln. Sonst wirst du eines Tages jemandem begegnen, der unbeherrschter ist als ich.«

»Drohst du mir?« Solaiyn richtete sich halb auf, sackte dann aber wieder in sich zusammen. Er war jetzt aschfahl. Feine Schweißperlen standen ihm auf der Stirn.

»Bitte …« Die Schlangenfrau strich dem Fürsten durch das Haar. »Es ist Zeit für deine Behandlung.«

Solaiyn hob den Kopf. Tiefe Falten nisteten um seine Mundwinkel. »Du bleibst hier. Ich könnte dich in Eisen legen lassen, Nodon. Oder noch etwas viel Wirkungsvolleres, um dich zu halten. Sieh dir an, was sie tut. Und hör dir an, was sie zu sagen hat.« Noch während er sprach, nahm die Schlangenfrau die Lederriemen aus dem Lackkistchen auf dem Tisch. Sie führte sie durch die Schlitze in der Rückenlehne des Stuhls und fixierte den Kopf des Fürsten. Ein Riemen lief ihm über das Kinn. Der zweite über die Stirn. Als sie festgezogen waren, vermochte er seinen Kopf nicht mehr zu bewegen.

»Starr mich nicht so an«, schimpfte Solaiyn. »Ich kann deine niederträchtigen Gedanken spüren! Du hast keine Ahnung, du Blutsäufer …«

»Ruhig.« Die Schlangenfrau schob den hohen Kragen des Fürsten zurück und beugte sich über seinen Hals. Es sah aus, als küsste sie ihn, doch als sie ihr kahles Haupt hob, sah Nodon einen Kranz blutiger Einstiche am Hals des Elfen. Er war umgeben von hellem Narbengewebe, so als wäre der Fürst schon sehr oft von dieser rätselhaften Dienerin gebissen worden.

»Was tust du da?«

»Ich schenke ihm ein wenig von meinem Gift.« Sie bedachte ihn mit einem Lächeln, das ihre nadelfeinen Zähne entblößte. »Es wirkt nicht mehr so stark wie früher. Anfangs konnte er stundenlang schlafen, wenn ich ihn gebissen habe. Es ist ein tiefer, traumloser Schlaf, den mein Gift schenkt. Aber sein Fluch stiehlt ihm diese Gnade. Sein Körper ist anders als der aller Elfen, denen ich zuvor begegnet bin. Wunden verheilen bei ihm viel schneller. Sieh nur sein Hals.«

Tatsächlich hatte sich über den Einstichen bereits Schorf gebildet.

»Eine halbe Stunde vielleicht, dann wird nur noch ein blasser Narbenkranz zu sehen sein. Er ist faszinierend. Er wird niemals krank, Verletzungen, die andere töten würden, verheilen binnen kurzer Zeit, und Gifte vermögen ihn nicht zu töten. Sein Körper gewöhnt sich an sie, und schnell werden sie völlig wirkungslos.«

»Und das nennst du einen Fluch?« Die Wunde, die ihm Nandalee zugefügt hatte, spürte Nodon immer noch. Er würde etwas dafür geben, ein Heilfleisch wie Solaiyn zu haben.

»Du hast ja keine Ahnung«, murmelte der Fürst müde. Es fiel ihm sichtlich schwer, die Augen offen zu halten.

»Nicht einschlafen«, hauchte die Schlangenfrau. »Du weißt, ich kann besser arbeiten, wenn ich währenddessen mit dir rede.« Sie sah zu Nodon auf. »Es ist sein zweites Leiden, das seinen Fall tragisch macht. Er ist zu empfindsam. Starke Gefühle hallen zu lange in ihm nach. Er kann sie nicht abstreifen. Er wird völlig unberechenbar. Manchmal ausfällig, manchmal bestraft er über jedes Maß, und manchmal zieht er sich einfach in sich zurück, über Tage, manchmal sogar Wochen. Als er seine Frau Lisandelle fand, begann für ihn eine Zeit strahlenden Glücks. Sie schenkte ihm die Söhne Talawain und Asfahal und auch zwei wunderschöne Töchter, Kyra und Maylin. Sein Leben war vollkommen. Wir, die wir nur endliche Gefühle kennen, können nicht nachempfinden, wie diese Zeit für ihn gewesen ist. Doch dann starb Lisandelle, und er stürzte in einen Abgrund der Melancholie, aus dem er keinen Ausweg mehr fand. Weder das Lachen noch das Flehen seiner Kinder vermochten ihn aus seiner Welt der Düsternis herauszuholen. Er fand mehr Gefallen an toten Dingen als an Lebendigem. Er begann Statuen zu sammeln. Manchmal starrte er sie stundenlang an. Sein Sohn Asfahal war das rebellischste seiner Kinder. Er ließ nichts unversucht, um seinen Vater aus seiner Starre zu holen. Er beschimpfte ihn, dass es bald keinen Unterschied mehr zwischen ihm und seinen geliebten Statuen geben würde. Schließlich brach er einem der Standbilder einen Finger ab, um Solaiyn dazu zu zwingen, ihn zur Kenntnis zu nehmen.« Die Schlangenfrau machte eine bedeutungsschwere Pause in ihrer Erzählung.

»Es gelang ihm. Solaiyn sperrte Asfahal für drei Tage in die lichtlose Familiengruft unter seinem wunderschönen, marmornen Palast. Es waren zwei Diener, die Asfahal schließlich befreiten. Sein Vater schien ihn dort vergessen zu haben. Lebendig begraben, wie er sich selbst nach dem Tod von Lisandelle begraben hatte. Der Junge floh noch in derselben Nacht aus dem Palast seines Vaters. Ich denke, du hast schon von ihm gehört.«