Nodon war wehrlos. Er vermochte kein Glied mehr zu regen. Mit Schrecken sah er, wie Aloki die beiden Lederriemen vom Tisch nahm.
»Wenn er mitten im Gespräch unmotiviert das Thema wechselt, dann ist es ein Zeichen, dass mein Werk vollendet ist. Er erinnert sich hinterher nie daran, worüber wir gesprochen haben.« Sie lächelte und zeigte dabei ihre bedrohlichen Zähne. »Eigentlich hat er in der Regel fast alles vergessen, was ein bis zwei Stunden vor dem kleinen Eingriff geschehen ist.« Sie löste seinen Schwertgurt und warf ihn samt Waffe neben das Bett. »Ich werde dir helfen, deine Unruhe zu überwinden, Nodon. Mehr Gleichmut macht das Leben schöner. Bleib einfach über Nacht hier. Niemand wird uns stören.«
Nodon kämpfte dagegen an, dass ihm die Augen zufielen. Sie schnallte einen Lederriemen über seine Stirn. Er wollte sich aufbäumen, doch seine Glieder versagten ihm den Dienst. Gleichzeitig hatte er ein Gefühl, als rinne Eiswasser durch seine Adern.
Der zweite Riemen wurde über sein Kinn gelegt. Sein Mund war staubtrocken. Wie hatte er sich nur so übertölpeln lassen können!
»Haderst du mit dir?«, fragte Aloki spöttisch. »Ich habe dich nicht angelogen. Ich bin wirklich keine Zauberweberin. Mich schnell bewegen zu können ist eine Gabe, die mir ins Nest gelegt worden ist. Ich kann es einfach. Dabei wäre ich so gerne wie ihr Drachenelfen.« Sie beugte sich hinab und küsste ihn sanft auf die Stirn. »Wie viel Wissen und Macht sich unter dieser Knochenplatte verbirgt. Ich wüsste wirklich gerne, ob eure Gehirne anders aussehen. An welcher Stelle liegt die Begabung zur Magie?« Sie wandte sich zum Tisch und nahm die Nadel und den kleinen Hammer auf. »Glaubst du, man kann die Gabe, Zauber weben zu können, mit einem Stich ins Hirn stimulieren? Oder aber vernichten? Ich wüsste das wirklich gerne.«
Nodon versuchte etwas zu sagen, doch seine taube Zunge vermochte gerade noch einen unverständlichen, lallenden Laut hervorzubringen.
»Kämpf nicht dagegen an.« Aloki zog die Nadel zwischen Daumen und Zeigefinger hindurch, und ein wenig schleimige Substanz blieb an den Fingern haften. »Du wirst jeden Augenblick einschlafen. Und ich verspreche dir, wenn du morgen früh erwachst, wirst du ein ganz anderer Mann sein. Du wirst Solaiyn dann viel besser verstehen können.«
Ein Brautkleid und eine Tote
Bidayn drehte sich vor dem großen Spiegel und betrachtete selbstversunken ihr Hochzeitskleid. Dieses verschlafene Provinznest war tatsächlich für einige Überraschungen gut gewesen, ebenso wie Shanadeen. Ihr Zukünftiger hatte sich in die Unausweichlichkeit ihrer Hochzeit gefügt. Ja, er war es sogar gewesen, der diese wunderbare Schneiderin aufgetan hatte. Eine junge Elfe aus den Mondbergen. Sie hatte sich auf Anhieb bestens mit ihr verstanden. Nicht einmal hatte Enya eine Bemerkung zu dem bedauerlichen Geruch gemacht, der Bidayn anhaftete. Sieben Mal war sie zu Anproben zur Schneiderin gegangen, bis alles ihren Wünschen entsprach. Shanadeen hatte das Kleid bisher nicht zu sehen bekommen. Bidayn lächelte. Er würde rot anlaufen, wenn sie gleich in die große Halle trat. Er war so ein entsetzlicher Langweiler. Durch und durch förmlich. Nicht ein einziges Mal hatten sie beieinander gelegen. Sie hatte schon gar keine Lust mehr, zur Hochzeitsnacht in sein Bett zu steigen. Seine Küsse waren stets scheu. Vor anderen war es ihm unangenehm, Zärtlichkeiten mit ihr auszutauschen. Und selbst wenn sie allein waren, blieb er immer unbeholfen. Wie er es wohl geschafft hatte, zwei Töchter zu zeugen? Bidayn grinste böse. Vielleicht waren es ja auch gar nicht seine Töchter, und Nevenyll hatte ihm Hörner aufgesetzt.
»Du siehst wunderschön aus, wenn du lächelst!« Lydaine klatschte vor Begeisterung in die Hände, und eine lange, blonde Strähne löste sich aus ihrem hochgesteckten Haar.
»Bleib doch still sitzen, Kind!«, ereiferte sich Kruppa, die an diesem besonderen Tag ihr Regiment über die Küche vorübergehend aufgegeben hatte, um dafür zu sorgen, dass die Braut und ihre Brautjungfern auch wirklich hinreißend aussahen.
»Hinsetzen! Auf die Kleidertruhe da! Sofort!«, kommandierte sie scharf. »Maya! Steck ihr das Haar wieder hoch. Und wehe, du rührst dich noch mal vom Fleck, Lydaine! Nimm dir ein Beispiel an deiner Schwester. Die bleibt die ganze Zeit brav sitzen.«
Maya hatte einige Mühe, mit ihrem Holzbein auf das Bett zu klettern, um sich dann hinter Lydaine zu stellen und ihr Haar zu richten. Die kleine Koboldin strahlte über das ganze Gesicht. Sie war mindestens so aufgeregt wie Lydaine. Wie ihre Mutter hatte auch sie zur Feier des Tages ein neues Kleid bekommen. Es war von einem kräftigen Rot, das gut mit ihrer dunklen Haut harmonierte. »Du musst wirklich vorsichtiger sein«, flüsterte sie Lydaine ins Ohr. »Dein Blumenkranz sitzt auch schon wieder schief.«
»Ich werde niemals herumsitzen wie ein toter Fisch«, sagte Lydaine eingeschnappt. »So bin ich eben nicht.«
»Wer nennt mich einen toten Fisch?« Farella blieb zwar immer noch ruhig sitzen, aber Zornesröte stieg ihr ins Gesicht. »Das hast doch nicht du dir ausgedacht. Du denkst dir nie etwas aus, dumme Kuh.«
»Besser ’ne lebendige Kuh als ein toter Fisch!«, entgegnete Lydaine aufgebracht. »Und wenn du es wirklich wissen willst: Graumur nennt dich so, wenn du nicht in der Nähe bist.« Der Blondschopf setzte ein triumphierendes Lächeln auf. »Was machst du jetzt? Hingehen und Vaters Minotaur verprügeln.«
»Graumur …« Farella runzelte die Stirn. »Weißt du, wie er dich nennt? Floh, weil du so wie Flöhe keinen Augenblick still sitzt!«
»Das ist nicht wahr!«, rief Lydaine betroffen. »Graumur mag mich! Er würde mich niemals Floh nennen.«
»Aber sicher mag er Flöhe!« Farella setzte ein vernichtendes Lächeln auf. »Hast du ihm schon mal zugesehen, wie er Flöhe aus seinem Fell liest? Jedes Mal wenn er einen zu packen bekommt, knackt er ihn mit den Zähnen. Scheint ihm zu schmecken.«
»Tut er das wirklich?« Lydaine sah aus, als würde sie jeden Augenblick anfangen zu weinen. »Nennt er mich wirklich Floh?«
»Hört auf, meine Täubchen«, sagte Bidayn mit einem Anflug von Strenge in der Stimme. »Dies ist mein Freudentag und kein Tag, um zu streiten.« Sofort senkten beide den Kopf. Sie gehorchten ihr gut. Manchmal sagten sie sogar Mutter zu ihr. Bidayn mochte das nicht sonderlich. Sie fühlte sich dann alt.
»Vielleicht sollte man hier doch noch ein paar Stiche …«, setzte Kruppa schon zum dritten Mal an diesem Morgen an und deutete auf Bidayns Hüfte. »Das ist schon sehr freizügig … für eine Braut.«
Bidayn mochte den Schlitz im Kleid, der fast bis zu ihrer Hüfte reichte. Sie hatte lange, schlanke Beine. Die Zeit auf Nangog hatte an ihrem Körper gezehrt. Sie war dünner geworden und gefiel sich nun besser. Ihr Kleid zeigte das. Es war halb durchsichtig. Natürlich nicht an allen Stellen. Vor allem nicht auf ihrem Rücken, musste sie doch die Tätowierung verbergen, die nur schwerlich zu erklären gewesen wäre. Der Drache, den ihr der Goldene in einer Orgie lustvollen Schmerzes tief unter die Haut gestochen hatte.
Die wundervoll verschlungenen Blumenmuster auf ihrem Kleid verdeckten ihr farbenprächtiges Hautbild. Enya hatte unzählige Stunden daran gearbeitet. Und die Schneiderin hatte um Bidayns Geheimnis gewusst. Sie hatte die Tätowierung sehen müssen, um die Stickereien daran anzupassen. Enya hatte Stillschweigen gelobt.
Bidayn strich über die langen Ärmel und genoss die Berührung des kostbaren Stoffs. Das Brautkleid lag wie eine zweite Haut auf ihrem Körper. Bei diesem Gedanken musste die Drachenelfe unwillkürlich lächeln.
Sie ergötzte sich an der cremeweißen Farbe. Drehte sich und sah zu, wie der Saum, der bis zu ihren Knöcheln reichte, bei der Bewegung aufwirbelte und ein Rad aus schillerndem Stoff um sie herum formte. Sofort war Lydaine wieder auf den Beinen und tat es ihr gleich. Die beiden Mädchen hatten Kleider aus demselben Stoff, doch war er mit weißer Seide unterfüttert, sodass die Kleider weniger aufreizend wirkten.