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Maya stieß einen spitzen Schrei aus und balancierte mit ausgestreckten Armen auf der Bettkante, so plötzlich war Lydaine aufgesprungen. Und wieder hatte sich eine Strähne ihres blonden Haars gelöst, und auch ihr Blumenkranz saß schief.

»Ich gebe es auf mit euch beiden.« Schmollend verschränkte Kruppa die Arme vor der Brust. »Ihr seid ja verrückt wie Blütenfeen.« Sie legte die Stirn in Falten. »Ich bleibe dabei. So ein Kleidchen mag eine anziehen, die ihren Mann noch sucht und es mit manchen Anstandsregeln nicht so genau nimmt. Wer seinen Mann gefunden hat, sollte sich nicht mehr auf solche Art zur Schau stellen.«

»Da ich hier nun die Herrin im Hause bin, stelle ich auch die Regeln auf. Es ist besser, du gewöhnst dich daran, Kruppa. Und sei vorsichtig, wenn du auf die Idee kommen solltest, mir als kleine Anerkennung in mein Essen zu spucken.«

»Also, so etwas! Das muss ich mir nicht bieten lassen. Es gibt viele Häuser in der Stadt, die froh wären, mich in der Küche zu haben …«

»Ich könnte gleich während des Hochzeitsessens verkünden, dass ich dich gestern bei dieser Untat ertappt habe und du entlassen bist. Du würdest in weitem Umkreis keine Anstellung mehr finden.«

»Du … du bist.« Kruppa stampfte vor hilfloser Wut mit ihrem Fuß auf.

»Nicht du. Ich bin deine Herrin, nicht deine Freundin. Gewöhne dich daran, und ich werde eine sehr großzügige Herrin sein.«

Die Kinder folgten mit großen Augen dem unerwarteten Streit.

»Ich gehe«, sagte Kruppa schließlich und ließ wohl mit Absicht offen, ob sie nur das Zimmer oder gleich das Haus verlassen wollte. »Du bringst Unglück, Bidayn. Die kleine Enya hat das Unglück diese Nacht ereilt, und ich fühle, dass es wie eine dunkle Wolke auch schon auf diesem Haus lastet. Maya!« Sie streckte fordernd die Hand nach ihrer Tochter aus. »Komm!«

Das Koboldmädchen ließ sich vorsichtig vom Bett gleiten. Es war so still in der Ankleidekammer, dass das Klacken ihres Holzbeins so laut wie Hammerschläge ertönte. Mit Tränen in den Augen sah sie zu Bidayn auf. Sie hätte gleich eines der Blumenmädchen sein sollen, die beim Einzug in die Festhalle Blüten vor ihre Füße streuen würden. Seit einer Woche hatte Maya von nichts anderem mehr gesprochen. Für sie war diese Bagatelle zur bedeutendsten Stunde ihres Lebens geworden. Wenn Kruppa sie darum bitten würde, könnte Maya immer noch zum Fest erscheinen.

Doch die dicke Köchin stampfte, ohne sich ein einziges Mal umzusehen, aus dem Zimmer, und Maya folgte ihr mit hängenden Schultern.

»Das war ungerecht!«, rief Lydaine und stürmte den beiden schluchzend hinterher.

Die Drachenelfe sah zu Farella, die immer noch still auf ihrem Platz saß. »Und? Willst du auch vor der Tyrannin davonlaufen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Kruppa erlaubt sich zu viel. Aber … Was ist mit Enya? Warum sagt Kruppa, dass du ihr Unglück gebracht hast.«

»Weil sie ein abergläubisches, dummes, kleines Koboldweib ist.« Bidayn schenkte Farella ihr bezauberndstes Lächeln. »Auf das Geschwätz von Kobolden sollte man nicht zu viel geben.«

Farellas Gesicht blieb ernst. »Ich habe Kruppa und Graumur heute Morgen belauscht. Graumur kam gerade aus der Stadt. Er hat von Enya erzählt. Sie ist tot. Etwas Schreckliches muss geschehen sein …« Shanadeens Tochter sah zu ihr auf.

»Und was ist geschehen?«, fragte Bidayn.

Das Mädchen zuckte mit den Schultern. »Die beiden haben mich bemerkt und aufgehört zu sprechen. Aber Graumur wirkte ganz aufgewühlt. Ich habe ihn so noch nie gesehen. Er hat doch früher in richtigen Schlachten gekämpft. Wie kann es sein, dass ihn der Tod da noch erschreckt?«

»Mit solchen Gedanken sollten sich Kinder nicht belasten«, sagte Bidayn entschieden. »Hier hatte Kruppa ausnahmsweise einmal recht. Es ist besser, wenn du gar nichts darüber hörst.«

Farella schüttelte den Kopf, und ihre großen Augen erschienen Bidayn nicht zum ersten Mal wie dunkle Abgründe. »Ich sehe aus wie ein kleines Mädchen, aber ich bin keines. Manchmal tue ich so, weil das Leben leichter ist, wenn man der ist, der man zu sein scheint. Vater ist glücklich, wenn ich ihm vorgaukle, ich wäre noch dieselbe wie an jenem Tag, als meine Mutter sich ins Meer gestürzt hat. Aber das ist nicht die Wahrheit. Mein Körper hat aufgehört zu wachsen und zu altern. Mein Verstand aber ist längst nicht mehr der eines kleinen Mädchens.«

Bidayn musste sich setzen. Sie hatte Farella immer lieber gemocht. Das stille Mädchen hatte sie an ihre eigene Kindheit erinnert. Ihre unentwickelte Gabe, eine Zauberweberin zu sein, hatte sie zur Außenseiterin gemacht, genau wie Farella.

»Gilt das auch für Lydaine?«

Farella schüttelte den Kopf. »Nein, sie ist genauso kindisch, wie sie sich gibt. Der Fluch, oder was immer es war, was uns bei Mutters Tod getroffen hat, wirkt bei uns beiden unterschiedlich. Sie ist wirklich das Kind, das sie zu sein scheint.« Farella sagte das voller Verachtung. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie schwer es ist, in diesem Palast mit Lydaine eingesperrt zu sein. Alle erwarten, dass ich mit ihr spiele und mich gut mit ihr verstehe. Ich wäre so gern wie du! Und ich würde so gerne bei einem Mann liegen. Aber du kannst dir wohl vorstellen, dass es niemand wagt, mich auch nur lüstern anzusehen. Mich, das kleine Mädchen des mächtigen Handelsherren Shanadeen.« Sie seufzte. »Du kennst jetzt mein Geheimnis, Bidayn. Nun verrate du mir, wie Enya gestorben ist. Du weißt es doch, nicht wahr? Vor dir verbergen sie nichts. Hat sie sich von der Klippe gestürzt wie meine Mutter? Haben sie ihre Leiche zerschmettert zwischen den Felsen gefunden? Es war Vollmond gestern Nacht. Der Mond übt einen düsteren Zauber auf die Melancholischen aus. Er zieht sie hinaus auf die Klippe. Ich selbst habe es auch schon gespürt.«

»Bist du wirklich sicher, dass du etwas wissen willst, was einen kampferprobten Minotauren erschreckt hat?«

»Ich bin kein Kind!«, entgegnete sie verärgert. »Und nichts zu wissen heißt, sich alles auszumalen.«

Bidayn war es leid zu diskutieren. Sollte die Kleine sehen, wie sie mit dem klarkam, was ihre Neugier ihr einbrachte. »Keiner weiß, wer Enya getötet hat, aber wer immer es war, hat ihr bei lebendigem Leib die Haut abgezogen. Es heißt, als man sie gefunden hat, wäre nicht mehr das kleinste Stückchen Haut auf ihrem Körper gewesen. Die kleine Schneiderin wurde also gewissermaßen ausgezogen. Was der Mörder mit der Haut getan hat, ist ungewiss. Im Haus der Schneiderin war sie nicht mehr.«

Farella schien von der Schilderung nicht berührt zu werden. Sie nickte lediglich. »Warum macht man das?«, fragte sie schließlich nach einer Weile.

»Schwer zu sagen. Vielleicht war es ein verrückter Jäger? Jemand, der statt Fellen Elfenhaut sammelt? Vielleicht will er sich einen Mantel oder eine Weste machen und fand es amüsant, eine Schneiderin als Opfer zu wählen, aus dem er sich ein neues Kleidungsstück fertigt? Die Welt ist voller Verrückter, Farella. Man sollte sich nie an einem Ort zu sicher fühlen.« Kaum, dass die Worte über ihre Lippen waren, taten sie Bidayn leid. Sie wollte das Mädchen nicht unnötig ängstigen.

»Ich möchte so sein wie du, Bidayn. Du hast dich so verändert, seit Vater bekannt gegeben hat, dass er dich heiraten wird. Früher habe ich dich für …« Sie zögerte kurz. »Für farblos gehalten.«

Bidayn musste über die Umschreibung lächeln. Sie wusste ganz genau, was die Kleine hatte sagen wollen. So, wie sie als Kindermädchen aufgetreten war, sie eine graue Maus zu nennen wäre noch geschmeichelt gewesen. Verhuscht, voller Furcht vor Männern, ja vor der ganzen Welt, hatte sie wirken wollen. Seit sie Shanadeen zur Hochzeit gezwungen hatte, war es nicht mehr nötig, diese Maskerade zu betreiben. Auch wenn sie sich bemühte, ihren Wandel nach außen nicht ganz so offenkundig werden zu lassen.

»Wie zieht man eine Haut ab?«

Bidayn glaubte, nicht richtig gehört zu haben. »Was?«

»Wie geht das?«, fragte Farella so arglos, als ginge es um irgendeine Belanglosigkeit wie ein Rezept oder ein Stickmuster. »Wie zieht man eine Haut ab? Ist das so, wie einen Apfel zu schälen?«