»Aegidos«, wiederholte Asfahal den Namen laut. »Heute Abend werden Fürsten auf dein Wohl trinken.« Mit diesen Worten ritt er weiter.
Die Straßen Uttikas waren voll von feierndem Pöbel. Der Duft von gebratenem Fleisch und frisch gebackenem Brot vermischte sich mit dem Geruch von verschwitzten Pferdeleibern und dem Salzgeruch, den eine leichte Brise vom Hafen herauftrug. Asfahal erfuhr, dass Shanadeen dreißig Ochsen hatte schlachten lassen und es Brot für alle gab. Die ganze Stadt feierte Bidayns Hochzeit. Betrunkene Kentauren lehnten an Hauswänden und grölten unflätige Lieder. Kobolde mit Sackpfeifen und Flöten tanzten durch das Gedränge. Vereinzelt sah er sogar Elfen in dem Gewühl und einmal zwei hünenhafte Minotauren, die ausgelassen lachend durch das Gedränge pflügten.
Die kleine Bidayn hatte es weit gebracht. Er erinnerte sich daran, wie sie zusammen mit Nandalee in die Weiße Halle gekommen war. Nandalee hatte sich damals mit Ailyn angelegt und eine gehörige Tracht Prügel von der Meisterin bezogen. Die stolze, hochgewachsene Nandalee mit ihrer wallenden, blonden Mähne vergaß man nicht. Die Erinnerung an Bidayn hingegen war undeutlich. Klein, ein wenig pummelig, mit schwarzem Haar war sie gewesen. Ihr Gesicht war ihm nicht deutlich im Gedächtnis geblieben. Und doch, obwohl sie unscheinbar war, hatte sie es geschafft, zu einer Favoritin des Goldenen aufzusteigen. Sie war eine Drachenelfe geworden, während die Meister ihn wenige Wochen nach der Ankunft der beiden neuen Schülerinnen aus der Weißen Halle vertrieben hatten.
Asfahal lachte so laut, dass zwei zechende Faune sich nach ihm umdrehten. Der Elf hatte es sich lange abgewöhnt, mit den Launen des Schicksals zu hadern. Er war neugierig zu sehen, was aus Bidayn geworden war.
Er lenkte seinen Schimmel durch das Gewühl, kaufte einen köstlichen, klebrigen Honigkringel von einem fliegenden Händler, der seine kulinarischen Schätze auf einer langen Stange über der Schulter trug. Kopfschüttelnd sah er eine Weile einem Troll zu, der mit einer Gruppe junger Koboldartisten jonglierte und die tollkühnen kleinen Darsteller wie Bälle hoch in die Luft warf, wo diese ihrerseits alle erdenklichen artistischen Kunststückchen vollbrachten, von Saltos und Schwalben bis hin zu einem, der, hoch emporgeworfen, selbst mit zwei Bällen jonglierte. Die Gruppe erntete viel Applaus und stahl allen anderen Darstellern auf dem Marktplatz die Schau.
Nach dem einsamen Ritt durch das Windland genoss Asfahal den Trubel. Er schloss die Augen und lauschte auf all die Stimmen ringsherum – Prahlereien, Staunen, ein Blumenmädchen, das seine Ware anpries, und ein Schlangenölverkäufer, der seinen Kunden das Blaue vom Himmel vorlog, ein geflüsterter Liebesschwur in einer Seitengasse, ein Zuckerbäcker, der kandierte Mäuseherzen feilbot, und eine dunkle Stimme, die mit einem Straßenmädchen hart über den Preis für eine schöne Stunde verhandelte. Die ganze Stadt war in ausgelassener Stimmung, die mehr und mehr auch auf Asfahal abfärbte. Er wollte Spaß haben und nicht einfach nur als ein weiterer unter Dutzenden Gästen auf der Hochzeit erscheinen.
Zu lauschen und viele verschiedene Stimmen zugleich klar zu hören und auseinanderhalten zu können, gehörte zu seinen besonderen Begabungen. Er konnte sich selbst nicht erklären, wie er das machte. Er hatte es nicht gelernt. Vielleicht lag es an der Stille, die stets im Palast seines Vaters geherrscht hatte, nachdem seine Mutter Lisandelle gestorben war. Er erinnerte sich noch gut, wie er oft stundenlang in einem seiner Verstecke gelegen und gelauscht hatte. Doch keine Stimme war zu hören gewesen. Wie wunderbar war da diese turbulente, stinkende Stadt voller verschwitzter, gut gelaunter Albenkinder.
Da wurde er eines Misstons inmitten der ausgelassenen Feststimmung gewahr. Ein leises Schluchzen, ganz nahe. Asfahal zog seinen Schimmel um den Zügel und lenkte ihn ungeachtet des leisen Maulens einiger Kobolde in eine Seitengasse. Dort kauerte auf einer Rampe, die hinauf zur Stadtmauer führte, ein Mädchen in einem roten Kleid und weinte bitterlich, das Gesicht in den Händen vergraben. Niemand drehte sich nach ihr um. Sie schien das einsamste Geschöpf inmitten dieser Stadt in Feierlaune zu sein. Ihr Leid erinnerte ihn an seine Kindheit, seine Einsamkeit, und er stieg ab.
Sanft legte er ihr die Hand auf das schwarze Haar, das zu einem Dutt hochgesteckt war, den eine Rose aus zartem weißen Stoff schmückte. »Magst du Honigkringel, Kleine?« Er hielt ihr den angebissenen Kringel hin.
Das Koboldmädchen blickte zu ihm auf. Ihre Augen waren rot umrandet. Klarer Rotz troff ihr von der Nase. Sie machte keine Anstalten, nach dem Gebäck zu greifen.
»Wie heißt du denn?«
»Maya«, kam es zögerlich mit halb erstickter Stimme.
Asfahal ging in die Hocke, sodass sie fast auf Augenhöhe waren. Lächelnd biss er in den Kringel. »Köstlich! Ich liebe Süßigkeiten. Willst du nicht doch etwas?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Die ganze Stadt feiert. Wie kann man an einem solchen Tag traurig sein? Magst du mir erzählen, was geschehen ist.«
Die Kleine starrte ihn einfach nur an. Dann schluchzte sie wieder, und dicke Tränen rannen ihr über die Wangen.
»Du hast ein wunderschönes Kleid an, Maya. Damit solltest du tanzen und nicht in einer finsteren Ecke sitzen und weinen. Heute ist ein Festtag.«
»Aber sie wollen mich doch nicht mehr auf dem Fest«, sagte sie voller Verzweiflung. »Meine Mutter hat mit der Herrin gestritten … Eigentlich war ich eine Blumenmaid …«, stieß sie schluchzend hervor. »Aber dann hat Mutter mir verboten, für die Herrin Blumen zu streuen. Und sie wollte auch nicht, dass ich auf das Fest gehe. Dabei hatte ich mich so gefreut … Die Herrin hat extra dieses Kleid für mich machen lassen. Es wäre der schönste Tag in meinem Leben gewesen!« Wieder vergrub sie das Gesicht in den Händen. Ihr Rücken bebte unter den verzweifelten Schluchzern.
»Ist das die Hochzeit von Bidayn, von der du da sprichst?«
Maya nickte. »Ich hatte mich so darauf gefreut …« Ihre Worte erstickten in Schluchzern.
»Und deine Mutter hat dir verboten, als eine Blumenjungfer dorthin zu gehen?«
Wieder nickte die kleine Koboldin.
»Dann wirst du mich wohl als meine Dame begleiten müssen.«
»Was?« Sie hob den Kopf und sah ihn ungläubig aus ihren schwarzen Augen an.
»Wir verstoßen damit nicht gegen das Gebot deiner Mutter. Und es steht mir als Gast frei, in Begleitung einer Dame zu erscheinen.« Asfahal machte eine elegante Verbeugung. »Werte Maya, würdet Ihr mir die Gunst erweisen, mich auf die Hochzeit der ehrenwerten Herrin Bidayn zu begleiten?«
Sie kicherte verlegen. »Ich bin doch gar keine Dame.«
»Mich dünkt, Ihr seid mit Eurem wunderbaren roten Kleid viel trefflicher für eine Hochzeit gewandet als ich mit meinen von der Reise staubigen Gewändern. Euer Glanz wird von meiner Unzulänglichkeit ablenken.«
»Du meinst das ernst?« Überdeutlich klang die Angst vor neuerlicher Enttäuschung in ihren Worten.
Mit großer Geste legte er sich die Rechte auf seine Brust. »Mögen die Alben mein Herz verdorren lassen, wenn meine Worte nicht aufrichtig gemeint sind.«
Maya schluckte. Dann tastete sie nervös nach ihren Haaren. »Meine Haare … Ich sehe sicher ganz schrecklich aus.«
»Ihr solltet in der Tat Eure Tränen trocknen, meine Liebe. Bitte verzeiht, dass ich kein Tüchlein zur Hand habe. Darf ich Euch einen Zipfel meines Umhangs anbieten, werte Dame?«
Maya griff nach dem Saum seines Umhangs. Dann sah sie zu ihm auf. »Bitte, rede nicht so seltsam mit mir. Das … das fühlt sich ganz falsch an. Ich bin doch keine Elfendame. Und …« Sie schob ein Holzbein unter dem Saum ihres Kleides hervor. »Ich werde auch nicht tanzen können.«
»Wenn ich es richtig einschätze, dann wird dies ein Fest mit jeder Menge Vierbeinern. Wollen wir wetten, dass wir beide jeden Kentauren in Grund und Boden tanzen?«