»Komm mit vor die Tür. Ich will mit dir sprechen, Elf.«
Aus dem stillen Staunen im ersten Augenblick nach Asfahals Sieg wurde nun ein vielstimmiges Murmeln. Wettgewinne wurden ausgerechnet und mit überschäumendem Jubel ausgerufen. Der Herr des Hauses stand inmitten einer Schar von Faunen und Kobolden und wies seine Dienerschaft an, den Boden zu wischen.
Maya eilte an Asfahals Seite. »Das hat sicher wehgetan, als er dich getreten hat …«
Der Elf nickte. »Stimmt!« Dann fuhr er so laut fort, dass es alle Umstehenden hören konnten. »Ich habe großes Glück, noch auf den Beinen zu sein. Eigentlich gebührt der Siegeslorbeer dem Punsch, der Fürst Sekander zu Fall gebracht hat.«
Leises Gelächter erklang.
Nur Sekander blickte noch ernst. Als er dicht vor Asfahal trat, stellte sich ihm Maya erneut in den Weg. »Bitte streitet nicht mehr …«
Jetzt endlich lächelte auch der Fürst. »Der nächste Punsch, der mich umhaut, soll vorher zumindest in meinem Magen gelandet sein.« Er deutete auf Maya. »Du bist Einbein, nicht wahr?«
Das kleine Mädchen erzitterte allein unter dem Blick des riesigen Kriegers. Asfahal legte schützend einen Arm um sie.
»Es tut mir leid, dass es zu dem Unfall mit einem meiner Männer kam«, sagte der Fürst. Doch der Ton der Stimme passte so gar nicht zu den Worten.
»Er ist nie bestraft worden …«, wagte Maya zu sagen, obwohl sie dabei am ganzen Leib zitterte.
Wieder begann Sekander unruhig mit den Hufen zu stampfen. Es war ihm sichtlich unangenehm, der kleinen Koboldin begegnet zu sein. Er winkte seinen Begleitern. »Mein Schwert!«
Asfahal traute seinen Augen nicht. Der Schwertträger warf dem Fürsten die Waffe zu, der sie in der Luft auffing. Was würde das … Sekander riss eine der Münzen vom breiten Brustgurt und hielt sie Maya hin. »Ich stehe in deiner Schuld. Wenn du jemals die Hilfe deines Fürsten brauchst, zeige diese Münze irgendeinem der Kentauren in der Stadt, und du wirst vor mich gebracht werden.«
Maya zögerte sie anzunehmen. »Ist das Gold?«
»Nicht das Gold ist von Wert. Meine Gefallen kann man für Gold nicht kaufen.« Er drückte ihr die Münze in die Hand und schloss ihre Finger darum. »Gib gut darauf acht. Dies ist ein Schatz.« Seine klaren, blauen Augen richteten sich auf Asfahal. »Und du kommst jetzt mit mir.«
Gemeinsam durchquerten sie die Eingangshalle und traten vor den Stadtpalast. Ein Wink des Fürsten genügte, und alle, die in Hörweite standen, zogen sich zurück. »Hast du mir etwas zu sagen, Elf?« Er stemmte seine mächtigen Fäuste in die Hüften.
»Nicht dass ich wüsste.«
»Dann sage ich dir jetzt etwas. Du bist nicht der Mann, der du vorgibst zu sein. Wenn du es nicht gewollt hättest, hätte ich dich mit meinem Tritt nicht erwischt. Es war kein Zufall, dass du die Punschschüsseln vom Tisch gerissen hast. Und es war auch kein Zufall, dass die Erdbeeren dort lagen, wo ich auf ihnen ausgerutscht bin. In meinem ganzen Leben habe ich von keinem Elfen gehört, der einen Kentauren mit bloßen Fäusten zu Boden geschickt hätte. Was also macht ein Mann wie du hier in Uttika?«
»Die Hochzeit meiner Halbschwester besuchen«, entgegnete Asfahal lächelnd. »Was hältst du vom Würfelspiel, Fürst? Ich würde dich gern einmal besuchen kommen. Ich bringe eine Amphore guten Wein mit, und wir beginnen einfach noch einmal von vorn.«
»Bemühe dich nicht. Ein Mann, der etwas verbirgt, wird niemals mein Freund sein. Du bist nicht echt. Ebenso wenig wie Bidayn. Keiner im ganzen Fürstentum hat verstanden, warum Shanadeen plötzlich sein Kindermädchen heiraten will. Und dann noch dieser Mord letzte Nacht. Ich werde euch Elfen im Auge behalten. Und ich finde heraus, was in meiner Stadt vor sich geht.«
Asfahal war kurz versucht, nach dem Mord zu fragen, entschied dann aber, Sekander nicht weiter zu reizen. »Was hatte das mit der Münze auf sich?«
Der Fürst schnaubte ärgerlich. »Eine alte Geschichte. Es war der Sohn einer Schwester meiner Frau, der die Kleine verstümmelt hat. Ich konnte ihn nicht angemessen bestrafen. Ich habe mein Weib genommen, um den Bund zwischen unseren Sippen zu stärken. Den Jungen zu bestrafen hätte alte Gräben wieder aufgerissen.« Er lächelte. »Jetzt ist er auf Nangog. Vielleicht ist das Schicksal ja ein besserer Richter als ich.«
Der Fürst imponierte Asfahal. Bislang hatte er Kentauren immer für hirnlose Barbaren gehalten. Offensichtlich ein Fehler. »Schade, dass wir keine Freunde sein können.«
»Es liegt ganz bei dir, Elf. Freundschaft fängt mit Wahrheit an.«
Ohne Skrupel
Während der endlosen Festlichkeiten hatte Bidayn immer wieder verstohlen zu Asfahal geblickt, der erfreulicherweise sein Pferd doch noch den Stallknechten überlassen hatte. Er war noch genau so, wie sie ihn aus der Weißen Halle in Erinnerung hatte. Frech und geradezu unverschämt gut aussehend. Seiner Kleidung, obwohl durchaus von feinem Schnitt und guter Qualität, war anzusehen, dass sie schon bessere Tage gesehen hatte. Die Tunika wirkte ein wenig abgetragen, der Saum seines weißen Umhangs war ausgefranst, und das Leder seiner Stiefel rissig. Doch der polierte Stirnreif aus Silber und sein gewinnendes Lächeln verliehen ihm eine Noblesse, die all die kleinen Unzulänglichkeiten verblassen ließ. Nie hatte Bidayn einen begehrenswerteren Mann gesehen. Und nicht nur ihr erging es so. Fast alle anwesenden Damen beobachteten ihn verstohlen. Sein spektakulärer Auftritt hatte ihn nur noch interessanter gemacht.
Shanadeen hingegen hasste ihn. Immer wieder ließ er im Laufe der Feierlichkeiten ätzende Bemerkungen fallen. Ihr sonst so ruhiger und ausgeglichener Gatte hatte völlig die Contenance verloren. Nie hatte Bidayn ihn so viel trinken sehen. Und er vertrug nichts, wie sich allzu bald zeigte.
»Höflichkeit und Respekt, das sind die Säulen, auf denen jedes erfolgreiche Geschäft ruht«, erklärte er Alarion, dem ersten Kapitän seiner kleinen Handelsflotte. Alarion war ein harter, verschlagener Mann. Eine Narbe zerteilte seine rechte Augenbraue und hatte eine feine, weiße Linie auf der Wange darunter hinterlassen. Er hatte pechschwarzes Haar und seltsame, bernsteinfarbene Augen, deren Blick Bidayn stets als unangenehm empfand. Alarion mochte sie nicht, und er machte keinen Hehl daraus.
»Es scheint mir schon eine recht zweifelhafte Familie zu sein«, sagte er mit voller Absicht so laut, dass Bidayn es deutlich hören konnte. »Es würde mich allerdings nicht wundern, wenn er sich mit diesem Auftritt den Respekt der Kentauren erobert hätte. Die Pferdemänner sind närrisch. Sie schätzen Prügeleien und Aufschneider.«
»Und du, Alarion, lotest du gerade aus, wie lange ein offenes Wort zu führen eine Tugend ist und ab wann es zur Beleidigung wird?«, fragte Bidayn mit kühlem Lächeln.
Shanadeen fuhr zu ihr herum und stieß dabei gegen ein volles Weinglas.
Bidayn schnappte es, bevor es vom Tisch fallen konnte, doch die Hälfte des Weins ergoss sich über das strahlend weiße Tischtuch und troff ihr in den Schoß.
Verzweifelt versuchte sie, mit einer Serviette noch etwas zu retten, doch ihr Kleid war ruiniert. Sie sah aus, als hätte sie unerwartet ihre Tage bekommen.
»Entschuldige, meine Liebe, ich …« Shanadeen wirkte geknickt. »Ich …«
»Ich werde mich umziehen.« Bidayn erhob sich. Es gelang ihr nicht ganz, ihre Wut zu verbergen. »Ich werde mich umziehen und erwarte dich in unserem Schlafgemach. Es wäre für unsere Hochzeitsnacht von Vorteil, wenn du nicht länger dem Wein zusprechen würdest.« Diesmal hatte sie so laut gesprochen, dass alle ringsherum es gehört hatten.
Schamesröte stieg Shanadeen ins Gesicht.
»Deine Braut erwartet dich in einer halben Stunde, mein Gemahl«, wiederholte sie so zuckersüß, dass es ironisch klang.
Shanadeen schob sein Weinglas von sich, antwortete aber nicht.