Bidayn hatte das Gefühl, dass jeder auf den Weinfleck in ihrem Schritt starrte, als sie die Festhalle durchquerte. Dieser verdammte Tollpatsch, dachte sie wütend und stellte sich vor, wie sie ihm die Kehle durchschnitt, statt ihm eine Liebesnacht zu schenken.
Sie fand Asfahal an der linken der beiden Rampen, die in der Eingangshalle hinauf zum ersten Stock führten. Er flirtete mit einer rothaarigen Elfe, die sie nicht kannte.
»Meine wunderschöne Schwester!« Er weitete die Arme. »Endlich kann ich dir mit einem Kuss zu deinem unsäglichen Glück gratulieren.«
Sie musste schmunzeln. Was für eine treffende Formulierung. Unsägliches Glück.
Er schloss sie in die Arme und hauchte ihr einen Kuss auf die linke Wange. Er roch nach Pferd und Schweiß und nach dem trockenen Gras des Windlands. Besser als jedes Parfüm, dachte Bidayn. Wie lange hatte sie davon geträumt, dass Asfahal sie einmal in die Arme schließen würde. »Ich erwarte dich in einer Stunde vor meinem Schlafzimmer«, hauchte sie ihm ins Ohr.
»Ich dachte, dein Bett ist belegt in dieser Nacht«, flüsterte er zurück, als er sie auf die rechte Wange küsste.
Sie löste sich aus der Umarmung. »Nicht so stürmisch, kleiner Bruder. Ärgere mich nicht. Erinnerst du dich noch, wie sehr es unseren Vater erzürnt hat, wenn du nicht auf mich hörtest.« Sie hoffte, dass Asfahal verstanden hatte, dass sie damit den Goldenen meinte.
Er verbeugte sich galant vor ihr und betrachtete genau ihre Hände.
Was jeder andere für ein nervöses Zucken ihrer Finger gehalten hätte, war eine Botschaft an ihn. Erster Stock, zweiter Flur, fünfte Tür links.
»Ich wünsche dir einen schönen Abend«, sagte sie betont förmlich und zog sich zurück.
Kaum auf dem Zimmer, streifte sie ärgerlich ihr Hochzeitskleid ab. Der Rotweinfleck würde nie mehr ganz verschwinden. Nie zuvor hatte sie ein solches Kleid besessen. Sie stand vor dem Spiegel und betrachtete sich nachdenklich. Ihr Körper war schlank und durchtrainiert. Sie sah gut aus. Nur wenig erinnerte noch an das schüchterne, leicht pummelige Mädchen, das vor Jahren in die Weiße Halle gekommen war. Fand Asfahal sie begehrenswert?
Sie drehte sich um und warf einen Blick über die Schulter in den Spiegel. Die prächtige Drachentätowierung ließ sie lächeln. Was zählte es noch, was Asfahal dachte. Sie war die Auserwählte des Goldenen. Eine Drachenelfe! Und er war nur ein Schüler, der in Schimpf und Schande davongejagt worden war. Sie hatte nun Macht über ihn. Er war hier, weil sie es sich gewünscht hatte. Und sein Auftritt in der Festhalle war nichts weiter als ein letztes, verzweifeltes Aufbäumen. Er hatte ihr zeigen wollen, dass er frei und unberechenbar war, doch in Wahrheit wusste er es besser. Sie war seine Herrin geworden. Und in dieser Nacht würde sich entscheiden, ob sie eine gnädige Herrin wäre oder ob sie ihn in Zukunft jeden Tag spüren lassen würde, dass seine Unabhängigkeit nur eine Illusion war.
Zufrieden strich sie über die farbenfrohe Tätowierung und dachte an die Orgie aus Schmerz, Verlangen und Leidenschaft, die sie mit dem Goldenen gefeiert hatte. Shanadeen würde ihr niemals solche Freuden schenken. Ärgerlich sah sie auf das große Bett, dann streifte sie einen Morgenmantel aus durchscheinender, roter Seide über und löste ihr Haar. Sie mochte es, wenn es lang auf ihre Schulter fiel. Kurz überlegte sie, ob sie noch einmal Parfüm auflegen sollte, als es klopfte.
»Ja?«
Shanadeen trat ein. Er war vor der Zeit gekommen und wirkte zugleich mürrisch und erregt. Ihr neuer Gatte verschlang sie mit Augen. Seine Nevenyll hatte er ganz offensichtlich – zumindest in diesem Augenblick – vergessen. »Du bist schön«, sagte er mit weinschwerer Stimme. Und wirkte ganz so, als wollte er sie umarmen.
»Und ich gehöre nun dir.« Es fiel Bidayn schwer, dies mit gurrender Stimme zu sagen, als wäre sie darauf aus, ihn zu verführen.
»Das glaube ich dir nicht. Deshalb habe ich mich betrunken. Ich dachte, dann könnte ich vergessen, dass unsere Hochzeit nur ein Geschäft ist. Das war ein Irrtum …«
»Zieh dich aus und zeig mir, dass du mein Mann bist.«
Er gaffte sie mit offenem Mund an.
»Ja, ich meine es so.« Sie öffnete den Morgenmantel einen Spalt weit. »Dir gefällt doch, was du siehst, oder?«
Statt zu antworten, streifte sich Shanadeen die kostbar bestickte Tunika über den Kopf. Auf einem Bein hüpfend entledigte er sich seiner Stiefel und ließ sich dann auf das Bett plumpsen, um seine Hose loszuwerden. Er war schlank, fast hager. Erstaunlicherweise hatten ihn all die Jahre, die er in seinem geheimen Kontor gebrütet hatte, nicht fett werden lassen.
Bidayn beugte sich zu ihm hinab und strich sanft über seine nackte Brust. Er seufzte und schloss die Augen. Sie hätte ihre Haut darauf gewettet, dass er in diesem Augenblick an Nevenyll dachte. Warum sonst sah er sie nicht an! Ihre Hand fuhr seinen Hals hinauf und tastete in seinen Nacken. Ihr Streicheln wurde fester, dann drückte sie zu. Es war jener Punkt hoch im Nacken, dicht bei der Wirbelsäule, den Ailyn ihnen in der Weißen Halle gezeigt hatte. Ein Nervenknoten, dessen Geheimnis es war, dass, wenn sie im richtigen Winkel auf ihn drückte, ihr Opfer sofort ohnmächtig wurde. Es war ein tiefer Schlaf, der über viele Stunden dauerte. Und nach dem Erwachen fehlte jede Erinnerung daran, was zuvor geschehen war.
Shanadeen war zur Seite gesunken. Sie hob seine Beine aufs Bett. Sein Atem ging tief und gleichmäßig. Sich in seiner Hochzeitsnacht besaufen, dachte sie ärgerlich. Das hatte sie nicht von ihm erwartet.
Sie setzte sich neben ihn auf das Bett und griff ihm zwischen die Schenkel. Mit festen Bewegungen spielte sie an ihm. Morgen würde sie ihm erzählen, er habe sie so lange und ausdauernd geliebt, dass sie wund sei und nun eine Zeit lang von seiner Leidenschaft verschont werden müsse. Und wenn er selbst auch wund war, würde er ihr glauben, auch wenn er sich an nichts mehr erinnerte. Lyvianne hatte ihr viel über die Männer erzählt. Ihre Lehrerin war eine Meisterin der Liebeskunst gewesen. Immer wieder hatte sie behauptet, dass die meisten Männer für ein paar schöne Stunden mit einer hübschen Frau fast alles täten. Anfangs hatte Bidayn ihr das nicht glauben wollen. Sie hatte noch Flausen von romantischer, unverbrüchlicher Liebe im Kopf gehabt. Doch inzwischen war sie überzeugt, dass dies nur ein Hirngespinst von Dichtern war.
Als sie Shanadeen genug zugesetzt hatte, stand sie auf und deckte ihn zu. Anschließend wusch sie sich die Hände in einer Schüssel mit klarem Wasser, die auf einem Beistelltisch neben der Kommode stand. Sie würde Lyvianne auch in der Liebeskunst übertreffen. Bidayn lächelte versonnen. Asfahal hatte einen gewaltigen Ruf, was dies anging. Von ihm könnte sie sicherlich noch manches über Männer und ihre Gelüste lernen. Sogar Enya hatte ihn gekannt. Die Schneiderin hatte behauptet, einen ganzen Winter lang seien sie in den Mondbergen ein Paar gewesen. Während der langen Anproben für das Hochzeitskleid hatten sie über alles Erdenkliche gesprochen. Vor allem über Männer.
Asfahal hatte ihr das Herz gebrochen. Die Kleine hatte wirklich geglaubt, sie sei die Eine für ihn. Als sie herausfand, dass er auch andere Damen besuchte und sich dafür beschenken ließ, hatte sie ihn hinausgeworfen. Dennoch hatte Bidayn ihr angesehen, dass sie immer noch verliebt in Asfahal war. Die Art, wie sie seinen Namen aussprach, und der träumerische Blick, wenn sie über ihn redete, waren unmissverständlich gewesen. Es wäre nicht gut gewesen, wenn die beiden sich hier begegnet wären. Eine neu entflammte Liebelei hätte Bidayns Pläne durcheinandergeworfen.
Die Elfe strich sich sanft über die Arme. Ihre Haut war zart und glatt. Ihr haftete immer noch ein Hauch von Veilchenduft an. Wie lange er sich wohl noch halten würde? Enya musste ihn über lange Zeit jeden Tag benutzt haben.
Der Gedanke, Asfahal in der Haut einer früheren Geliebten zu begegnen, erregte Bidayn. Ein warmes, wohliges Gefühl überkam sie. Sie legte eine Hand in ihren Schoß, tastete vorsichtig … An die Wand gelehnt, genoss sie die Wellen der Lust, die die Berührung aufbranden ließ.