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Er sah sie einen Moment lang fest an. »Es ist wohl nicht klug, dich zu verärgern.«

»Versuche nicht, es herauszufinden.« Sie stand auf und öffnete die Kleidertruhe vor dem Bett. Dort wählte sie eine enge Hose und eine Bluse.

»Ich verzehre mich nach dir«, flüsterte Asfahal ihr ins Ohr, während sie sich ankleidete.

»Lass uns ein wenig durch die Gassen wandern. Ich liebe es, tief in der Nacht auf den Kais zu stehen und dem Meer zu lauschen.« Sie sagte das mit Bedacht so laut, dass man ihre Worte auch im Zimmer über ihnen verstehen musste.

Ohne sich Schuhe anzuziehen, begleitete sie Asfahal hinaus auf den Flur. Es war still geworden im Haus. Aus dem Festsaal klang keine Musik mehr. Nur das leise Rumoren letzter Stimmen.

»Du willst nachsehen, wer uns beobachtet hat?«

Bidayn war überrascht.

»Ich wäre auch fast ein Drachenelf geworden«, sagte Asfahal lächelnd. »Glaubst du, mir bleibt verborgen, was du bemerkst?«

»Willst du mit?«

Er hob abwehrend die Hände. »Nein, das sind deine Kämpfe.« Dann ging er mit beschwingtem Schritt davon.

Bidayn sah ihm nach. Er war frech, das machte seinen Charme aus, aber sie war sich nicht sicher, wie lange sie damit umgehen konnte. Hoffentlich machte er nicht den Fehler, ihre Führerschaft infrage zu stellen. Sie würde sich nur ungern von ihm trennen, aber sie würde nicht zögern, wenn es nötig war.

Langsam ging sie den Flur entlang bis hin zu der schmalen Stiege, die zur nächsten Etage führte. Leichtfüßig und lautlos erklomm sie die hölzernen Stufen. Das zweite Obergeschoss wurde nur wenig genutzt. Shanadeen hatte einige der Zimmer in Warenlager verwandelt. Bidayn war erst einmal hier oben gewesen. Der Grundriss folgte dem der darunterliegenden Etage. Vorsichtig schlich sie den Flur entlang. Alle Türen waren verschlossen. Kein Licht brannte. Es war still und roch nach Staub und getrockneten Bohnen. Doch da war noch etwas. Ein Hauch von Rosenduft.

Die Elfe verharrte vor der fünften Tür auf der linken Seite des Flurs. Sie lauschte mit angehaltenem Atem. War da eine Spur von Vanille in dem Rosenduft? Sie konzentrierte sich, schloss die Augen und reduzierte die Sinneseindrücke, die auf sie eindrangen. Sie verweigerte sich den leisen Geräuschen der Nacht, sammelte nur noch Düfte. Im gleichen Maße, wie sie die Wahrnehmungen ihrer anderen Sinne ausgrenzte, nahmen alle Gerüche an Intensität zu. Neben Staub und Bohnen roch sie nun auch das heiße Wachs, mit dem vor langer Zeit die Holzdielen behandelt worden waren. Und da war der Duft eines vor Kurzem verloschenen Kerzendochts. Ein Hauch von Schweiß.

Wie ein Spürhund witterte sie am Türrahmen. Dort hatte eine Hand gelegen. Jetzt fand sie eine Idee von Orangenduft. Ihr Parfüm! Schlagartig waren all ihre Sinne alarmiert. In dieser Tür hatte Farella gestanden. Aber Shanadeens Tochter hatte keine blauen Augen. Sie waren von dunklem, fast schwarzem Grün …

Bidayn stieß die Tür auf. Die Kammer war leer. Misstrauisch spähte die Elfe in die finsteren Winkel. Nichts! Sie trat in die Mitte des Raumes und versuchte sich zu erinnern, wo ungefähr sie das Auge gesehen hatte. Witternd ging sie in die Knie. Hier war der Duft ihres Parfüms so gut wie gar nicht vorhanden. Es roch ein wenig nach Schweiß und nach Küche. Und nach dem Saft gepresster Äpfel, den Lydaine so gerne trank.

Die Hände der Elfe tasteten über den Boden. Er war in schlechtem Zustand. Einige der Dielen waren angesplittert. Sie fand einen kleinen Stofffetzen. Er war vom gleichen Stoff wie ihr Hochzeitskleid. Und dann entdeckte sie ein Holzauge, das ein wenig aus den Bodendielen vorstand. Sie zog daran. Es löste sich fast ohne Widerstand und gab den Blick auf das Bett frei, in dem Shanadeen friedlich schlief.

Sie waren beide hier gewesen. Farella hatte an der Tür auf Wache gestanden, und die blauäugige Lydaine hatte beobachtet, was im Ehebett ihres Vaters vor sich ging. Erstaunlich, dass die beiden nicht die Dienerschaft gerufen hatten.

Bidayn schob das Holzauge zurück an seinen Platz. Ob die beiden versuchen würden, sie zu erpressen? Worauf sie wohl aus waren? Sie waren reich, sie konnten alles haben. Bidayn vermochte sich nicht vorzustellen, was sie von ihr begehrten.

Die Elfe richtete sich auf und verließ die Kammer. Sollten sie nur kommen!

Erinnerungslücken

Nodon erwachte mit stechenden Kopfschmerzen. Seine Augen waren so zugeschwollen, dass er sie kaum einen Spalt weit zu öffnen vermochte. Ein galliger Geschmack lag ihm auf der Zunge. Der Kopf sackte ihm zur Seite weg. Er saß auf einem Stuhl mit hoher Lehne. Vor ihm stand ein Tisch. Er hörte schweres Atmen, hatte aber keine Kraft, seinen Kopf zu wenden. Er blinzelte. Vor ihm stand ein Tisch. Darauf brannten drei Kerzen aus Honigwachs und verbreiteten ein angenehmes, goldenes Licht. Auch war da ein schwarz lackiertes Kästchen. Der Anblick bereitete Nodon Unwohlsein, ohne dass er sagen konnte, warum. Darin war ein düsteres Geheimnis verborgen, da war er sich ganz sicher.

Eine Hand legte sich sanft auf seine Schulter. Eine zweite reichte ihm einen silbernen Becher mit Wasser.

»Trinkt, Schwertmeister«, sagte eine zischelnde Stimme. Sie gehörte einer Frau. Er sollte sich daran erinnern … Er hatte das beklemmende Gefühl, dass es wichtig wäre zu wissen, wer da sprach. Die Frau stand hinter ihm. Sie zeigte sich nicht.

Er sackte gegen die Lehne und schloss kurz die Augen.

Als er sie wieder öffnete, hatte sich das Licht im Zelt verändert. Es war heller, obwohl jemand die Kerzen auf dem Tisch gelöscht hatte. Draußen heulte der Wind. Nodon hatte das Gefühl, dass Männer vor dem Zelt standen und warteten.

»Fühlt Ihr Euch besser, Schwertmeister?«, fragte ihn die zischelnde Stimme. Er wandte sich um, und ein stechender Schmerz meldete sich hinter seiner Stirn. Hinter dem Lehnstuhl stand eine riesige Frau in einer goldbestickten, grünen Bluse, die für seinen Geschmack etwas zu tief ausgeschnitten war. Sie hatte eine seltsame Tätowierung dicht über der Nasenwurzel. Ein starrendes Auge. Und ihre eigenen Augen … Sie waren gelb wie die Sommersonne mit längs geschlitzten Pupillen.

»Ihr erinnert Euch wohl nicht an mich. Ich bin Aloki, die geheime Dienerin des Fürsten Solaiyn. Er hat mich Euch schon einmal vorgestellt.«

Er sollte sie kennen, dachte Nodon. Diese gelben Augen.

»Trinkt!« Wieder reichte sie ihm einen silbernen Becher.

Das kühle Wasser darin war angenehm. Es spülte den scheußlichen Geschmack in seinem Mund fort und weckte seine Lebensgeister. Während er trank, betupfte die seltsame Frau seine Augenlider mit Eisstückchen und murmelte etwas Unverständliches.

Zumindest wusste Nodon jetzt wieder, wo er war. Im Zelt des Feldherrn. Er hatte einen schrecklichen Kampf mit einem fliegenden Löwen bestanden. Aber danach … Was stimmte mit seiner Erinnerung nicht?

»Ihr sollt die Späher führen«, erklärte die zischelnde Stimme. »Die Menschenkinder sind auf der Flucht. Der Albenstern, durch den sie sich zurückziehen wollten, ist versperrt.«

Nodon setzte den Becher auf den Tisch vor sich. Warum erinnerte er sich an nichts? Er hatte sich ganz gewiss nicht betrunken! Er trank nie! Was war geschehen?

»Geht es Euch besser?«

»Ging es mir schlecht?«, fragte er misstrauisch zurück.

»Ihr wisst es nicht mehr?« Aloki kam um den Stuhl herum, und jetzt sah er sie ganz. Ihren kraftvollen, bleichen Schlangenleib.

»Es ist alles meine Schuld«, sagte sie zerknirscht. »Mein kleiner Liebling hat Euch gebissen. Er hatte sich aus seinem Korb befreit. Wir haben es zu spät bemerkt …«

»Dein kleiner Liebling?«

»Fürst Solaiyn hatte Euch zur Lagebesprechung einbestellt. Es ging ihm schlecht. Er war bettlägerig. Ihr habt Euch hier auf diesem Stuhl niedergelassen und seinen Worten gelauscht. Und da ist es passiert. Mein Liebling hat sich unbemerkt an der Rückenlehne hochgewunden, und als Ihr Euch vorbeugtet, um nach dem Becher vor Euch auf dem Tisch zu greifen, hat er Euch gebissen, Schwertmeister. In den Hals …« Mit diesen Worten öffnete sie ihre weite, hellgrüne Bluse, und unter ihrem linken Busen schob sich ein schwarz-gelb gescheckter Schlangenkopf hervor. »Eine Sumpfotter aus meiner Heimat. Ihr Gift ist nicht sehr stark, aber sie hat wohl Eure Halsschlagader getroffen.«