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Mit harschen Worten befahl sie den andrängenden Männern, Ordnung zu halten und eine Reihe zu bilden, während sie mit einer Kelle ihren Sud in flache Schüsseln schöpfte.

»Sie bevorzugt die Männer aus Aram und Luwien«, rief jemand in der Sprache der Ischkuzaia, ihrer Muttersprache. »Seht nur, wem sie ihren Heiltrunk gibt! Seht genau hin! Seht ihr einen einzigen Mann aus Ischkuza dort? Wir sind es, die den Kopf hinhalten. Wir sichern die Flanken und bekommen die meisten Pfeile der Daimonen ab. Und was ist unser Lohn? Wir können zusehen, wie den anderen geholfen wird. Ich sage, uns gebührt der erste Platz in der Reihe!«

»Halt’s Maul!«, rief ein stämmiger Drusnier mit krächzender Stimme, der den Kessel schon fast erreicht hatte. »Wer spät kommt, steht eben hinten an.«

Ein kleiner, drahtiger Krieger kam wutentbrannt die Schlange der Wartenden entlanggelaufen. »Sag mir das ins Gesicht, rotbärtiger Drecksack. Ich bin spät, weil ich eben noch mit Daimonen gekämpft habe. Wann hast du zum letzten Mal deine Waffen erhoben. Hast du überhaupt noch Waffen?«

Der Drusnier schob seinen Umhang zurück und zeigte die große Axt mit Bronzekopf, die in seinem Gürtel steckte. »Geh nach hinten, oder meine Goldene küsst deine Stirn.«

Weitere Gestalten lösten sich aus der Schlange der Wartenden und bauten sich drohend vor dem Steppenreiter auf.

»Verpiss dich, du Pferdearsch!«, fauchte der Drusnier.

Sein Gegenüber stieß einen schrillen Pfiff aus, und aus dem Dunkel erschienen mehrere Berittene, die lange Speere quer über die Sättel gelegt hatten.

Shaya trat von der Feuerstelle zurück. Sie war zu müde, um zu schlichten. Es war nicht der erste Streit, den sie auf dem Rückzug erlebte. Je weniger es von allem gab, desto entschlossener waren jene, die noch bei Kräften waren, sich alles zu nehmen, was sie zum Überleben brauchten.

Die Pferde der Steppenreiter waren abgemagert. Verklumpter Schnee hing von ihren struppigen Mähnen. Sie würden nicht mehr lange durchhalten. Hier in der Eiswüste gab es keinen einzigen Grashalm zu finden. Nur wer Heubündel oder Hafer mit in dieses Schneeland gebracht hatte, konnte hoffen, sein Pferd durchzubringen.

Der Drusnier zog seine Axt aus dem Gürtel, und Shaya sah zu, dass sie ein Stück von der Feuerstelle fortkam.

»Komm her, Pferdeschänder. Ich spalte dir gerne den Schädel, du …« Ein Pfeil schlug durch den roten Bart des Drusniers in dessen Brust. Er starrte ungläubig auf das Geschoss, das zitternd zwischen seine Rippen gefahren war. Blut trat ihm auf die Lippen.

»Na, hat es dir die Sprache verschlagen«, höhnte der Steppenreiter, zog seine Dornaxt aus dem Gürtel und kam gelassenen Schritts auf den sterbenden Krieger zu.

Der Drusnier brach in die Knie. Dann, in einer letzten, verzweifelten Anstrengung, hob er seine Axt.

»Jämmerlich!«, spottete der Reiter. »Glaubst du, du könntest noch kämpfen?«

Doch das hatte der Drusnier gar nicht vor. Er führte einen wuchtigen Schlag nach dem Kessel, der vom Feuer stürzte, sodass sich der Rest des Suds darin zur Hälfte in die Flammen und zur anderen Hälfte in den zu Matsch zertrampelten Schnee ergoss.

»Du Arsch!« Die Dornaxt des Steppenreiters fuhr nieder und durchschlug mühelos die Stirn des Drusniers, der mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen starb.

Nun brach endgültig das Chaos aus. Einige der Krieger aus der Schlange der Wartenden warfen sich auf die Ischkuzaia, zerrten sie von den Pferden und rangen sie nieder, während andere die Reittiere zu Boden warfen und sie bei lebendigem Leib zu zerlegen begannen. Mit Dolchen und Schwertern wurde um die Brocken dampfenden Pferdefleischs gerungen. Todesschreie und Schreie überschäumender Wut gellten durch die Nacht.

Einige Männer krochen auf allen vieren um das kleine Feuer und schaufelten sich Matsch in die Münder, in der Hoffnung, noch ein wenig des heilenden, warmen Suds aufzunehmen.

Ein hagerer Krieger mit weißen Stoppeln auf den Wangen stand vor dem umgestürzten Kessel, eine flache Schale in den Händen. Tränen rannen ihm über das Gesicht. Er wäre als Übernächster an der Reihe gewesen, hätte es den Streit nicht gegeben. Sein Anblick berührte Shaya mehr als der der streitenden Männer oder jener, die wie Hunde im Schlamm krochen. Der Alte hatte ein hartes Gesicht. Er war ganz sicher niemand, der oft in seinem Leben geweint hatte.

Erschüttert wandte sie sich ab. Müde suchte sie nach Ninwe, die man vorher nicht ans Feuer gelassen hatte und die sich irgendwo im Dunkel zwischen all den anderen frierenden Schatten einen Platz für die Nacht gesucht hatte. Shaya fühlte sich so müde wie nie zuvor in ihrem Leben. Es waren nicht nur die körperliche Erschöpfung und der Hunger. Die Ereignisse bei der Feuerstelle hatten ihren letzten Glauben zerstört. Wie konnte man so dumm sein! Es war ohnehin viel zu wenig da. Und statt von diesen kümmerlichen Reserven sinnvollen Gebrauch zu machen, war die Hälfte ihres Suds einfach vergossen worden. Es war wie eine Parabel auf das, was hier geschah. Es waren nicht nur die Geister und die Daimonen, die sie töteten. Sie waren Opfer ihrer eigenen Überheblichkeit geworden, weil die Unsterblichen geglaubt hatten, sie könnten ihre Heere in diese Einöde führen, um einen leichten Sieg zu erringen und dann unbehelligt wieder abzuziehen. Was hier in der Eiswüste geschah, war wie der Streit um den Kessel dampfenden Suds, nur dass es sich in tausendfach größerem Maßstab abspielte.

Sie fand Ninwe zusammengerollt im Schnee. Trotz ihres guten Pelzmantels schlotterte sie vor Kälte und hatte noch keinen Schlaf finden können. Shaya gab ihr das halb gegessene Trockenfleisch, das sie von Necahual geschenkt bekommen hatte. »Iss was.«

Ninwe lächelte sie dankbar an. Blanker Schweiß stand ihr auf dem Gesicht. Hätte sie nur etwas von dem Sud für sie retten können.

Shayas letzte Gedanken galten, wie an jedem Abend, Aaron. Könnte sie nur zu ihm! Er wurde von seiner Leibwache getragen. Es hieß, er erhole sich bereits von seinen Wunden. Sie betete, dass es stimmte. Er wagte stets zu viel und achtete nie auf sich. Eines Tages würde sich sein Glück erschöpfen. Mochten die Götter geben, dass dieser Tag noch in weiter Ferne lag. Mit diesem stummen Gebet glitt sie, an Ninwe gekauert, in einen unruhigen Schlaf.

Wir gehen dorthin, wohin kein anderer geht

»Weiter!«, befahl Bidayn. »Gleich ist es geschafft, nur ein kleines Stück noch.«

Graumur, der Minotaur, und sein Kamerad, ein weiteres, stierköpfiges Ungeheuer, fluchten, als sie mit den schweren Stangen hantierten, die das Dach aus schwarzem Stoff trugen.

»Über die Tür damit. Und lasst es herunterklappen, dass es die Lücke zur Mauer hin schließt. Ja, so ist es gut!«

Die beiden Minotauren standen an den beiden Enden des Hofs vor der Mauer, die diesen zur Gasse hin abschloss. »Außen an der Mauer sind Haken, und in den Rand der Plane sind Messingösen geschlagen. Spannt die Plane straff, damit sie nicht durchhängt.«

Graumur wischte sich mit dem Arm über die haarige Stirn. »Und was hat das alles zu bedeuten? Warum versteckt Ihr den Hof unter einer Plane, Herrin.« Es fiel ihm schwer, sie als Herrin anzuerkennen. Er versuchte erst gar nicht, seine Stimme zu verstellen und freundlich zu klingen.

»Ich möchte nicht, dass man von den Dächern der Nachbarhäuser aus sehen kann, was auf dem Hof vorgeht.«

Der alte Stiermann zog eine Grimasse. »Und warum nicht? Was gibt es hier zu verstecken?«

»Wenn ich wollte, dass darüber getratscht wird, dann bräuchte ich die Plane nicht.«

Graumur schnaubte bedrohlich. »Ich bin kein Tratschmaul!«

»Du säufst, und wer trinkt, redet auch zu viel.«