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Seine Kleidung war eher unscheinbar. Ein abgetragenes Lederwams, dazu eine Tunika und Hosen in Erdfarben. Er trug zwei kurze Schwerter an seinem Wehrgehänge. Wer aus seiner Größe auf seine Kunstfertigkeit als Schwertkämpfer schloss, beging einen tödlichen Fehler.

»Ich schätze, wir sind dann vollständig«, erklang hinter Bidayn die Stimme Asfahals. Überrascht wandte die Elfe sich um. Der Elf stand in der Tür, die vom Haupthaus zum Hof führte. Der Tür, die sie selbst verschlossen hatte und die nicht von innen zu öffnen sein sollte.

Er genoss augenscheinlich ihren verblüfften Blick. »Eines meiner Talente«, erklärte er lächelnd. »Dort zu erscheinen, wo ich nicht sein sollte.«

Das war das fast perfekte Stichwort, dachte Bidayn. Es war schon beinahe unheimlich. Sie erhob sich und sah alle der Reihe nach an. »So unterschiedlich ihr auch seid, meine Brüder und Schwestern, verbindet euch doch eine Gemeinsamkeit: die Frage, was ihr hier sollt. Valarielle bemerkte ja schon ganz richtig, dass wir alle eher Einzelgänger sind. Wozu das also? Mögen die einfachen Albenkinder uns Drachenelfen in ihren Geschichten für so gut wie unbesiegbar halten, so weiß niemand so gut wie wir, dass uns doch Grenzen gesetzt sind. Auch haben wir bei gleicher Ausbildung doch unterschiedliche persönliche Talente. Ich kenne niemanden, der den Zauber, den du, liebe Valarielle, so poetisch Atem der Nacht genannt hast, auch nur annähernd so beherrscht wie du. Lemuel ist ein Freund der großen Adler vom Albenhaupt, deren Hilfe wir benötigen werden, denn bei den Dingen, die ich zu tun gedenke, werden wir nicht den Platz haben, den unsere edlen Himmelsrösser zum Landen brauchen. Und wichtiger noch, kein Pegasus kann uns so schnell retten, wie ein Adler es vermag, der uns mit seinen kräftigen Fängen aus dem Flug heraus von einer Mauer heben kann. Kyra, die ihr Äußeres so gerne verbirgt, ist eine Meisterin darin, andere Gestalt anzunehmen, und Asfahal …« Sie bedachte den ganz in Weiß gewandeten Elfen, der lässig in der Tür lehnte, mit einem langen Blick. Ihr Körper sehnte sich nach ihm. Seit ihrer Hochzeitsnacht hatte sie nicht mehr bei ihm gelegen. Bidayn rief sich innerlich zur Ordnung – sie wollte ihm nicht allzu deutlich zeigen, wie sehr sie ihn begehrte. Das würde künftigen Missionen schaden. Sie hatte aus den Fehlern von Gonvalon und Nandalee gelernt! »Und Asfahal«, griff sie den Faden wieder auf. »Wie könnten wir auf jemanden verzichten, vor dem sich alle Türen öffnen.«

»Er ist nicht einmal ein Drachenelf«, bemerkte Valarielle verächtlich.

Bidayn drehte sich zu ihr um. »Du weißt so gut wie ich, dass es nicht an einem Mangel an Fähigkeiten lag, weshalb man ihn aus der Weißen Halle verwies.«

»Es lag an dem eklatanten Mangel, Herr seiner Gelüste zu sein. Für mich ist das keine Bagatelle.«

Bidayn überlegte kurz, ob Asfahal Valarielle vielleicht einmal als Geliebte verschmäht hatte. Ihr erschien es sehr pedantisch, auf dieser Verfehlung so sehr zu beharren. War nicht auch Gonvalon dafür berüchtigt gewesen, seinen Schülerinnen gegenüber nicht die nötige Distanz zu wahren? Ihm hatte niemand daraus einen Strick gedreht. »Ich werde ihn behandeln, als wäre er einer von uns«, stellte Bidayn klar.

»Was genau erwartest du von uns?«, fragte Lemuel. Er stand immer noch in der Tür zum Hof, als wäre es ihm unangenehm, hier zu sein, und als wollte er bereit zur Flucht bleiben.

»Ich will, dass wir die Grenzen des Möglichen weiter stecken«, begann Bidayn voller Enthusiasmus. »Wir werden dorthin gehen, wohin kein anderer geht. Wir werden tun, was andere nicht einmal zu denken wagen. Wir werden die Nemesis der Feinde der Himmelsschlangen sein. Wir werden Entsetzen verbreiten, und die Unerklärbarkeit unserer Taten wird unser besonderes Credo sein. Ich möchte nicht weniger erreichen, als dass die Feinde Albenmarks uns bei jedem Herzschlag fürchten, weil es keinen Ort gibt, an dem man vor uns sicher sein kann. Wir können immer und überall erscheinen. Und wenn wir kommen, gibt es nichts und niemanden, der uns aufhalten kann.«

»Ein ehrgeiziges Ziel«, sagte Asfahal mit süffisantem Lächeln. »Vielleicht ein wenig überambitioniert.«

»Keinesfalls«, entgegnete Bidayn selbstsicher. »Die größte Schwäche der Drachenelfen war bislang, dass sie fast immer für sich allein gekämpft haben. Bündeln wir unsere Kräfte, dann erschließen sich uns völlig neue Möglichkeiten. Hier auf diesem Hof, in dieser Stunde, beginnt ein neues Kapitel in der Geschichte der Drachenelfen. Und nichts wird fortan mehr so sein wie zuvor.« Sie wandte sich an Valarielle. »Fülle den Hof mit dem Atem der Nacht, Schwertschwester, und ich werde euch zeigen, was ich meine.«

Der Atem der Nacht

Valarielle sprach ein Wort der Macht, und schlagartig sank die Temperatur auf dem Hof. Ihnen allen stand weißer Atem vor dem Mund. Einen Herzschlag später atmete Valarielle etwas aus, das wie dichter, schwarzer Rauch aussah. In wogenden Wirbeln griff es um sich. Ganz anders als Atem in kalter Luft formte er nicht ein kleines Wölkchen – er stahl das letzte Licht vom Hof, der durch das schwarze Sonnensegel ohnehin schon im Halbdunkel lag.

Bidayn hatte zweimal bei der Weißen Halle erlebt, wie Valarielle diesen Zauber gewirkt hatte, und war nachhaltig beeindruckt gewesen. Binnen Augenblicken füllte sich der Hof mit brodelnder Finsternis. Es war so dunkel, dass sie ihre Hand nicht mehr sehen konnte, obwohl Bidayn sie sich so nahe vor das Gesicht hielt, dass ihre Nasenspitze kurz den Handteller streifte.

»Öffnet euer Verborgenes Auge«, befahl sie.

Der Blick auf die magische Seite der Welt war verwirrend. Ein Gespinst schillernder, zarter Kraftlinien umgab Valarielle. Fein wie Spinnwebfäden, liefen sie alle bei ihr zusammen. Die anderen Elfen waren als Auren aus goldenem Licht zu erkennen. Ein jeder von ihnen ein Gespinst aus Kraftlinien, die mit der Welt um sie herum verbunden waren und grob die Skizze leuchtender Körper bildeten.

Doch die Kraftlinien des Zaubers, den Valarielle gewoben hatte, verwischten das Licht der Körper. Bewegungen waren nur undeutlich zu sehen. Bidayn spürte, dass jemand hinter ihr stand. Als sie sich umdrehte, streiften Lippen ihren Mund. »Ich habe dich vermisst, schöne Tyrannin«, hauchte Asfahal ihr ins Ohr.

Warme Wellen überliefen Bidayn bei der zarten Berührung. Sie war sich sicher, dass sich Asfahal seiner Wirkung wohl bewusst war. Sie straffte sich und nahm einen Schritt Abstand von ihm. In Anwesenheit der anderen wollte sie keine Zärtlichkeiten austauschen. »Wir werden lernen, in dieser Dunkelheit zu kämpfen. Noch bevor unsere Opfer sich ihrer magischen Sicht besinnen, werden unsere Klingen sie durchbohren. Wir greifen im Dunkel der Nacht an, sodass die Finsternis weniger Aufsehen erregt. Wir sind schnell, gnadenlos und nehmen es mit jedem Gegner auf.«

»Mit jedem?« Es war das erste Mal, dass Kyra sprach. Sie hatte eine angenehme, vielleicht etwas zu dunkle Stimme. Eine Stimme, geboren dazu, Geschichten zu erzählen.

Die Frage hing in der von fiebrig-flackernden Lichtbahnen durchzogenen Finsternis. Sie alle wussten, was sie bedeutete.

»Deshalb sind wir zu fünft«, sagte Bidayn schließlich.

Valarielle rief ein Wort der Macht, und das Dunkel wurde zu Zwielicht.

Bidayn schloss ihr Verborgenes Auge. Ihre vier Auserwählten sahen sie entsetzt an.

»Du willst einen Devanthar töten?«, sprach schließlich Lemuel aus, was alle dachten. Er schnalzte mit der Zunge. »Das würde eine außergewöhnliche Jagd. Ich bin dabei.«

»Wenn wir das versuchen, jagen wir nur nach unserem eigenen Tod!«, sagte Valarielle.