Der kleine Krieger leckte sich nervös über die Lippen. Den Dolch rührte er nicht an.
»Dein Auftritt gerade hat mir nicht gefallen. Wie heißt du, Zwergenschlächter?«, fragte Hornbori gefährlich ruhig.
»Rafa. Und glaub ja nicht, dass du mich gerade mit der Messernummer beeindruckt hast.«
»Hör zu, Rafa. Du und deine Kumpels werdet von jetzt an keine blutigen Zwergengeschichten mehr erzählen, solange ihr unter meinem Kommando steht. Verstanden?«
»Du glaubst, wir lassen uns von dir herumkommandieren?«, kam es aufmüpfig zurück. »Ich bin nur gekommen, um dir zu sagen, wie wir diesen Feldzug sehen. Wärst du sofort mit mir gegangen, hätte es erst gar keinen Ärger gegeben. Vielleicht ist dir das ja eine Lehre, Zwerg?«
Hornbori maß den Eisbart mit skeptischem Blick. Manchmal war es besser, gar nichts zu sagen. Rafa würde schon noch damit herausrücken, was er eigentlich wollte. Gerade Männer, die großmäulig Beleidigungen aussprachen, kamen meist damit nicht klar, wenn die Antwort Schweigen war.
Und tatsächlich, der Kobold fuhr nach kurzer Stille fort: »Du kannst vielleicht ein paar abergläubische Trolle und diese dummen Zwerge mit deiner Standarte beeindrucken. Uns Kobolde aber nicht. Ich glaube nicht, dass der Blick des Goldenen auf uns ruht. Und auch nicht der irgendeines anderen Drachen. Die haben wichtigere Dinge zu tun. Ich danke dir jedoch für dieses Festmahl, Zwerg. Es ist in der Tat das erste Mal, dass mich ein Zwerg zu irgendetwas eingeladen hat. Aber bilde dir nicht ein, du hättest uns damit gekauft.«
Hornbori strich sich nachdenklich über den Bart. »Ich nehme an, dass die entzückenden Damen, die uns später Gesellschaft leisten werden, auch nicht dazu beitragen werden, dich und deine Gefährten umzustimmen.«
»Eher im Gegenteil.« Jetzt lag blanker Hass in den Augen des Kobolds. »Wir werden ihre Gesellschaft sicherlich genießen, aber sie sind Teil des Problems. Warum sind wir so arm, dass wir es uns nicht selbst leisten können, ihre Gunst auch nur für eine Stunde zu kaufen? Und warum bist du so reich, dass du es dir leisten kannst, eine ganze Festgesellschaft freizuhalten? Wir kämpfen dafür, diese Ungerechtigkeit zu beenden. Es soll guten Lohn für gute Arbeit geben. Wir schaffen die fetten Arschlöcher ab, die sich auf Kosten anderer ein Leben in Saus und Braus gönnen, ohne sich auch nur an einem einzigen Tag in ihrer jämmerlichen Existenz mit ehrlicher Arbeit die Hände schmutzig gemacht zu haben.«
»Glaub mir, ich wurde nicht mit einem silbernen Löffel im Mund geboren«, log Hornbori. »Ich stehe voll und ganz hinter dir.«
»Du stehst nur hinter dir selbst, Zwerg. Nach meiner Erfahrung ist das der einzige Weg, so reich zu werden, wie du bist.« Rafa grinste plötzlich breit. »Aber sehr bald stehst du vor mir. Oder besser gesagt vor meiner Armbrust. Dann wird Gerechtigkeit walten – und ich werde nicht einmal bestraft werden, denn wer kümmert sich in einem Gefecht schon darum, aus welcher Richtung das tödliche Geschoss kam?«
Hornbori hatte das Gefühl, als verwandelte sich der Inhalt seiner Därme schlagartig in Eiswasser. Daran, dass Rafa seine Drohung wahrmachen würde, zweifelte er keinen Herzschlag lang. Er kannte den Ruf der Eisbärte. Sie würden nie auf eine Gelegenheit verzichten, einen Zwerg umzulegen. Vorsichtig, jedes Wort mit Bedacht wählend, sagte er: »Was siehst du, wenn du dich in der Halle umblickst?«
Rafa zuckte mit den Schultern. »Was schon, ein paar dämliche, vollgefressene Trolle, die sich vor einem goldenen Drachenkopf fürchten. Ein paar arrogante Zwerge, die nicht verbergen, dass sie auf alle anderen herabblicken, und ein paar Kobolde, die niemandem in dieser Halle vertrauen außer sich selbst.«
»Und mich nennst du arrogant?« Hornbori zwang sich zu lachen. »Das, was du sehen willst, hat sich längst zwischen dich und die Wirklichkeit gestellt. Öffne deine Augen, dann siehst du vor dir einen Zwerg, der gezwungen wurde, das Kommando über eine Truppe aus Trollen, Kobolden und Zwergen anzunehmen. Und was tue ich? Ich behandele sie alle gleich. Ich feiere mit euch allen gemeinsam und nicht mit irgendwelchen bornierten Hauptleuten, die mich heute Abend auch eingeladen hatten. Wir essen dasselbe, wir trinken dasselbe. Nur bei den Damen, die uns gleich besuchen, mache ich kleine Unterschiede.« Er senkte die Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. »Ganz unter uns: Trolldamen machen mir Angst. Ich fürchte mich davor, unter ihren Massen lebendig begraben zu werden.«
Die Andeutung eines Lächelns spielte um die Mundwinkel des Kobolds.
»Ich werde daran nichts ändern. Auf dem Feldzug liege ich im selben Dreck wie ihr. Und so wie ihr werde ich ebenfalls in der ersten Reihe stehen, wenn das Kämpfen beginnt.« Das würde er natürlich tunlichst vermeiden, wenn es so weit war, dachte Hornbori bei sich. »Wenn wir lebend zurückkehren, dann werden wir erneut alle in dieser Halle zusammen feiern. Und ich hoffe, hier stehen dann nicht drei Trüppchen, die sich misstrauisch beäugen, sondern Drachenkrieger, die ohne Ansehen von Geburt und Volk mit ihren Heldentaten angeben und den Geschichten ihrer Kameraden lauschen.«
»Du hast eine gewandte Zunge, Zwerg, aber mich täuschst du nicht. Das alles hier tust du nur zu deinem eigenen Ruhm. Du willst hoch hinaus. Und um deine Ziele erreichen zu können, brauchst du dringend ein paar Heldentaten in der Schlacht. Die wirst du mit unserem Blut erkaufen.«
Hornbori seufzte. Rafa war wirklich ein schwerer Fall. »Nehmen wir einmal an, das stimmt. Wäre es dein Schaden, einen Kriegskameraden zu haben, der Macht und Einfluss besitzt? Oder betrachten wir es einmal von einer ganz anderen Seite. Wenn mir etwas geschieht, was wird euch dann blühen? Eine Elfe als Anführerin? Die armen Kerle, die wir verstärken sollen, werden von einer Elfe geführt. Ich habe gehört, dass sie ihre Männer durch den Fleischwolf gedreht hat … Keine andere Truppe hatte so hohe Verluste. Willst du so eine oder doch lieber einen Anführer, der mit dir zusammen säuft und hurt und dich wie einen Kameraden behandelt? Denk gut darüber nach, Rafa, und sag allen deinen Freunden, was ich dir jetzt gesagt habe. Ich bin ein Glücksfall für euch. Ihr Kobolde glaubt doch, die Hellsten hier in der Halle zu sein. Dann werdet ihr klar sehen, dass es euch mit mir gut geht. Wir werden bluten, etliche werden verrecken, aber die, die zurückkommen, werden es gut haben, denn wer mit mir zusammen durch Blut und Scheiße gewatet ist und mir die Treue hält, der steht mir näher als meine leiblichen Brüder.« Hornbori sah Rafa an, dass die Worte Eindruck auf ihn gemacht hatten. Er klopfte dem Kobold auf die Schulter. »Lange Reden machen mich immer ganz durstig. Komm und stell mich deinen Freunden vor. Und dann würde ich gerne herausfinden, ob ihr Lumpen so trinkfest seid, wie ihr immer behauptet. Wir brauchen keine Hemmungen zu haben. Wer morgen früh nicht laufen kann, der wird auf einem Schlitten zum Schlachtfeld fahren.«
Rafa zögerte kurz. Dann nickte er, und gemeinsam gingen sie zu den übrigen Eisbärten. Als Hornbori wenig später Met mit den berüchtigten Zwergenmördern aus dem hohen Norden trank, war er ein wenig optimistischer. Er schien den rechten Ton getroffen zu haben. Mit etwas Glück würde er vielleicht doch nicht mit einem Armbrustbolzen seiner eigenen Männer im Rücken sterben.
Die Mäusemeuchlerin
Lyvianne verharrte auf dem Hügelkamm und sah zu dem Tal hinab, das unter ihr lag. Oder besser gesagt, sie blickte auf das dichte Gespinst aus Nebelschleiern, das einem Topfdeckel gleich über dem Tal lag. Die Elfe hatte lange gezögert, an diesen Ort zurückzukehren, doch nur hier durfte sie auf Hilfe hoffen. Sie öffnete die Faust und betrachtete den Ring, der auf ihrer Handfläche lag. Einst hatte er Iyali, der Zunge der Göttin, der Hohepriesterin der Anatu, gehört, die lieber in das Wasser des Schweigens gestiegen war, als die Geheimnisse ihrer Herrin zu verraten. Er war in Form einer sich windenden Schlange gefertigt, deren Augen aus winzigen Rubinsplittern bestanden.