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Nicht weit entfernt kauerte ein Mann mit langem schwarzen Haar, der neben sich einen Speer an einen Fels gelehnt hatte. Er gehörte zu den wenigen Glücklichen, die einen Pelzmantel trugen. Er würde es ganz sicher schaffen!

Ein Held und ein Löwe

Hornbori hatte in der Nacht kaum Schlaf gefunden. Immer wieder war er an den Wagen auf und ab gegangen oder hatte zu den Ausläufern der Berge gestarrt. Wann würden sie kommen? Im ersten Morgengrauen? Oder eine Stunde früher? Jetzt endlich hatte er seine Antwort. Zwei Stunden war der Tag schon alt, als sich die geschlagene Schar der Menschenkinder etwa eine Meile entfernt zu formieren begann. Es war fast genau an der Stelle, die Hornbori vorhergesehen hatte.

Der Befehl, den er hatte, war seltsam. Solaiyn hatte darauf bestanden, dass er einige Menschenkinder durch den Albenstern, der hier irgendwo in der Nähe lag, entkommen lassen sollte. Mindestens hundert. Warum den Sieg nicht vollkommen machen? Natürlich konnte ihm das egal sein. Er würde nur Befehle ausführen, die Verantwortung trug Solaiyn. Dennoch hätte er gerne verstanden, was vor sich ging.

Alle Schlitten waren mit dem Heck zu den Menschenkindern ausgerichtet. Die drehbaren Speerschleudern waren nach hinten geschwenkt. Auf den Schlitten kauerten neben den Geschützbedienungen der Zwerge noch etliche Kobolde mit Armbrüsten. Brass und seine Trolle hatten zwischen den Rentierschlitten Posten bezogen, um auf seinen Befehl hin einen Gegenangriff unternehmen zu können oder Schlitten, die in Nahkämpfe verwickelt wurden, zu Hilfe zu eilen.

Aber zu Nahkämpfen sollte es eigentlich gar nicht erst kommen. Deshalb saßen sie schließlich auf Schlitten, die den Menschenkindern das Heck zeigten. Sein Plan war es, langsam von den Angreifern fortzufahren und dabei darauf zu achten, dass der Feind stets in Schussweite blieb, um ihn niederzumachen, ohne selbst in Gefahr zu geraten. Das war die perfekte Schlacht! Den Gegner ohne eigene Verluste vernichten. Genau so sollte es heute laufen.

Er stieg auf den Kutschbock seines Schlittens, beschirmte seine Augen mit der Hand gegen die niedrig stehende Sonne und spähte wieder zu den Menschenkindern. Hatten sie seinen Schlachtplan durchschaut? Warum brauchten sie so lange?

Eine Ewigkeit verging, bis sie endlich so etwas wie eine Schlachtreihe geformt hatten und langsam auf die Ebene zogen. Hornbori sah nervös zu Brass. Hoffentlich hielt er die Trolle zurück, wie er ihm befohlen hatte. Seine Krieger waren begierig darauf, endlich warmes Menschenfleisch zu kosten.

»Die Augen des Goldenen ruhen auf dir, Brass!«, rief er dem Troll zu und klopfte auf die Stange der Standarte, die in einer Schelle auf der Rückseite des Kutschbocks steckte. Der mächtige Seidenschweif hinter dem Drachenkopf wogte in der leichten Morgenbrise. Es war ein schönes und vor allem eindrucksvolles Feldzeichen.

»Die hinken«, bemerkte Rafa plötzlich. »Sieh dir das nur an. Die halten sich ja kaum noch auf den Beinen.« Der Kobold ließ seine Armbrust sinken und blickte zu Hornbori hoch. Jetzt drehten sich auch die Zwerge an der Speerschleuder um und sahen ihn fragend an.

»Das könnte ein Trick sein!«, sagte Hornbori entschieden. »Lasst euch von ihnen nicht täuschen! Die sind nicht wehrlos.« Er legte dem Zwergenkutscher, der neben ihm auf dem Bock saß, eine Hand auf die Schulter. »Wäre schön, wenn wir denen entgegenfahren könnten, so lahmarschig wie die sind.«

Der graubärtige Zwerg kaute auf seiner erloschenen Pfeife und schüttelte den Kopf. »Rückwärts geht nicht.«

Hornbori drehte nervös eine Strähne seines Bartes zwischen Daumen und Zeigefinger. Hatte er einen Fehler gemacht? Hätte er mit seinen Schlitten einfach wild schießend durch diese lächerliche Schlachtreihe brechen sollen? Jetzt war es zu spät, um die Formation zu ändern.

»Sie sind in Reichweite«, bemerkte sein Geschützführer.

»Hier schießt noch keiner«, befahl Hornbori laut. »Wartet auf meinen Befehl. Unsere erste Salve soll sie in Panik versetzen.« Was für abgerissene Gestalten da auf sie zukamen. Die sahen kaum lebendiger aus als all die Toten, die sie auf dem Anmarsch von Norden her entlang des Weges gesehen hatten.

»Wartet!« Seine Stimme klang nun ruhiger. Es würde ein Kinderspiel werden, den zerlumpten Haufen niederzumachen.

Plötzlich teilte sich die Schlachtreihe der Menschenkinder, und ein großer, silberner Löwe preschte aus ihrer Mitte hervor. Mit weiten Sätzen eilte er den Schlitten entgegen. »Schießt das Vieh nieder!«, befahl Hornbori und hob die schwere Windenarmbrust auf, die zwischen ihm und dem Kutscher lag.

Ringsherum ertönte das scharfe Sirren, mit dem sich die Sehnen der Speerschleudern entspannten. Auch etliche der Kobolde schossen auf den Löwen. Hornbori stützte die Armbrust auf der Rückenlehne des Kutschbocks auf und begann, die Kurbel zu drehen. Wäre schön, wenn er das Vieh erlegen könnte. Natürlich war das unwahrscheinlich. Aber allein mit den anderen zu schießen war auch etwas wert. Seine Männer sollten sehen, wie er selbst an der Schlacht teilnahm und nicht nur Befehle gab. Hier oben, auf dem mehr als zwei Schritt hohen Kutschbock, konnte ihm ja nichts passieren.

Ein lautes, metallisches Klirren ließ ihn innehalten. Was war das? Noch ein Klirren und wieder. Der Löwe stürmte ihnen unaufhaltsam entgegen, und alle Geschosse prallten von ihm ab. Sie hatten gepanzerte Kutschen, aber die Menschenkinder hatten einen gepanzerten Löwen! Mit offenem Mund begaffte er die Kreatur, unter deren riesigen Pranken der Schnee aufspritzte. Warum hatte ihn niemand vor diesem Löwen gewarnt? Solaiyn musste doch davon gewusst haben!

Voller Sorge sah Hornbori zu der Schlachtlinie der Menschenkinder, die, befeuert durch den ungestümen Angriff des Löwen, nun etwas schneller vorrückte. Gab es noch mehr von diesen Kreaturen?

Der Pfeil einer Speerschleuder traf den Löwen mitten in die Stirn. Das Geschoss glitt nach oben weg. Die Bestie wurde nicht langsamer. Im Gegenteil, sie beschleunigte noch einmal und sprang dann mit einem gewaltigen Satz in den Schlitten links neben Hornbori. Wütend kämpfte sich das Ungeheuer durch die dicht gedrängte Besatzung. Ein schwarzbärtiger Zwerg, der sich mit einem Speer zu wehren versuchte, wurde mit zerfetztem Rücken über die Brüstung des Schlittens geschleudert. Hornbori sah, wie Prankenhiebe Koboldköpfe zerplatzen ließen. Gellende Schreie hallten über das Eis und übertönten sogar den Schlachtruf, den die Menschenkinder nun angestimmt hatten.

Als sich der blutbesudelte Löwe mit den Vorderpranken auf der Brüstung aufstützte und nach neuen Opfern umsah, ließ der Kutscher neben Hornbori seine Peitsche über die Rücken der Rentiere hinweg knallen. Der plötzliche Ruck, mit dem ihr Schlitten anfuhr, brachte Hornbori aus dem Gleichgewicht. Mit den Armen rudernd, stürzte er rücklings in den Schnee. Seine Armbrust landete unsanft auf seiner Brust.

Alle Schlitten ringsherum fuhren nun an. Speere und Armbrustbolzen sirrten über den Zwerg hinweg und schmetterten gegen die Panzerplatten des Schlittens, den der Löwe erobert hatte. Die Bestie senkte ihr Haupt, und Hornbori hatte das Gefühl, dass sie ihn ansah. Nur ihn! Dann sprang sie vom Schlitten.

Hornbori war mit einem Satz auf den Beinen und wusste, es würde nicht reichen. Er hatte gesehen, wie schnell der Löwe war, hatte gesehen, was er den Unglücklichen im anderen Schlitten angetan hatte. Der Zwerg schloss die Augen und sah sich im Geiste schon zerfetzt auf dem Eis liegen, als ein dumpfes, metallisches Geräusch ihn veranlasste, die Augen wieder zu öffnen.

Brass, der Mammutwürger! Der Troll hatte sich dem Löwen in den Weg geworfen und wand sich mit der Bestie im Schnee. Er hielt den Nacken des Ungeheuers fest im Ringergriff und presste es gegen seinen gewaltigen Leib, während die Sichelklauen der Hinterläufe des Löwen seine Oberschenkel und seinen Bauch zerfetzten. Er konnte diesen Kampf nicht gewinnen, doch er hatte Hornbori Zeit erkauft.