Er ließ seinen Hengst vom Galopp in den Trab fallen. Das gehörnte Pferd war nur noch dreißig Schritt entfernt. Seine Krieger schlossen zu ihm auf.
»Ich will es lebend!«, rief er mit lauter Stimme. »Fangt es mit euren Lederschlingen. Es darf nicht verletzt werden!«
Seit er Kanita als Statthalter der Goldenen Stadt abgelöst hatte, hatte Subai viele Provinzen Nangogs bereist. Sein besonderes Interesse hatte dabei stets der Jagd und den Pferden gegolten. Die Messergras-Steppe brachte kräftige und ausdauernde Läufer hervor, während die weiten Weiden am Quell des Sepano berühmt für anmutige, schön gewachsene Pferde waren. Ein gehörntes Pferd jedoch hatte er auf all seinen Reisen nie zu sehen bekommen, ja, er hatte nicht einmal davon gehört. Wie mochte es hierhergekommen sein? Auf den weiten Eisebenen konnte es unmöglich überleben. Wenn es nicht von Nangog stammte, kam es vielleicht aus der Welt der Daimonen?
Seine Reiter schwärmten rechts und links von ihm aus und versuchten, das weiße Pferd zu umzingeln. Einer der Daimonen hatte Mühe damit, einen offensichtlich verwundeten Kameraden auf den Rücken des Tieres zu schieben. Der dritte Daimon stellte sich mit einem Speer schützend vor die beiden.
Subai ließ seinen Speer locker um sein Handgelenk wirbeln. Noch ein Opfer! Er preschte dem kleinen Kerl entgegen, der tapfer seine Waffe vorstreckte, als hoffte er, einen Zweikampf vielleicht gewinnen zu können. Endlich mal einer, der nicht vor ihm davonlief. Das versprach interessant zu werden, dachte der Reiterfürst amüsiert. Natürlich hatte der Kleine nicht die geringste Hoffnung zu gewinnen.
Der Reiterfürst hatte den Daimon nun fast erreicht. Er packte seinen Speer fester, als sich der Wicht zu Boden warf. Natürlich! Dass denen nichts Neues einfiel! Subais Speer stieß hinab, verfehlte den Daimon aber knapp, der sich zwischen die Hufe des Pferdes rollte. Die Speerspitze drang tief in den gefrorenen Boden. Bevor er sie zurückziehen konnte, wurde sie Subai aus der Hand gerissen, als sein Hengst plötzlich mit schrillem Wiehern auf die Hinterbeine stieg.
Subai hatte sein Schlachtross zusammenzucken gespürt, als der Speer des Daimons es in die ungeschützte Unterseite getroffen hatte. Jetzt zitterte es, stieg und schlug mit den Vorderhufen wild in die Luft, als stünde ein unsichtbarer Feind vor ihm. Jeden Augenblick würde es stürzen. Subai ließ sich über die Kruppe vom Pferderücken gleiten und zog die Dornaxt aus seinem Gürtel.
Der kleine Daimon war inzwischen den stampfenden Pferdehufen entflohen. Seine weißen Kleider waren über und über mit hellem Blut besprenkelt. Böse schwarze Augen sahen Subai herausfordernd an. Mit einem breiten Lächeln zeigte der kleine Daimon seine spitzen Zähne.
»Du wirst dir wünschen, dass du das nicht getan hättest«, zischte der Steppenprinz. »Du hast keine Ahnung, was man in meinem Volk mit Pferdemördern macht.«
Die anderen beiden Daimonen hatten es endlich auf den Rücken des gehörnten Pferdes geschafft. Ihre kümmerlichen Beinchen reichten kaum bis zur Mitte des Pferdeleibs hinab, und sie krallten sich in der Mähne des Tieres fest. Einer blutete das prächtige weiße Fell voll.
Subais Männer hatten einen weiten Kreis um den gehörnten Hengst gebildet. Ihre Pferde tänzelten und schnaubten nervös. Sie schienen sich vor dem Daimonenhengst zu fürchten.
»Los, fangt ihn endlich ein!«
Erste Lederschlingen sirrten durch die Luft. Drei senkten sich über den Nacken des weißen Hengstes. Eine vierte umschlang einen der beiden Reiter, der mit einem kurzen Ruck vom Rücken des Pferdes gezogen wurde und schwer auf das Eis schlug.
Sofort preschte der Jäger, der ihn gefangen hatte, los, um sein Opfer auf Schnee und Eis zu Tode zu schleifen.
Subai schlug eine Finte mit der spitzen Dornaxt, doch der kleine Daimon war klug. Seine Speerspitze zuckte zwar ein wenig zur Seite, aber nicht weit genug, um eine Lücke in seine Deckung zu reißen. Aus den Augenwinkeln sah Subai sein Schlachtross stürzen. Die Läufe des Rappen zuckten im Schnee.
»Dafür wirst du büßen, kleiner Mann«, zischte er und schlug weitere Finten. Der Daimon wich stetig vor ihm zurück. Subai überlegte, ob er nicht einfach seinen Bogenschützen befehlen sollte, den Kerl niederzuschießen. Doch das mochte so aussehen, als wäre er nicht in der Lage, diesen Winzling zu besiegen, und würde zu weiterem heimlichen Spott und geflüsterten Vergleichen mit seiner toten Schwester führen.
Plötzlich hatte der Daimon für ihn das Gesicht seiner Schwester. Mit einem wütenden Schrei sprang er vor und hieb mit der Dornaxt auf seinen Gegner ein. Ein wuchtiger Schlag fegte den Speer zur Seite und schleuderte den kleinen Kerl in den Schnee. Subai stellte einen Fuß auf den Speer, um die Waffe zu binden. Sofort ließ der Kleine los, rollte sich zur Seite, kam auf die Knie und zog das Schwert, das er auf seinen Rücken gegürtet trug.
Wieder griff Subai an. »Stirb endlich!«, zischte er und versuchte, auch das Schwert mit einem wilden Hieb hinwegzufegen. Doch diesmal vollführte der Daimon eine Drehung mit dem Handgelenk, kurz bevor sich die Waffen trafen, sodass Subais Schlag ins Leere ging. Der Kleine aber streckte sich und stieß das Schwert in Richtung seines Oberschenkels.
Mit einem Fluch machte der Reiterfürst einen Satz zurück, rutschte aus und landete auf dem Hintern. Glühende Zornesröte stieg ihm ins Gesicht. All seine Männer hatten das gesehen! Heute Nacht, an den Lagerfeuern, würden sie wieder über ihn reden und ihn mit seiner verfluchten Schwester vergleichen!
Der Daimon war inzwischen wieder auf den Beinen. Mit einem wilden Schrei und vorgestrecktem Schwert rannte er auf Subai zu und versuchte, ihm die Klinge in die Kehle zu rammen.
Der Fürst warf sich zur Seite und hieb aus der Bewegung heraus nach den Beinen des Daimons. Sein Gegner fing den schwachen Angriff mit der Klinge seines Schwertes ab. Selbst dieser halbherzige Hieb brachte den kleinen Daimon zum Taumeln.
Der Steppenreiter sprang auf und zog mit der Linken die Peitsche, die er am Gürtel trug. Die lange, gedrehte Lederschnur schnalzte dem Daimon ins Gesicht und verpasste ihm einen blutigen Striemen quer über Nase und Wange.
Der Kleine sah ihn hasserfüllt an. Offensichtlich hatte er begriffen, dass das Ende nah war. Er wich weiter zurück, und Subai erlaubte sich einen kurzen Blick zum weißen Hengst. Weitere Lederschlingen waren über seinen Hals geglitten. Das prächtige Pferd würde ihm gehören, ebenso wie der Kopf des widerborstigen, kleinen Daimons.
In diesem Moment stieg das gehörnte Pferd und warf kraftvoll den Kopf in den Nacken. Die Lederlassos strafften sich. Zwei seiner Männer wurden vom Ruck aus den Sätteln gerissen. Das Pferd warf sich wild hin und her, keilte aus, und ein Seil nach dem anderen zerriss. Das war unmöglich! Fassungslos sah Subai zu. Sobald das Horn des Pferdes eines der ledernen Seile berührte, flammte es auf und zerfiel zu Asche.
Einer seiner Männer sprang vom Pferd und stürmte todesmutig dem Hengst entgegen. Subai ahnte, was er tun wollte. Wenn ein Mann einem Pferd im richtigen Augenblick in die Mähne griff und entschlossen genug daran zerrte, konnte er es zu Boden reißen. Weitere Krieger glitten aus den Sätteln und versuchten, dem ersten zu helfen, als der weiße Hengst sich drehte und einem der Angreifer sein Horn in die Brust stieß. Der Mann sackte augenblicklich in sich zusammen. Dunkler Rauch quoll ihm aus Mund und Nase.
Ein zweiter Krieger wurde von einem Huftritt getroffen und etliche Schritt weit über das Eis geschleudert. Als das Pferd um seine eigene Achse tänzelte, wichen alle vor ihm zurück. Dann sah es Subai an, und die dunklen Augen schienen direkt auf den Grund seiner Seele zu blicken. Es wusste, dass er der Anführer war, und nun kam es auf ihn zu.
Subai wollte seinen Männern befehlen, das daimonische Pferd zu erschießen, doch er brachte kein Wort über die Lippen. Er vermochte nicht einmal seine Dornaxt zu heben, um sich zu verteidigen.