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Kapitel 17

Truppe nannte sich ›Heretics‹ , und die Tournee begann in Exeter mit einer Vorstellung vor einer Gemeinde, die geradenwegs aus der Kathedrale zu kommen schien: Frauen in malvenfarbener Halbtrauer, alte Priester, die dauernd drauf und dran waren, in Tränen auszubrechen. Wenn es keine Matinee gab, trieb das Ensemble sich gähnend in der Stadt herum, und abends, nach der Vorstellung, tranken sie mit ernsten Kunstjüngern Wein und aßen Käse, denn es gehörte einfach dazu, Glasperlen mit den Eingeborenen zu tauschen.

Von Exeter waren sie nach Plymouth weitergefahren, wo sie im Marine-Stützpunkt vor völlig verwirrten jungen Offizieren spielten, die sich mit der Frage herumquälten, ob Kulissenschiebern vorübergehend der Status von Gentlemen zuerkannt und damit Zutritt zu ihrer Messe gewährt werden könne. Doch sowohl Exeter als auch Plymouth waren Stätten der Ausgelassenheit gewesen, wo es hoch hergegangen war im Vergleich zu dieser tropfnassen, granitgrauen, tief unten in Cornwall gelegenen Bergarbeiter-Stadt mit ihren engen Gassen, durch die der von See kommende Nebel wallte und wo die verkrüppelten Bäume durch den ständigen Wind alle einen Buckel hatten. Das Ensemble war in einem halben Dutzend Privatpensionen untergebracht worden. Charlie hatte das Glück, in einer vollkommen von Hortensien umstandenen Insel mit Schiefergiebeln untergekommen zu sein, wo das Geratter der nach London fahrenden Züge ihr im Bett das Gefühl gab, eine Schiffbrüchige zu sein, die durch den Anblick in der Ferne vorüberfahrender Schiffe zur Verzweiflung getrieben wurde. Als Theater diente ihnen ein in einer Sporthalle aufgeschlagenes Gerüst, von dessen knarrender Bühne man das Chlor des Schwimmbeckens riechen und durch die Wand den schmatzenden Aufprall von Squash-Bällen hören konnte. Ihr Publikum war eine Kopftuch-und-Eintopf-Brigade, deren verschwiemelte, neidische Augen verrieten, dass sie es besser machen würden als die Schauspieler, sollten sie je so tief sinken. Ihre Garderobe schließlich war ein DamenUmkleideraum, und dorthin brachte man ihr die Orchideen - gerade als sie, zehn Minuten vor dem Auftritt, dabei war, sich zu schminken.

Zuerst erblickte sie sie in dem langen Spiegel überm Waschbecken, wie sie - bis zum Blütenansatz in feuchtes weißes Seidenpapier eingewickelt - durch die Tür hereinschwebten. Sie sah sie zögern, dann unsicher weiter auf sie zukommen. Sie jedoch fuhr fort, sich zu schminken, als hätte sie noch nie im Leben eine Orchidee gesehen. Ein Stengel, der wie ein in Papier gewickeltes Baby von einer fünfzigjährigen cornischen Vestalin namens Val mit schwarzen Zöpfen und einem flachen, von niemand bemerkten Lächeln auf dem Arm getragen wurde. Braungold.

»Sie müssen die schöne Rosalinde sein«, sagte Val schüchtern. Ein feindseliges Schweigen breitete sich aus, und die gesamte weibliche Hälfte des Ensembles genoss Vals Bedeutungslosigkeit. Es war der Zeitpunkt, da Schauspieler am allernervösesten und in sich gekehrtesten sind.

»Ich bin die Rosalinde«, bestätigte ihr Charlie, ohne ihr weiterzuhelfen. »Warum?« Und begann mit dem Eyeliner, um zu zeigen, dass es ihr recht gleichgültig sei, wie die Antwort ausfiel. Mit einer mutigen Geste legte Val die Orchideen in das Waschbecken und trippelte hinaus, während Charlie für alle, die sehen wollten, den Briefumschlag zur Hand nahm. Für Fräulein Rosalinde. Unenglische Handschrift, blauer Kugelschreiber statt schwarzer Tinte. Im Umschlag eine ganz und gar unenglische Visitenkarte auf Hochglanz. Der Name nicht gedruckt, sondern in spitzen, erhabenen, aber farblosen Kursiv-Großbuchstaben. ANTON MESTERBEIN, GENF. Darunter nur ein einziges Wort: Gerechtigkeit. Sonst keine Nachricht, kein »Johanna, Geist meiner Freiheit«. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf die andere Augenbraue, war sehr sorgfältig, als ob ihre Braue das Allerwichtigste auf Erden wäre. »Wer ist es denn, Chas?« fragte eine ländliche Schäferin am Nachbarbecken. Sie kam gerade aus der Schule, geistige Reife etwa wie bei einer Fünfzehnjährigen.

Charlie konzentrierte sich ganz auf ihr Spiegelbild und betrachtete kritisch ihr Werk. »Die müssen doch ‘n Vermögen gekostet haben, Chas, oder?« sagte die Schäferin.

»‘n Vermögen gekostet haben, Chas’«, äffte Charlie nach. Von ihm!

Eine Nachricht von ihm!

Aber warum ist er dann nicht hier? Und warum trägt das Kärtchen nicht seine Handschrift?

Traue keinem, hatte Michel sie gewarnt. Sei aber besonders misstrauisch, wenn jemand behauptet, mich zu kennen.

Eine Falle! Die Bullen! Sie sind dahinter gekommen, wer den Wagen durch Jugoslawien gefahren hat. Sie benutzen mich, um meinen Geliebten in die Falle zu locken.

Michel, Michel! Geliebter, mein Leben - sag, was soll ich tun? Sie hörte, wie ihr Name aufgerufen wurde: »Rosalinde - wo, zum Teufel, steckt Charlie? Charlie, verdammt noch mal!« Auf dem Korridor machte eine Gruppe von Schwimmern mit Handtüchern um den Hals beim Anblick einer rothaarigen Dame, die in einem fadenscheinigen elisabethanischen Fummel aus dem Umkleideraum kam, ausdruckslos-starre Gesichter.

Irgendwie spielte sie. Vielleicht machte sie es sogar gut. In der Pause sah der Regisseur, ein mönchisches Wesen, das sie Bruder Mycroft nannten, sie sonderbar an und fragte, ob sie’s »nicht ein bisschen runterschrauben« könne, und sie versprach ihm betreten, es zu tun.

Doch sie hatte ihn kaum gehört: sie war vollauf damit beschäftigt, die halbleeren Sitzreihen abzusuchen in der Hoffnung, einen roten Blazer zu entdecken.

Vergebens.

Sie sah andere Gesichter: Rachels und Dimitris, zum Beispiel - erkannte sie jedoch nicht. Er ist nicht da, dachte sie verzweifelt. Das Ganze ist ein gemeiner Trick. Es ist die Polizei.

Im Umkleideraum zog sie sich rasch um, band sich das weiße Kopftuch um und trödelte dort herum, bis der Hauswart sie hinauswarf. Im Foyer, wo sie wie ein weißköpfiges Gespenst unter den heimziehenden Sportlern herumstand, wartete sie weiter und drückte sich die Orchideen an die Brust. Eine alte Dame erkundigte sich bei ihr, ob sie sie selbst gezogen habe. Ein Schüler wollte ein Autogramm. Die Schäferin zupfte sie am Ärmeclass="underline" »Chas - die Party, um alles auf der Welt - Val sucht dich überall.«

Der Haupteingang der Sporthalle wurde hinter ihr zugeworfen, sie trat in die Nachtluft hinaus und wäre fast umgefallen, als der Sturmwind sie mit aller Macht anfiel. Mühselig kämpfte sie sich bis zu ihrem Auto durch, schloss auf, legte die Orchideen auf den Beifahrersitz und zog dann den Wagenschlag zu. Erst wollte der Motor nicht anspringen, und als er es schließlich tat, raste er wie ein Pferd los, das in den heimatlichen Stall will. Als sie die Auffahrt zur Hauptstraße hinunter donnerte, sah sie im Spiegel die Scheinwerfer eines Wagens, der hinter ihr herausfuhr und ihr dann in gleich bleibender Entfernung bis zu ihrer Pension folgte. Sie parkte und hörte, wie derselbe Wind an den Hortensien zerrte. Sie zog den Mantel fest um sich und lief dann, die Orchideen unterm Mantel, rasch auf den Eingang zu. Vier Stufen führten hinauf, und sie zählte sie zweimal - einmal, als sie hinaufsprang, und das zweite Mal, während sie keuchend an der Rezeption stand und jemand mit einem leichten und betonten Trippelschritt hinter ihr herkam. Gäste waren nirgends zu sehen, weder im Aufenthaltsraum noch in der Halle. Der einzig Überlebende war Humphrey, ein Dickens’scher Fettsack, der den Nachtportier spielte. »Nicht sechs, Humph«, sagte sie aufgedreht, als er nach dem Schlüssel suchte. »Sechzehn, mein Bester. Oberste Reihe. Und ein Liebesbrief für mich ist auch da; nicht dass Sie ihn einer anderen geben.«