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Irgendetwas davon musste sie laut gesagt haben. Ja, sie wusste, dass sie es getan hatte. Sie hatte ihre abgerissenen Sätze ausgewählt und kontrolliert, noch während der Schmerz sie zerriss. Ihr Hunde, Faschistenschweine, ach, Himmel, Michel!

Eine Pause, dann hörte sie Mesterbeins unveränderte Stimme sie auffordern, sich doch genauer darüber auszulassen, doch sie ignorierte ihn und fuhr fort, den Kopf hinter den Händen hin und her zu rollen. Sie erstickte, sie würgte, und ihre Worte blieben ihr im Hals stecken und kamen ihr nur stotternd über die Lippen. Die Tränen, der Schmerz, die wiederholten Schluchzer waren kein Problem für sie - die Ursachen ihres Kummers und ihrer Empörung waren ihr äußerst bewusst. Sie brauchte nicht an ihren verstorbenen Vater zu denken, den die Schande ihres Hinauswurfs aus der Schule beschleunigt ins Grab gebracht hatte, noch sich als das tragische Kind in der Wildnis des Erwachsenendaseins zu sehen, wie sie es für gewöhnlich tat. Sie brauchte nur an den halb gefügig gemachten jungen Araber zu denken, der ihre Liebesfähigkeit wiederhergestellt, der ihrem Leben jene Richtung gegeben hatte, um die es ihr schon immer gegangen war, und der jetzt tot war, dass ihre Tränen auf Kommando flössen.

»Sie sagt, es waren die Zionisten«, wandte Mesterbein Helga gegenüber auf Englisch ein. »Wieso behauptet sie, dass es die Zionisten waren, wenn es doch ein Unfall war? Die Polizei hat uns versichert, dass es ein Unfall war. Warum behauptet sie etwas anderes als die Polizei? Es ist sehr gefährlich, etwas anderes zu behaupten als die Polizei.«

Doch entweder hatte Helga es selbst bereits gehört, oder es war ihr egal. Sie hatte einen Kaffeetopf auf dem Elektrokocher aufgesetzt. Sie kniete neben Charlies Kopf, strich ihr mit ihrer kräftigen Hand nachdenklich das rote Haar aus dem Gesicht und wartete, dass ihre Tränen versiegten und sie mit ihren Erklärungen beginnen konnte. Der Kaffeetopf sprudelte plötzlich. Helga stand auf, um danach zu sehen. Charlie saß auf dem Sofa, hielt den Becher zwischen beiden Händen und neigte den Kopf darüber, als inhaliere sie den daraus aufsteigenden Dampf, während ihr die Tränen unentwegt die Wangen hinunterliefen. Helga hatte Charlie den Arm um die Schultern gelegt, und Mesterbein saß ihr gegenüber und betrachtete aus dem Schatten seiner eigenen dunklen Welt heraus die beiden Frauen. »Es war eine Explosion, ein Unfall«, sagte er. »Auf der Autobahn

Salzburg-München. Laut Polizei war sein Wagen voller Sprengstoff. Riesige Mengen. Warum? Warum sollte Sprengstoff plötzlich auf einer flachen Autobahn detonieren?«

»Ihre Briefe sind in Sicherheit«, flüsterte Helga, strich Charlie noch eine Strähne aus dem Gesicht und steckte sie ihr liebevoll hinters Ohr.

»Es war ein Mercedes«, sagte Mesterbein. »Mit Münchener Kennzeichen. Doch die Polizei sagt, es waren falsche. Auch die Papiere. Fälschungen. Warum sollte mein Klient mit falschen Papieren einen mit Sprengstoff vollgestopften Wagen fahren? Er war schließlich Student und kein Bombenleger. Das Ganze ist eine Verschwörung. Jedenfalls glaube ich das.« »Kennen Sie dieses Auto, Charlie?« flüsterte Helga ihr ins Ohr und drückte sie nochmals liebevoll an sich, in dem Bemühen, eine Antwort aus ihr herauszuholen. Doch alles, was Charlie in Gedanken sehen konnte, war ihr von zwei Zentnern russischem Plastik-Sprengstoff, die im Volant, den Verstrebungen, unter der Deckenverkleidung und in den Sitzen versteckt gewesen waren, in Stücke gerissener Geliebter: ein Inferno, das den von ihr ach so geliebten Körper zerfetzt hatte. Und alles, was sie hören konnte, war die Stimme ihres anderen namenlosen Mentors, die da sagte: traue ihnen nicht, lüg ihnen was vor, streite alles ab, weise es zurück, weigere dich.

»Sie hat etwas gesagt«, sagte Mesterbein vorwurfsvoll. »Sie hat ›Michel‹ gesagt«, sagte Helga und wischte einen neuerlichen Tränenausbruch mit einem mitfühlenden Taschentuch aus ihrer vernünftigen Handtasche fort.

»Und ein Mädchen ist auch dabei umgekommen«, sagte Mesterbein. »Sie war mit ihm im Auto, behaupten sie.« »Eine Holländerin«, sagte Helga leise und so nahe, dass Charlie ihren Atem am Ohr spürte. »Eine richtige Schönheit. Eine Blonde.«

«Offenbar sind sie zusammen ums Leben gekommen«, fuhr Mesterbein mit erhobener Stimme fort.

»Sie waren nicht die einzige, Charlie«, erklärte Helga vertraulich. »Sie hatten nicht den Exklusiv-Gebrauch unseres kleinen Palästinensers, wissen Sie?«

Zum ersten Mal, seit sie es ihr mitgeteilt hatten, sprach Charlie einen zusammenhängenden Satz. »Das habe ich nie verlangt«, flüsterte sie.

»Die Polizei sagt, die Holländerin sei eine Terroristin gewesen«, jammerte Mesterbein.

»Sie behaupten auch, dass Michel ein Terrorist war«, sagte Helga. »Sie behaupten, die Holländerin habe für Michel schon mehrere Male Bomben gelegt«, sagte Mesterbein. »Sie behaupten, Michel und das Mädchen hätten noch ein weiteres Attentat geplant gehabt und im Auto hätten sie eine Straßenkarte von München gefunden, in der Michel handschriftlich das Israelische Handelszentrum eingezeichnet hätte. An der Isar«, fügte er dann noch hinzu. »Im ersten Stock gelegen - wirklich ein sehr schwieriges Ziel. Hat er Ihnen gegenüber von diesem Unternehmen gesprochen, Miss Charlie?« Charlie zitterte und schlürfte ein bisschen Kaffee, was Helga als Antwort ebenso gut zu gefallen schien. »Na, sie wacht endlich auf. Möchten Sie noch mehr Kaffee, Charlie? Soll ich welchen heiß machen? Oder was zu essen? Wir haben Käse hier, Eier, Wurst - alles.«

Charlie schüttelte den Kopf und ließ sich von Helga auf die Toilette führen, wo sie lange blieb, sich Wasser ins Gesicht klatschte, würgte und dabei wünschte, sie hätte genug Ahnung vom Deutschen, um etwas von der beunruhigenden und stakkatohaften Unterhaltung mitzubekommen, die durch die papierdünne Tür an ihr Ohr drang. Als sie zurückkam, fand sie Mesterbein in seinem braunen Gabardine - Trenchcoat an der Haustür stehen.

»Miss Charlie, lassen Sie es sich von mir gesagt sein: Fräulein Helga steht voll und ganz unter dem Schutz des Gesetzes«, sagte er und schritt zur Tür hinaus.

Endlich allein! Zwei Frauen unter sich!

»Anton ist ein Genie«, verkündete Helga lachend. »Er ist unser Schutzengel. Er hasst das Gesetz, aber natürlich verliebt er sich in das, was er hasst. Stimmen Sie mir zu? …Charlie, Sie müssen mir immer zustimmen, sonst bin ich enttäuscht.« Sie kam näher. »Gewalt ist nicht das Problem«, sagte sie und nahm eine Unterhaltung