Doch Kurtz tat wieder so, als hätte er die Frage missverstanden. »Die Dame heißt Astrid Berger«, sagte er, und wieder richtete sich Pictons gelber Blick argwöhnisch und wissend zugleich auf ihn. Da er zu lange nicht die Möglichkeit gehabt hatte, eine bedeutende längere Bemerkung zu machen, hatte der Waliser Polizeibeamte sich dafür entschieden, aus dem Dossier laut Miss Bergers Personalangaben vorzulesen: »›Berger, Astrid, alias Edda, alias Helga‹ - alias Was-will-man-sonst-noch… 1954 in Bremen geboren, Tochter eines wohlhabenden Reeders. Sie bewegen sich in feinen Kreisen, muss ich schon sagen, Mr. Raphael. ›Studium an den Universitäten Bremen und Frankfurt, Examen 1978 in Politik und Philosophie. Gelegentlich Mitarbeiterin radikaler und satirischer westdeutscher Blatter, letzter bekannter Wohnsitz 1979 Paris, häufige Reisen in den Nahen Osten....‹ «
»Noch eine verdammte Intellektuelle«, fiel Picton ihm ins Wort. »Sehen Sie nach, ob wir was über sie haben, Malcolm.« Während Malcolm erneut hinausschlüpfte, ergriff Kurtz wieder beherzt die Initiative.
»Wenn Sie so freundlich wären, die Daten hier ein bisschen zu vergleichen, Commander - Sie sehen, dass Miss Bergers letzter Besuch in Beirut im April dieses Jahres stattfand, also mit Mr. Mesterbeins Reise zusammenfiel. Sie war auch in Istanbul, als Mr. Mesterbein dort Zwischenstation machte. Sie haben zwar verschiedene Maschinen genommen, sind aber im selben Hotel abgestiegen. Ja, Mike, bitte.«
Litvak hatte ein paar fotokopierte Hotelanmeldeformulare zu bieten, von Mr. Anton Mesterbein und Miss Astrid Berger ausgefüllt, 18. April datiert. Daneben, durch die Reproduktion stark verkleinert, die Quittung der von Mesterbein beglichenen Rechnung. Beim Hotel handelte es sich um das Istanbuler Hilton. Während Picton und der Chief Inspector die Kopien noch studierten, ging die Tür wieder auf und wurde geschlossen.
»Ist es zu fassen, Sir? Auch über Astrid Berger - nichts«, berichtete Malcolm äußerst kläglich lächelnd.
Picton hob seinen silbernen Drehbleistift mit den Fingerspitzen beider Hände in die Höhe und drehte ihn vor seinen missmutig blickenden Augen.
»Hm«, meinte er nachdenklich. »Hm. - Ja, dann mal weiter, Mr. Raphael.«
Bei Kurtz’ drittem Foto - oder, wie Litvak es später respektlos nannte, seiner dritten Karte in diesem Trick - handelte es sich um eine so wundervolle Fälschung, dass nicht einmal die ausgebufftesten Tel Aviver Experten in Luftaufnahmen sie aus dem Stapel hatten aussortieren können, der ihnen vorgelegt worden war. Das Foto zeigte Charlie und Becker, wie sie am Morgen ihrer Abreise auf den vor dem Delphier Hotel stehenden Mercedes zugehen. Becker trug Charlies Schultertasche und seine schwarze Reisetasche. Charlie hatte ihr griechisches Prachtgewand an und trug ihre Gitarre. Becker hatte den roten Blazer, das Seidenhemd und die Gucci-Schuhe an. Die behandschuhte Hand war nach der Fahrertür des Mercedes ausgestreckt. Außerdem trug er Michels Kopf. »Commander, dieses Bild wurde durch einen glücklichen Zufall zwei Wochen vor dem Sprengstoffzwischenfall vor den Toren Münchens gemacht, bei dem, wie Sie ganz richtig bemerkt haben, ein gewisses Terroristenpärchen das Unglück hatte, sich mit dem eigenen Sprengstoff in die Luft zu ]agen. Das rothaarige Mädchen im Vordergrund ist britische Staatsbürgerin. Ihr Begleiter nannte sie ›Johanna‹ , sie ihn wiederum ›Michel‹. Aber das war nicht der Name, der in seinem Pass stand.«
Die veränderte Atmosphäre war wie ein plötzlicher Temperatursturz. Der Chief Inspector sah Malcolm mit verzerrtem Gesicht an, und Malcolm seinerseits schien ihn anzulächeln; doch dann wurde allmählich deutlich, dass Malcolms Lächeln wenig mit dem zu tun hatte, was für gewöhnlich als Humor gilt. Doch im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand Pictons massive Unbeweglichkeit - seine scheinbare Weigerung, sich durch nichts anderes zu informieren als durch das vor ihm liegende Foto. Denn mit seiner Erwähnung eines britischen Staatsbürgers war Kurtz, wenn auch vielleicht unbewusst, in Pictons heiligen Bereich eingedrungen, und das tat man auf eigene Gefahr.
»Ein glücklicher Zufall«, wiederholte Picton durch fest zusammengepresste Lippen und starrte weiter auf das Bild. »Ein guter Freund, der zufällig seinen Fotoapparat bereithielt, nehme ich an - diese Art von glücklichem Zufall.«
Kurtz grinste verschämt, sagte aber nichts.
»Schoß ein paar Bilder - schickte sie aufs Geratewohl nach Jerusalem. Terroristen, denen er im Urlaub zufällig auf die Spur kam - meinte, er könnte von Nutzen sein.«
Kurtz’ Grinsen verbreiterte sich, und zu seiner Verwunderung sah er, dass Picton zurückgrinste, wenn auch nicht gerade besonders freundlich.
»Ja, nun, ich glaube, mir fallen da auch ein paar solch guter Freunde ein. Ihr habt ja überhaupt überall auf der Welt Freunde, wenn ich so darüber nachdenke. In hochgestellten Kreisen, weniger hochgestellten und in reichen Kreisen...« Einen unseligen Augenblick lang sah es so aus, als waren gewisse alte Frustrationen aus Pictons Tagen in Palästina unvermittelt wieder lebendig geworden und drohten, ihn in die Luft gehen zu lassen. Doch er beherrschte sich. Er brachte seine Züge wieder unter Kontrolle, seine Stimme wurde leiser. Sein Lächeln wurde so entspannt, bis man es als freundlich hatte bezeichnen können. Kurtz’ Lächeln hingegen war eher durchwachsen, und Litvaks Gesicht wurde durch seine Hand dermaßen verzerrt, dass man ebenso gut hätte meinen können, er schütte sich vor Lachen aus, oder beschwichtige rasende Zahnschmerzen. Der graue Chief Inspector räusperte sich, und mit Waliser Gutmütigkeit rückte er wieder gerade rechtzeitig mit einer Bemerkung heraus. »Na ja, selbst angenommen, sie wäre Engländerin, Sir, was mir im Augenblick eine ziemlich weit hergeholte Hypothese zu sein scheint, es gibt kein Gesetz -zumindest nicht bei uns -, das verbietet, dass jemand mit Palästinensern schläft. Wir können doch nicht bloß deswegen landesweit eine Fahndung nach der betreffenden Dame unternehmen! Mein Gott, wenn wir…«
»Er hat noch mehr«, sagte Picton und sah Kurtz wieder an. »Viel mehr.«
In seinem Ton schwang aber wesentlich mehr mit: Das haben sie immer.
Weiterhin höflich und guter Dinge, forderte Kurtz seine Zuhörer auf, sich den Mercedes rechts auf dem Bild genauer anzusehen. Wenn er leider auch nicht viel von Autos verstehe, seine Leute hätten ihm versichert, dass es sich um eine Limousine handele, weinrot, mit der Radioantenne vorn auf dem rechten Kotflügel, zwei Seitenspiegeln, Zentralverrieglung und Sicherheitsgurten nur an den Vordersitzen. In allen diesen Einzelheiten und vielen anderen, die auf dem Bild nicht sichtbar seien, sagte er, gleiche der Mercedes auf dem ihnen vorliegenden Foto dem Mercedes, der zufälligerweise außerhalb von München in die Luft geflogen und von dessen Vorderteil wie durch ein Wunder das meiste unversehrt geblieben sei.
Malcolm wartete plötzlich mit einer Lösung auf. »Aber gewiss, Sir - was nun das betrifft, dass sie Engländerin sein soll -, ist sie denn nicht die Holländerin? Ob nun rothaarig oder blond - das hat doch nichts zu bedeuten. Englisch kann doch in diesem Zusammenhang nur bedeuten, dass Englisch ihre gemeinsame Sprache war.« »Ruhe!« befahl Picton und zündete sich eine Zigarette an, ohne den anderen eine anzubieten. »Lassen Sie ihn weitermachen«, sagte er. Und inhalierte eine Unmenge Rauch, ohne ihn wieder auszustoßen. Kurtz’ Stimme hatte inzwischen etwas Straffes bekommen, wie auch, zumindest für einen Augenblick, seine Schultern. Er hatte beide Fäuste neben dem Dossier auf den Tisch gelegt. »Commander, aus anderer Quelle wissen wir«, verkündete Kurtz mit größerem Nachdruck, »dass derselbe Mercedes auf der Fahrt nach Norden, von Griechenland durch Jugoslawien, von einer jungen Frau mit einem britischen Pass gefahren wurde. Ihr Liebhaber begleitete sie nicht, sondern flog mit einer Maschine der Austrian Airways nach Salzburg voraus. Dieselbe Fluggesellschaft durfte auch eine sehr opulente Unterkunft für ihn reservieren, im Hotel Österreichischer Hof in Salzburg, wo unsere Nachforschungen ergeben haben, dass das Paar sich Monsieur und Madame Laserre nannte, obwohl die betreffende Dame kein Französisch sprach, sondern nur Englisch. Man erinnert sich an die Dame wegen ihres phantastischen Aussehens, ihres roten Haars, des fehlenden Eherings und der Gitarre, die einige Heiterkeit auslöste; außerdem war aufgefallen, dass, obwohl die Dame das Hotel früh am Morgen zusammen mit ihrem Mann verlassen hatte, sie später am Tage allein zurückkehrte. Der Hoteldiener erinnert sich, Madame Laserre ein Taxi zum Flughafen Salzburg bestellt zu haben, und weiß auch noch genau, um welche Zeit das geschah, um 2 Uhr nachmittags nämlich, kurz bevor er frei hatte. Er erbot sich, ihre Buchung zu bestätigen und sich zu vergewissern, dass die Maschine keine Verspätung hatte, doch Madame Laserre wollte davon nichts wissen, weil sie vermutlich nicht unter diesem Namen reiste. Drei Flüge von Salzburg passen in diesen Zeitrahmen, darunter eine Maschine der Austrian Airways nach London. Die Dame am Schalter der AA erinnert sich genau an eine rothaarige Engländerin, die ein nicht benutztes Charter-Ticket Saloniki-London vorwies und es umgebucht haben wollte, was jedoch nicht möglich war. Infolgedessen war sie gezwungen, ein Hinflug-Ticket zum vollen Preis zu nehmen, das sie in US-Dollar bezahlte, hauptsächlich in Zwanzig-Dollar-Scheinen.«