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Steil ging es eine gewundene Straße hinauf. Hinten aus dem Landrover sah sie, wie das Tal unter ihnen zurückblieb; durch die Windschutzscheibe und zwischen den Köpfen des Leibwächters und des Fahrers hindurch beobachtete sie, wie der Regen auf dem Asphalt in die Höhe sprang wie Schwärme tanzender Elritzen. Ein Wagen fuhr vor ihnen her, und an der Art, wie sie ihm folgten, erkannte Charlie, dass es einer der Ihren war; ein Auto folgte ihnen, doch weil sie sich überhaupt nicht darum kümmerten, war es ebenfalls eines der Ihren. Sie stiegen noch einmal um und möglicherweise noch einmal; sie fuhren in einen Gebäudekomplex hinein, der eine verlassene Schule zu sein schien, doch diesmal stellte der Fahrer den Motor ab, während er und der Leibwächter mit den Maschinenpistolen am Fenster saßen und abwarteten, wer sonst noch den Hügel heraufkam. Es gab Kontrollpunkte an der Straße, vor denen sie hielten, und andere, durch die sie einfach hindurch fuhren und die unbeteiligten Wachen kaum mit einem leichten Heben der Hand grüßten. Sie kamen an einen Kontrollpunkt, wo der vorn sitzende Leibwächter das Fenster herunterkurbelte und aus seiner MP einen Feuerstoß ins Dunkel abgab; die einzige Antwort war ein erschrockenes Mähen von Schafen. Ein letztes Mal schössen sie mit einem schreckenerregenden Satz ins Schwarze zwischen zwei Scheinwerferpaaren hindurch, die voll auf sie gerichtet waren, doch inzwischen war sie darüber hinaus, in Panik zu geraten; ihr zitterten die Knie, sie war fix und fertig, und ihr war alles egal. Der Wagen hielt; sie war im Vorhof einer alten Villa mit Wachen im Kindesalter, die mit ihren Maschinenpistolen wie in einem russischen Film als Silhouetten auf dem Dach posierten. Die Luft war kalt und rein und voll von all den griechischen Gerüchen, die der Regen nicht hatte vertreiben können -Zypressen und Honig und alle Wildblumen auf Erden. Der Himmel war voller Stürme und rauchender Wolken; in kleiner werdenden Lichtfeldern erstreckte sich unter ihnen das Tal. Sie führten sie durch einen Vorbau in die Halle, und dort, im Licht besonders dämmriger Deckenlampen, sah sie ihn zum ersten Maclass="underline" Unseren Captain, eine braune, zur Seite geneigte Gestalt mit einem strähnigen schwarzen Schopf wie ein Schuljunge und einem englisch aussehenden Spazierstock aus Naturesche als Stütze für seine hinkenden Beine und einem Willkommenslächeln, das sein pockennarbiges Gesicht verzog. Um ihr die Hand zu schütteln, hängte er den Spazierstock über den linken Unterarm und ließ ihn herabbaumeln, so dass sie das Gefühl hatte, ihn einen Moment stützen zu müssen, ehe er sich wieder aufrichtete.

»Miss Charlie, ich bin Captain Tayeh. Ich begrüße Sie im Namen der Revolution.«

Seine Stimme war munter und sachlich und schön - wie die Josephs. Angstmachen gehört zur Prüfung, hatte Joseph sie gewarnt. Leider kann man niemand ständig Angst machen. Aber bei Captain Tayeh, wie er sich nennt, musst du dein Bestes geben, denn Captain Tayeh ist ein kluger Mann.

»Verzeihen Sie«, sagte Tayeh mit fröhlicher Heuchelei. Das Haus gehörte nicht ihm, denn er konnte nichts finden. Selbst für einen Aschenbecher musste er in der Dunkelheit umhertappen und sich bei allen möglichen Dingen humorvoll fragen, ob sie wohl zu wertvoll seien, um benutzt zu werden. Dennoch gehörte das Haus jemand, den er mochte, denn sie beobachtete eine gewisse Freundlichkeit in seinem Verhalten, die besagte: Typisch für sie - ja, genau dort müssen sie ihre Getränke aufbewahren. Die Beleuchtung war immer noch äußerst schwach, doch als ihre Augen sich daran gewöhnt hatten, kam sie zu dem Schluss, dass sie sich im Haus eines Gelehrten befinden müsse oder dem eines Politikers oder Rechtsanwalts. Die Wände waren über und über mit Büchern bedeckt, die auch wirklich gelesen, durchgebogen und nicht zu ordentlich wieder ins Regal zurückgestellt worden waren; überm Kamin hing ein Bild, das eine Darstellung Jerusalems sein konnte. Alles andere war ein männliches Durcheinander vieler Geschmacksrichtungen: Ledersessel und Patchworckissen und ein kunterbuntes Durcheinander von Orientteppichen. Dazu Einzelstücke arabischen Silbers, sehr weiß und überladen, die wie Schatzkästchen aus dunklen Nischen blinkten. Zwei Stufen tiefer in einem Alkoven ein Extra-Arbeitszimmer mit einem Schreibtisch im englischen Stil und einem panoramaartigen Blick über das Tal, aus dem sie gerade heraufgekommen war, und über die im Mondlicht daliegende Küste. Sie saß dort, wo er ihr bedeutet hatte, sich hinzusetzen - auf dem Ledersofa. Tayeh selbst humpelte immer noch, ohne sich zu schonen, am Stock durch den Raum, machte alles nacheinander, während er sie aus verschiedenen Gesichtswinkeln musterte, ihr Maß nahm; jetzt die Gläser; jetzt ein Lächeln; dann - mit einem weiteren Lächeln - Wodka; und schließlich Scotch, offenbar seine Lieblingsmarke, denn er studierte anerkennend das Etikett. An jedem Ende des Raums saß - eine Maschinenpistole über den Knien - ein Junge. Ein Stoß Briefe war über den Schreibtisch verstreut; auch ohne hinzusehen, wusste sie, dass es ihre Briefe an Michel waren. Mach nicht den Fehler, Unordnung mit Inkompetenz gleichzusetzen, hatte Joseph sie gewarnt; bitte keine rassistischen Vorurteile, Araber wären etwa inferior.

Die Lampen gingen ganz aus, doch das taten sie oft, selbst unten im Tal. Von dem riesigen Fenster eingerahmt, stand er aufragend über ihr, ein wachsam lächelnder Schatten, der sich auf einen Stock stützte.

»Wissen Sie, was es für uns bedeutet, wenn wir nach Hause gehen?« fragte er, sie immer noch nicht aus den Augen lassend. Sein Stock jedoch zeigte auf das große Fenster. »Können Sie sich vorstellen, was es bedeutet, im eigenen Land zu sein, unter den eigenen Sternen, auf dem eigenen Grund und Boden, ein Gewehr in der Hand, zu stehen und nach dem Unterdrücker Ausschau zu halten? Fragen Sie die Jungs.«

Wie andere Stimmen, die sie kannte, hörte sich seine Stimme im Dunkeln noch schöner an.

»Sie mochten Sie«, sagte er. »Haben Sie sie auch gemocht?«

»Ja.«

»Wer hat Ihnen am besten gefallen?«

»Alle gleich«, sagte sie, und er lachte wieder. »Man behauptet, dass Sie sehr in Ihren toten Palästinenser verliebt seien. Stimmt das?«

»Ja.« Sein Stock zeigte immer noch auf das Fenster. »Früherwenn Sie den Mut dazu hätten - hätten wir Sie mitgenommen. Über die Grenze. Angriff. Rache. Wieder zurück. Feiern. Wir würden zusammen gehen. Helga sagt, Sie wollen kämpfen. Wollen Sie kämpfen?«

»Ja.«

»Gegen jeden oder nur gegen die Zionisten?« Er wartete ihre Antwort nicht ab. Er trank. »Manche von dem Abschaum, den wir bekommen, möchten am liebsten die ganze Welt in die Luft jagen. Sind Sie auch so?«

»Nein.«

»Sie sind Abschaum, diese Leute. Helga - Mr. Mesterbein -notwendiger Abschaum. Ja?«

»Ich hatte nicht genug Zeit, das herauszufinden«, sagte sie.

»Gehören Sie zum Abschaum?«

»Nein.«

Das Licht ging wieder an. »Nein«, pflichtete er ihr bei und prüfte sie weiter. »Nein, ich glaube auch nicht. Aber vielleicht verändern Sie sich. Haben Sie jemals einen Menschen getötet?«

»Nein.«

»Sie sind in einer glücklichen Lage. Sie haben eine Polizei. Ihr eigenes Land. Das Parlament. Rechte. Pässe. Wo leben Sie?«

»In London.«

»Und in welchem Teil?«

Sie hatte das Gefühl, dass seine Verwundungen ihn mit ihren Antworten ungeduldig machten; dass sie seine Gedanken schon immer über sie hinausgehen ließen, zu neuen Fragen. Er hatte einen hohen Stuhl gefunden und zog ihn achtlos zu ihr hin, doch keiner der Jungen stand auf, um ihm zu helfen, und sie vermutete, dass sie es nicht wagten. Als er den Stuhl dort hatte, wo er ihn haben wollte, zog er noch einen zweiten heran, dann setzte er sich auf den einen und schwang sein Bein auf den anderen. Und als er das alles geschafft hatte, zog er eine einzelne Zigarette aus der Tasche seines Uniformrocks und steckte sie sich an.