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Shimon Litvak trat seine lange Wache frühmorgens an, acht Stunden bevor die Meldung durchkam, Charlie habe die Grenze sicher überschritten, und zwei Nächte und einen Tag nachdem Joseph in Michels Namen die beiden gleichlautenden Telegramme an den Anwalt in Genf zur Weiterleitung an seinen Klienten geschickt hatte. Es war jetzt Nachmittag, und Litvak hatte die Wache dreimal ablösen lassen; trotzdem langweilte sich keiner, hätte man von keinem sagen können, dass er weniger als wachsam gewesen wäre; sein Problem bestand nicht dann, das Team wach zu halten, sondern sie zu bewegen, sich in der dienstfreien Zeit richtig auszuruhen. Von seiner beherrschenden Position am Fenster der Hochzeitssuite eines alten Hotels sah Litvak auf einen hübschen Kärntner Marktplatz hinab, dessen Hauptmerkmale ein paar traditionelle Wirtshäuser mit Tischen vor der Tür, ein kleiner Parkplatz und ein liebenswürdig alter Bahnhof mit Zwiebeltürmen über dem Büro des Stationsvorstehers waren. Das ihm am nächsten gelegene Wirtshaus hieß Zum schwarzen Schwan und bot als besondere Attraktion einen Akkordeonspieler, einen in sich gekehrten jungen Mann, der zu gut spielte, um zufrieden zu sein, und ein finsteres Gesicht machte, wenn Autos vorüber fuhren, was recht häufig geschah. Das zweite nannte sich Zimmermanns Rüstzeug und hatte ein schönes goldenes Wirtshausschild aus Schreinerwerkzeugen draußen hängen. Zimmermanns war etwas Besonderes, weiße Tischtücher und Forellen, die man sich aus einem Wasserbehälter draußen selbst aussuchen konnte. Um diese Tageszeit waren nur wenige Fußgänger unterwegs; druckende, staubige Hitze verlieh der ganzen Szene etwas angenehm Verschlafenes. Vor dem Schwan tranken zwei Mädchen Tee und schrieben kichernd gemeinsam einen Brief; ihre Aufgabe war es, die Kennzeichen aller Autos festzuhalten, die auf dem Platz ankamen oder abfuhren. Draußen vor dem Zimmermann nippte ein ernster junger Priester an seinem Wein und las das Brevier, und im südlichen Österreich fordert kein Mensch einen Priester auf wegzugehen. Der richtige Name des Priesters lautete Udi, die Kurzform für Ehud, der Linkshändige, der den König der Moabiter erschlug. Wie sein Namensvetter war er bis an die Zähne bewaffnet und linkshändig - und saß für den Fall da, dass gekämpft werden musste. Unterstützt wurde er von einem mittelalterlichen englischen Paar, das auf dem Parkplatz in seinem Rover saß und für alle Welt sichtbar die Wirkungen eines guten Mittagessens ausschlief. Dennoch hatten sie Schusswaffen zwischen den Füßen stecken und eine Reihe anderer Eisenwaren in Reichweite bereitliegen. Ihr Radio war auf den Funk-Lieferwagen eingestellt, der zweihundert Meter weiter auf der Straße nach Salzburg abgestellt war. Litvak hatte alle zusammengenommen neun Männer und vier Frauen. Er hätte auch sechzehn gebrauchen können, aber er beschwerte sich nicht. Er liebte es, gut geschützt im Hinterhalt zu liegen, und die Spannung erfüllte ihn stets mit einem Gefühl des Wohlbehagens. Dazu bin ich geboren, dachte er: Das dachte er immer, wenn endlich etwas zum Klappen kam und es losging. Er trieb wie ein Schiff bei Windstille dahin, Geist und Körper befanden sich in einem tiefschlafähnlichen Zustand, seine Leute lagen an Deck, hingen Tagträumen über Freunde oder Freundinnen und sommerliche Streifzüge durch Galiläa nach. Sobald jedoch die geringste Brise aufkam, würde jeder einzelne von ihnen auf seinem Posten sein, noch ehe die Segel anfingen, sich zu blähen.

Litvak murmelte ein Routine-Losungswort in das Mikrofon seines Kopfhörers und erhielt eines als Antwort. Sie sprachen deutsch, um weniger Aufmerksamkeit zu erregen. Zur Tarnung benutzten sie mal ein Funk-Taxi-Unternehmen in Graz, dann wieder einen Hubschrauber-Rettungsdienst, der in Innsbruck stationiert war. Sie wechselten häufig die Wellenlänge und verwendeten eine Reihe von verwirrenden Rufzeichen.

Um vier rollte Charlie mit dem Mercedes auf den Marktplatz, und einer der Beobachter gab drei Fanfarentöne über sein Funkgerät von sich. Charlie hatte Probleme, einen Parkplatz zu finden, doch Litvak hatte bestimmt, dass ihr dabei nicht geholfen werden durfte. Lasst sie es spielen, wie es kommt; warum ihr gleich einen Stuhl unter den Hintern schieben. Eine Parklücke wurde frei, sie fuhr hinein, stieg aus, streckte sich, rieb sich den Rücken und holte Schultertasche und Gitarre aus dem Kofferraum. Sie ist gut, dachte Litvak, während er sie durch seinen Feldstecher beobachtete. Ein Naturtalent. Jetzt den Wagen verschließen. Sie tat es. Jetzt den Schlüssel ins Auspuffrohr stecken. Auch das tat sie, mit einer wirklich geschickten Bewegung, während sie sich bückte, um ihr Gepäck aufzuheben. Dann machte sie sich müde zum Bahnhof auf und schaute dabei weder links noch rechts. Litvak machte es sich bequem, um weiter zu warten. Die Ziege ist angebunden, dachte er, sich an einen von Kurtz’ Lieblingsaussprüchen erinnernd. Jetzt fehlt nur noch der Löwe. Er sprach ein Wort in das Gerät und hörte, wie der Befehl bestätigt wurde. Er stellte sich vor, wie Kurtz in der Münchener Wohnung über dem kleinen Fernschreiber hockte, während im Funk-Lieferwagen das Signal durchgetickert wurde. Er stellte sich die dazugehörende unbewusste wischende Bewegung seiner knubbeligen Finger vor, wie sie nervös an seinem ständigen Lächeln herumzupften; wie er den dicken Unterarm hob, um - ohne richtig hinzusehen - einen Blick auf die Uhr zu werfen. Endlich geht’s hinaus ins Dunkel, dachte Litvak, während er beobachtete, wie die frühe Dämmerung einsetzte. Und auf das Dunkel haben wir uns all diese Monate über gefreut. Eine Stunde verging. Der gute Priester Udi bezahlte seine bescheidene Rechnung und verschwand frommgemessenen Ganges in einer Seitenstraße, um sich auszuruhen und in der sicheren Wohnung sein Äußeres zu verändern. Die beiden Mädchen waren endlich mit ihrem Brief fertig und brauchten eine Briefmarke. Als sie eine hatten, gingen sie aus demselben Grund. Zufrieden beobachtete Litvak, wie die Ablösungen ihre Positionen einnahmen: ein ziemlich mitgenommener Wäschereiwagen; zwei Anhalter, die ein spätes Mittagessen brauchten; ein italienischer Gastarbeiter mit einer Mailänder Zeitung, der einen Kaffee trank. Ein Polizeiauto fuhr auf den Platz und drehte langsam drei Ehrenrunden, aber weder der Fahrer noch sein Kollege zeigten auch nur das geringste Interesse für einen geparkten roten Mercedes mit dem Zündschlüssel im Auspuffrohr. Um zwanzig vor acht marschierte - was die Erregung der Beobachter beträchtlich steigerte - eine fette Frau direkt auf den Wagenschlag zu, zwängte einen Schlüssel ins Schloss, bot die komödienreife Darstellung einer Spätzündung und fuhr statt dessen mit einem roten Audi davon. Sie hatte sich einfach im Wagen geirrt. Um acht drehte ein schweres Motorrad rasch eine Runde und knatterte so schnell wieder davon, dass keiner Zeit fand, sich das Kennzeichen zu notieren. Beifahrer auf dem Soziussitz, lange Haare, könnte eine Frau gewesen sein; sahen aus wie zwei junge Leute auf einer Spritztour. »Kontakt?« erkundigte sich Litvak über Funk.