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Auf der Plaza standen realistische Steinlöwen mit heraushängenden Zungen, und in Lucias überreizter Phantasie schienen sie nach ihr zu schnappen. Vor ihr erhob sich die Kathedrale, an deren Fassade Lucia ein Relief auffiel, das ein junges Mädchen und einen grinsenden Totenschädel zeigte. Überall schien der Tod zu lauern.

Lucia hörte eine Kirchenglocke läuten und blickte durchs offene Stadttor hinaus. Auf einem Hügel weit vor der Stadt erhob sich ein Kloster. Sie stand da und starrte es an.

»Weshalb sind Sie zu uns gekommen, meine Tochter?« fragte Ehrwürdige Mutter Betina mit leiser Stimme.

»Ich bin auf der Suche nach einem Zufluchtsort.« »Und Sie haben beschlossen, sich zu Gott zu flüchten?«

Genau! »Ja.« Lucia begann zu improvisieren. »Danach habe ich mich schon immer gesehnt - nach einem Leben im Frieden des Herrn.«

»In unserer Seele finden wir alles, was wir uns nur wünschen können, nicht wahr, meine Tochter?«

Mein Gott, sie fällt tatsächlich drauf rein, dachte Lucia zufrieden.

»Sie müssen wissen, dass der Zisterzienserorden der allerstrengste ist, mein Kind«, fuhr die Ehrwürdige Mutter fort. »Wir sind völlig von der Außenwelt isoliert.«

Ihre Worte waren Musik in Lucias Ohren.

»Wer im Schütze dieser Mauern lebt, hat gelobt, sie nie mehr zu verlassen.«

»Ich will sie nie verlassen«, versicherte Lucia ihr. Zumindest in den nächsten Monaten nicht.

Die Ehrwürdige Mutter erhob sich. »Das ist eine schwerwiegende Entscheidung. Ich schlage vor, dass Sie wiederkommen, wenn Sie gründlich darüber nachgedacht haben und zu einem Entschluss gelangt sind.«

Lucia merkte, dass die Situation ihrer Kontrolle entglitt, und begann in Panik zu geraten. Sie wusste nicht, wo sie hätte hingehen sollen. Ihre einzige Hoffnung war, hinter diesen Mauern bleiben zu dürfen.

»Ich habe darüber nachgedacht«, sagte Lucia rasch. »Glauben Sie mir, Ehrwürdige Mutter, ich habe an nichts anderes mehr gedacht. Ich möchte der Welt entsagen.« Sie sah der Äbtissin in die Augen. »Ich möchte lieber hier als an irgendeinem anderen Ort der Welt sein.« Ihr bestimmter Tonfall klang überzeugend.

Die Ehrwürdige Mutter stand vor einem Rätsel. Diese junge Frau hatte etwas aufgeregt Ängstliches an sich, das beunruhigend war. Aber welchen besseren Grund konnte es dafür geben, hier Zuflucht zu suchen, wo Gebet und Meditation Seelenfrieden brachten?

»Sind Sie katholisch?«

»Ja, Ehrwürdige Mutter.«

Die Äbtissin nahm wieder Platz und griff nach einem altmodischen Federhalter. »Ihr Name, Kind?«

»Ich heiße Lucia Car. Caproni.«

»Leben Ihre Eltern noch?«

»Nur mein Vater.«

»Was ist er von Beruf?«

»Er ist Geschäftsmann gewesen. Jetzt hat er sich zur Ruhe gesetzt.« Der Gedanke daran, wie blass und krank er bei ihrem letzten Besuch ausgesehen hatte, versetzte ihr einen Stich ins Herz.

»Haben Sie Geschwister?«

»Zwei Brüder.«

»Und was sind sie von Beruf?«

Lucia beschloss, lieber dick aufzutragen. »Die beiden studieren Theologie.«

»Wundervoll!«

Diese Befragung ging fast drei Stunden weiter. »Ich lasse Ihnen für die Nacht ein Bett anweisen«, entschied die Ehrwürdige Mutter Betina dann. »Morgen beginnen wir mit dem Unterricht, und wenn Sie nach seinem Abschluss noch immer bleiben wollen, können Sie in den Orden eintreten. Aber ich muss Sie warnen: Sie haben einen sehr schwierigen Weg gewählt.«

»Glauben Sie mir«, sagte Lucia aufrichtig, »mir bleibt keine andere Wahl.«

Eine laue Nachtbrise flüsterte in den Bäumen, unter denen Lucia schlief. Sie war auf einem Fest in einer luxuriösen Villa, ihr Vater und ihre Brüder waren ebenfalls da, und alle amüsierten sich glänzend, als ein Unbekannter hereingestapft kam und fragte: »Wer sind diese Leute, verdammt noch mal?« Und die Lichter flammten auf, und eine helle Taschenlampe schien ihr ins Gesicht, und sie schrak hoch und setzte sich auf, während die Lampe sie weiter blendete.

Die Nonnen auf der Lichtung waren von etwa einem halben Dutzend Männern eingekreist. Da das Licht blendete, konnte Lucia ihre Umrisse nur undeutlich erkennen.

»Wer sind Sie?« wollte der Mann wissen. Seine Stimme war grob und tief.

Lucias Verstand arbeitete auf Hochtouren. Sie schienen in der Falle zu sitzen. Aber wenn diese Männer Polizisten gewesen wären, hätten sie gewusst, wer die vier Frauen waren. Und was hatten sie mitten in der Nacht hier im Wald zu suchen?

Lucia setzte alles auf eine Karte. »Wir sind Schwestern aus dem Kloster Avila«, antwortete sie. »Heute morgen sind wir von einem Sonderkommando überfallen und.«

»Das haben wir gehört«, unterbrach der Mann sie.

Auch die anderen Schwestern setzten sich jetzt ängstlich und hellwach auf.

»Wer. wer sind Sie?« fragte Megan.

»Ich bin Jaime Miro.«

Die Männer waren zu sechst: kräftige Gestalten in Cordjeans, Lederjacken, Rollkragenpullovern, festen Lederstiefeln und den traditionellen Baskenmützen. Sie waren schwer bewaffnet und wirkten im schwachen Mondlicht geradezu dämonisch. Zwei von ihnen schienen erst vor kurzem körperlich misshandelt worden zu sein.

Der Mann, der sich Jaime Miro nannte, war groß und hager und hatte wilde schwarze Augen. »Sie können hierher verfolgt worden sein.« Er nickte einem seiner Leute zu. »Sieh dich mal um.«

»Si.«

Lucia merkte, dass eine Frau geantwortet hatte, und beobachtete, wie sie lautlos unter den Bäumen verschwand.

»Was hast du mit ihnen vor?« fragte Ricardo Mellado.

»Nada«, antwortete Jaime Miro. »Wir lassen sie hier und marschieren weiter.«

»Jaime, das sind kleine Schwestern Christi«, protestierte einer der Männer.

»Dann soll Jesus sich um sie kümmern«, sage Miro knapp. »Wir haben genügend andere Sorgen.«

Die inzwischen aufgestandenen Nonnen warteten auf eine Entscheidung. Die Männer umringten Jaime Miro und diskutierten mit ihm.

»Wir dürfen nicht zulassen, dass sie gefasst werden. Acoca und seine Männer sind hinter ihnen her.«

»Ohne unsere Hilfe schaffen’s die Schwestern nie.«

»Wir haben keinen Grund, unser Leben für sie zu riskieren«, stellte Miro nachdrücklich fest. »Wir haben genügend eigene Probleme.«

Felix Carpio, einer seiner Unterführer, ergriff das Wort. »Wir könnten sie ein Stück weit begleiten, Jaime«, schlug er vor. »Damit sie erst mal von hier wegkommen.« Er wandte sich an die Nonnen. »Wohin sind Sie unterwegs, Schwestern?«

»Ich habe einen heiligen Auftrag«, antwortete Teresa, aus deren Blick das Licht Gottes leuchtete. »Das Kloster Mendavia wird uns Zuflucht gewähren.«

»Wir könnten sie dorthin begleiten«, sagte Carpio zu Miro. »Mendavia liegt auf unserem Weg nach San Sebastian.«

Jaime Miro funkelte ihn aufgebracht an. »Verdammter Idiot! Musst du überall rumposaunen, wohin wir wollen?«

»Ich wollte nur sagen.«

»Mierda!« Das klang angewidert. »Jetzt bleibt uns nichts anderes übrig, als sie tatsächlich mitzunehmen. Bekäme Acoca sie in die Finger, würde er sie zum Reden bringen. Mit ihnen kommen wir langsamer voran, so dass Acocas Schlächter uns um so leichter verfolgen können.«

Lucia hörte nur mit halbem Ohr zu. Das goldene Kruzifix lag verlockend ganz in ihrer Nähe. Aber diese verdammten Kerle! Dein Zeitgefühl ist schauderhaft, Gott, und du hast einen merkwürdigen Sinn für Humor.

»Gut, meinetwegen«, sagte Jaime Miro gerade. »Wir müssen eben das Beste daraus machen. Wir bringen sie bis zum Kloster, aber wir können nicht alle gemeinsam wie ein gottverdammter Wanderzirkus durch die Gegend ziehen.« Als er sich jetzt an die Nonnen wandte, war seine Verärgerung unüberhörbar. »Wisst ihr überhaupt, wo Mendavia liegt?«