Das war fast zu schön, um wahr zu sein. Sie wollen mich fürs Singen bezahlen!
»Du bekommst Geld dafür?« fragte Monique. »Wie viel?«
»Keine Ahnung. Das ist mir auch gleichgültig.« Wichtig ist nur, dass jemand mich will, hätte Teresa beinahe gesagt. Aber sie schwieg noch rechtzeitig.
»Donnerwetter, du trittst also im Rundfunk auf?« fragte ihr Vater. »Alle Achtung, Teresa!«
Ihre Mutter schmiedete bereits Pläne. »Wir sorgen dafür, dass alle unsere Freunde zuhören und dann Hörerbriefe schreiben, wie gut du gewesen bist.«
Teresa sah zu Monique hinüber und wartete darauf, dass ihre Schwester sagen würde: Das braucht ihr nicht zu tun. Teresa ist wirklich gut.
Aber Monique schwieg. Das gibt sich rasch wieder, dachte sie.
Sie täuschte sich.
Am Samstag Abend im Sendegebäude war Teresa einer Panik nahe.
»Glauben Sie mir, das ist völlig normal«, versicherte Louis Bonnet ihr. »Alle Künstler haben gewaltiges Lampenfieber.«
Die beiden saßen in einer der kleinen grünen Künstlergarderoben.
»Sie sind bestimmt eine Sensation«, versicherte der Direktor ihr.
»Mir wird bestimmt schlecht.«
»Dazu haben Sie keine Zeit mehr. Sie treten in zwei Minuten auf.«
Nachmittags hatte Teresa mit dem kleinen Orchester geprobt, das sie begleiten würde. Diese Probe war ein außergewöhnliches Ereignis gewesen. Der große Sendesaal war voller Rundfunkmitarbeiter gewesen, die das Mädchen mit der unglaublichen Stimme hören wollten. Sie hatten ehrfürchtig schweigend zugehört, wie Teresa ihr Abendprogramm probte. Keiner von ihnen zweifelte daran, dass sie die Geburt eines bedeutenden Stars miterlebten.
»Schade, dass sie nicht besser aussieht«, meinte ein Orchestermusiker, »aber wer merkt das im Rundfunk schon?«
Teresas Auftritt an diesem Abend war ein voller Erfolg. Sie wusste selbst, dass sie niemals besser gesungen hatte. Und wohin das alles noch führen konnte! Vielleicht wurde sie berühmt und hatte Männer, die um ihre Hand anhielten, ihr zu Füßen lagen, wie dies Monique gewohnt war.
»Ich freue mich wirklich für dich, Schwesterchen«, sagte Monique, als habe sie ihre Gedanken gelesen, »aber lass dir die Sache nicht zu Kopf steigen. Solche Erfolge halten nie lange an.«
Dieser schon! dachte Teresa zufrieden. Ich bin endlich jemand!
Am Montagmorgen kam ein Ferngespräch für Teresa.
»Möglicherweise will sich nur jemand einen üblen Scherz mit dir erlauben«, warnte ihr Vater sie. »Er behauptet, Jacques Raimu zu sein.« Der wichtigste Bühnenregisseur Frankreichs.
Teresa griff misstrauisch nach dem Hörer, »Hallo?«
»Mademoiselle de Fosse?«
»Ja.«
»Teresa de Fosse?« »Ja.«
»Hier ist Jacques Raimu. Ich habe Sie am Samstagabend im Radio gehört. Sie sind genau, was ich suche!«
»Ich. das verstehe ich nicht.«
»Ich inszeniere ein Stück an der Comedie Francaise -ein Musical. Die Proben beginnen nächste Woche. Ich habe eine Sängerin mit Ihrer Stimme gesucht. Oder um es ganz ehrlich zu sagen: Es gibt keine, die eine Stimme wie Sie hätte. Wer ist Ihr Agent?«
»Agent? Ich. ich habe keinen.«
»Dann komme ich selbst zu Ihnen, und wir einigen uns auch ohne Agenten.«
»Monsieur Raimu, ich. ich. bin nicht hübsch.« Dieses Eingeständnis schmerzte, aber Teresa wusste, dass es notwenig war. Er darf nicht mit falschen Hoffnungen hier anreisen.
Raimu lachte nur. »Doch, das sind Sie, wenn wir mit Ihnen fertig sind. Theater ist eine einzige große Täuschung. Schminke kann zauberhafte Veränderungen bewirken.«
»Aber.«
»Ich komme Sie morgen Nachmittag besuchen.«
Teresa war im siebten Himmel. Eine Hauptrolle in einem von Raimu inszenierten Musical!
»Die Vertragsverhandlungen mit ihm überlässt du am besten mir«, schlug ihr Vater vor, »bei diesen Theaterleuten muss man vorsichtig sein.«
»Wir müssen dir ein neues Kleid kaufen«, sagte ihre Mutter. »Und ich lade ihn zum Abendessen ein.«
Monique schwieg dazu. Diese Entwicklung war für sie unerträglich. Ihre Schwester sollte ein Star werden? Vielleicht ließ sich das doch verhindern.
Als Jacques Raimu am nächsten Nachmittag im Schloss der Familie de Fosse eintraf, hatte Monique dafür gesorgt, dass sie ihn als einzige im Salon erwartete. Er wurde von einer jungen Frau begrüßt, die so schön war, dass er das Gefühl hatte, sein Herz setze einen Schlag aus. Sie trug ein schlichtes weißes Leinenkleid, das ihre Figur perfekt modellierte.
Mein Gott, dachte er, mit ihrer Stimme und diesem Aussehen ist sie unschlagbar! Damit wird sie ein ganz großer Star!
»Ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr ich mich freue, Sie kennen zu lernen«, sagte der Regisseur.
Monique lächelte strahlend. »Und ich Sie, Monsieur Raimu. Ich bin eine große Verehrerin Ihrer Regiekunst.«
»Gut, dann arbeiten wir bestimmt ausgezeichnet zusammen. Ich habe Ihnen das Stück mitgebracht. Es handelt sich um eine schöne Liebesgeschichte, bei der.«
Teresa betrat den Salon. Sie trug ein neues Kleid, das sie aber nicht hübscher machte. Sie blieb stehen, als sie Jacques Raimu im Gespräch mit ihrer Schwester sah.
»Oh. guten Tag. Ich hab’ nicht gewusst, dass Sie schon da sind. Ich meine. Sie sind früher gekommen, als ich erwartet hatte.«
Er warf Monique einen fragenden Blick zu.
»Das ist meine Schwester«, sagte sie. »Teresa.«
Beide beobachteten, wie Raimus Gesichtsausdruck sich veränderte. Sein anfänglicher Schock wurde zu Enttäuschung, die sich in Ablehnung verwandelte.
»Sie sind die Sängerin?«
»Ja, Monsieur.«
Er wandte sich an Monique. »Und Sie sind.?«
Monique lächelte unschuldig. »Ich bin Teresas Schwester.«
Der Regisseur musterte Teresa erneut und schüttelte dann den Kopf. »Tut mir leid«, erklärte er ihr. »Sie sind zu.« Er suchte nach dem passenden Wort. »Sie sind zu jung. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen -ich muss nach Paris zurück.«
Die beiden Schwestern sahen ihm nach, als er aus dem Salon hastete.
Es hat geklappt! dachte Monique triumphierend. Es hat geklappt!
Teresa sang nie mehr im Rundfunk. Louis Bonnet bat sie wiederholt, ihre Entscheidung zu überdenken, aber der Stachel saß zu tief.
Wie könnte jemand, der meine Schwester gesehen hat, noch mich wollen? dachte Teresa. Ich bin so hässlich.
Den Ausdruck auf Jacques’ Gesicht würde sie nicht mehr vergessen, solange sie lebte.
Alles ist meine Schuld, weil ich so dumme Träume gehabt habe, sagte Teresa sich. Auf diese Weise straft Gott mich.
Danach sang Teresa nur mehr in der Kirche und wurde eine größere Einsiedlerin als je zuvor.
Im folgenden Jahrzehnt lehnte die schöne Monique über ein Dutzend Heiratsanträge der Söhne des Bürgermeisters, des Bankiers, des Arztes und der Geschäftsleute von Eze ab. Zu ihren Verehrern gehörten junge Männer, die eben erst ihr Studium beendet hatten, ebenso wie erfolgreiche Vierziger und Fünfziger. Sie waren arm und reich, hässlich und gut aussehend, gebildet und ungebildet. Und Monique sagte zu allen non.
»Was für einen Mann suchst du eigentlich?« fragte ihr Vater entgeistert.
»Papa, hier sind alle so langweilig. Eze ist solch ein schreckliches Nest. Mein Märchenprinz lebt in Paris.«
Und so schickte ihr Vater sie pflichtbewusst nach Paris. Damit sie nicht allein reisen musste, wurde sie von Teresa begleitet. Die jungen Frauen wohnten in einem kleinen Hotel am Bois de Boulogne.