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Beide Schwestern sahen ein völlig unterschiedliches Paris. Monique ging auf Wohltätigkeitsfeste, wurde zu Galadiners eingeladen und soupierte mit reichen jungen Adligen. Teresa besichtigte den Louvre und den Invalidendom. Monique fuhr zum Rennen nach Longchamps und zu Galavorstellungen in Malmaison. Teresa betete in der Kathedrale Notre Dame und spazierte unter Bäumen den Kanal St. Martin entlang. Monique amüsierte sich im Maxim und im Moulin Rouge, während Teresa über die Seinekais schlenderte, im Angebot der Boutquinisten blätterte, bei Straßenhändlern Blumen kaufte und die Basilika St. Denis besuchte. Teresa genoss Paris, aber aus Moniques Sicht war diese Reise ein glatter Fehlschlag.

»Ich finde einfach keinen Mann, den ich heiraten möchte«, sagte sie nach ihrer Rückkehr.

»Bist du keinem begegnet, der dich interessiert hätte?« fragte ihr Vater erstaunt.

»Nicht wirklich. Ein junger Mann hat mich ein paar Mal ins Maxim eingeladen. Sein Vater ist ein großer Bergwerksbesitzer.«

»Wie ist er gewesen?« wollte ihre Mutter gespannt wissen.

»Oh, reich, gut aussehend und wohlerzogen. Und er hat mich angebetet.«

»Hat er um deine Hand angehalten?«

»Alle zehn Minuten. Ich hab’s schließlich abgelehnt, mich weiter mit ihm zu treffen.«

Moniques Mutter starrte ihre Tochter erstaunt an. »Aber warum nur?«

»Weil er ständig nur über Kohle geredet hat: Braunkohle, Steinkohle, Pechkohle, Anthrazitkohle, Kokskohle. Langweilig, langweilig, langweilig.«

Im Jahr darauf gab Monique ihren Entschluss bekannt, nach Paris zurückzukehren.

»Ich packe meine Sachen«, sagte Teresa.

Monique schüttelte den Kopf. »Nein. Ich glaube, diesmal fahre ich allein.«

Während Monique also nach Paris reiste, blieb Teresa daheim und betete jeden Morgen in der Kirche darum, dass ihre Schwester einen gutaussehenden Märchenprinzen finden möge. Und eines Tages geschah das Wunder. Deshalb ein Wunder, weil es Teresa zustieß. Der Prinz, der erst vor kurzem nach Eze gezogen war, hieß Raoul Giradot.

Er war sonntags in der Messe gewesen und hatte Teresa singen hören. Eine so herrliche Stimme hatte er sich nicht einmal vorstellen können. Ich muss sie kennen lernen, schwor er sich.

Am Montagmorgen kam Teresa ganz früh in den Gemischtwarenladen des Dorfs, um Stoff für ein Kleid zu kaufen, das sie sich nähen wollte. Raoul Giradot stand dort hinter dem Ladentisch.

Er sah auf, als Teresa hereinkam, und lächelte strahlend. »Ah, die Stimme!«

Sie starrte ihn verständnislos an. »Wie. was soll das heißen?«

»Ich habe Sie gestern in der Kirche singen hören. Herrlich, sage ich Ihnen!«

Er war groß, sah sehr gut aus und hatte kluge dunkle Augen und volle, sinnliche Lippen. Mit Anfang Dreißig war er ein, zwei Jahre älter als Teresa. Teresa war so beeindruckt, dass sie kaum ein Wort herausbrachte. Ihr Puls jagte, während sie Raoul anstarrte. »D-d-danke«, stieß sie hervor. »Drei Meter Musselin, bitte.«

Raoul Giradot lächelte. »Gern, Mademoiselle. Wenn Sie bitte mitkommen wollen.«

Teresa fiel es plötzlich schwer, sich auf ihren Einkauf zu konzentrieren. Sie war sich der Gegenwart des jungen Mannes, seines guten Aussehens, seines atemberaubenden Charmes und der ihn umgebenden maskulinen Aura in jeder Sekunde bewusst.

»Sie sind. Sie sind neu hier, stimmt’s?« wagte Teresa zu fragen, als Raoul ihr den ausgesuchten Stoff einpackte.

Er sah lächelnd auf, und sein Lächeln jagte Teresa einen Schauder über den Rücken.

»Ja, Mademoiselle. Ich bin erst seit ein paar Tagen in Eze. Dieses Geschäft gehört meiner Tante, deshalb wollte ich einige Zeit hier arbeiten.«

Wie lange ist einige Zeit? fragte Teresa sich im stillen.

»Sie sollten als Sängerin auftreten«, erklärte Raoul ihr.

Teresa erinnerte sich an Raimus Gesichtsausdruck bei ihrem Anblick. Nein, sie würde keine öffentliche Bloßstellung mehr riskieren. »Danke«, murmelte sie.

Ihre Schüchternheit und Verlegenheit rührten ihn. Er versuchte, sie in ein Gespräch zu verwickeln.

»Ich bin zum ersten Mal in Eze. Hier gefällt es mir sehr gut. Es ist eine hübsche kleine Stadt.«

»Ja«, sagte Teresa nur.

»Sind Sie hier geboren?«

»Ja.«

»Leben Sie gern hier?«

»Ja.«

Teresa riss ihr Päckchen an sich und flüchtete.

Schon am Tag darauf fand sie eine Ausrede, um wieder in das Geschäft gehen zu müssen. Sie hatte die halbe Nacht wach gelegen und sich überlegt, was sie zu Raoul Giradot sagen würde.

Ich freue mich, dass es Ihnen in Eze gefällt...

Das Kloster ist aus dem vierzehnten Jahrhundert, wissen Sie...

Sind Sie schon in Saint Paul-de-Vence gewesen? Dort steht eine wunderhübsche Kapelle...

Gefällt Ihnen Monte Carlo auch so gut? Ich find’s wunderbar, so etwas in der Nähe zu haben. Meine Schwester und ich fahren manchmal zur Grande Corni-che hinunter und gehen ins Theater Fort Antoine. Kennen Sie dieses Theater? Es ist die große Freiluftbühne...

Haben Sie gewusst, dass Nizza früher Nkaia geheißen hat? Oh, das haben Sie nicht gewusst? Es stimmt aber. Die alten Griechen sind lange dort gewesen. In Nizza gibt ’s ein Museum mit Funden von Höhlenmenschen, die hier vor Tausenden von Jahren gelebt haben. Ist das nicht interessant?

Teresa hatte sich Dutzende von solchen Gesprächseröffnungen zurechtgelegt. Aber als sie den Laden betrat und Raoul wieder sah, waren leider alle mit einem Schlag vergessen. Sie starrte ihn nur an, ohne ein Wort herausbringen zu können.

»Bonjour!« begrüßte Raoul sie fröhlich. »Ich freue mich, Sie wiederzusehen, Mademoiselle de Fosse.«

»D-d-danke.« Sie kam sich wie eine Idiotin vor. Ich bin dreißig Jahre alt, sagte sie sich, und benehme mich wie ein dummes kleines Schulmädchen. Das muss sofort aufhören!

Aber sie konnte nichts dagegen tun.

»Und was kann ich heute für Sie tun, Mademoiselle?«

»Ich. ich brauche noch etwas Musselin.«

‘Nichts brauchte Teresa in Wirklichkeit weniger.

Sie beobachtete Raoul, während er den Stoffballen aus dem Regal holte. Er legte ihn auf den Ladentisch und machte sich daran, den Musselin abzumessen.

»Wie viele Meter möchten Sie?«

Zwei, wollte Teresa sagen, aber statt dessen platzte sie mit einer Frage heraus: »Sind Sie verheiratet?«

Raoul Giradot schüttelte lächelnd den Kopf. »Nein«, sagte er, »das Glück habe ich noch nicht gehabt.«

Aber du wirst es haben, dachte Teresa. Sobald Monique aus Paris zurückkommt.

Monique würde sich Hals über Kopf in diesen Mann verlieben. Die beiden waren geradezu füreinander bestimmt. Der Gedanke an Moniques Reaktion, wenn sie Raoul kennen lernte, machte Teresa glücklich. Es würde schön sein, Raoul Giradot als Schwager zu bekommen.

Als Teresa am nächsten Tag am Laden vorbeikam, sah Raoul sie zufällig und hastete hinaus.

»Guten Tag, Mademoiselle. Ich wollte eben meine Mittagspause machen. Haben Sie vielleicht etwas Zeit? Dann würde ich Sie gern zu einer Tasse Kaffee einladen.«

»Ich. ich. ja, vielen Dank.«

Teresa brachte in seiner Gegenwart kaum ein Wort heraus, aber Raoul hätte nicht höflicher und zuvorkommender sein können. Er gab sich größte Mühe, ihr die Befangenheit zu nehmen, und Teresa merkte zu ihrem Erstaunen, dass sie diesem Fremden Dinge erzählte, die sie noch niemand erzählt hatte. Sie sprachen über Einsamkeit.

»Menschenansammlungen können einen einsam machen«, sagte Teresa, »in einem Meer von Menschen fühle ich mich stets wie eine Insel.«