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Scott Industries war an Industrie- und Dienstleistungsfirmen in aller Welt beteiligt. Als Milo Scott, ihr damaliger Präsident, vor fünfundzwanzig Jahren überraschend einem Herzinfarkt erlegen war, hatte seine Frau Ellen die Leitung des riesigen Mischkonzerns übernommen. In diesem Vierteljahrhundert hatte sie sich als brillante Führungskraft erwiesen und die Aktiva des Unternehmens mehr als verdreifacht.

Der Grand Ballroom im Waldorf-Astoria ist ein in Beige und Gold gehaltener riesiger Saal mit rotbespannter Bühne und einem dreiseitigen Balkon, unterteilt in dreiunddreißig Logen mit je einem Kronleuchter. In der Mittelloge saß der Ehrengast des Abends. Mindestens sechshundert Damen und Herren waren gekommen und dinierten an damastgedeckten Tischen mit Silber und Porzellan.

Nach dem Dinner trat der Gouverneur des Staates New York auf der Bühne ans Mikrofon.

»Mister Vice President, meine Damen und Herrn, verehrte Festgäste, wir alle sind heute Abend zu einem einzigen Zweck zusammengekommen: zu Ehren einer bemerkenswerten Frau und ihrer selbstlosen Großzügigkeit über Jahrzehnte hinweg. Ellen Scott gehört zu den Menschen, die auf jedem Gebiet erfolgreich gewesen wären. Sie hätte eine großartige Ärztin oder Wissenschaftlerin abgegeben. Sie wäre auch eine großartige Politikerin geworden - und ich kann Ihnen verraten, dass ich Ellen Scott als erster wählen würde, wenn sie sich dazu entschlösse, für das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten zu kandidieren. Natürlich nicht schon bei der nächsten Wahl, aber bei der übernächsten.«

Sein Scherz wurde mit Lachen und Beifall quittiert.

»Aber Ellen Scott ist mehr als nur eine hochintelligente Frau. Sie ist ein mitleidiger, wohltätiger Mensch, der niemals zögert, sich für die Lösung der Probleme zu engagieren, vor denen unsere Welt heute steht.«

Der Gouverneur sprach noch zehn Minuten weiter, aber Ellen Scott hörte nicht mehr zu. Wie gewaltig er sich irrt, dachte sie nüchtern, wie gewaltig sie sich alle irren! Scott Industries ist nicht einmal meine Firma. Milo und ich haben sie gestohlen. Und ich habe ein weit größeres Verbrechen begangen - aber das spielt jetzt keine Rolle mehr, weil ich bald tot sein werde.

Sie erinnerte sich an jedes Wort ihres Arztes, als er ihr den Laborbefund mitgeteilt hatte, der ihr Todesurteil bedeutete: »Tut mir schrecklich leid, Mrs. Scott, aber ich fürchte, dass es keine Möglichkeit gibt, Sie schonend darauf vorzubereiten. Der Krebs hat Ihr gesamtes Lymphsystem erfasst. Er ist inoperabel.«

Sie hatte das Gefühl gehabt, plötzlich einen Eisklumpen im Magen zu haben.

»Wie lange. wie viel Zeit bleibt mir noch?«

Er zögerte. »Ein Jahr - vielleicht.«

Nicht genug Zeit. Nicht genug für alles, was ich noch zu tun habe. »Das behalten Sie für sich.« Ihre Stimme blieb fest.

»Selbstverständlich, Mrs. Scott.«

»Ich danke Ihnen, Doktor.«

Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, das Presby-terian Medical Center verlassen zu haben und in die Stadt gefahren worden zu sein. Ein einziger Gedanke beherrschte sie: Ich muss sie finden, bevor ich sterbe.

Der Gouverneur kam zum Schluss seiner Rede.

»Meine Damen und Herren, es ist mir eine Ehre und ein Vergnügen, jetzt Mrs. Scott ans Rednerpult zu bitten.«

Die Gäste standen auf, um zu applaudieren, als Ellen Scott nach vorn zur Bühne ging: eine schlanke, grauhaarige, elegante Dame, die eine Vitalität ausstrahlte, die sie in Wirklichkeit nicht mehr besaß.

Mein Anblick gleicht dem für uns noch sichtbaren Licht eines längst erloschenen Sterns, dachte sie verbittert. Ich existiere eigentlich gar nicht mehr.

Auf der Bühne wartete sie, bis der Beifall abgeklungen war. Sie applaudieren einem Ungeheuer. Wie sie wohl reagieren würden, wenn sie ’s wüssten? Als sie zu sprechen begann, klang ihre Stimme fest.

»Mister Vice President, meine Damen und Herren, verehrte Gäste.«

Ein Jahr, dachte Ellen Scott. Wo sie wohl ist... und ob sie überhaupt noch lebt? Das muss ich feststellen lassen.

Sie sprach weiter und sagte automatisch, was ihre Zuhörer von ihr erwarteten. »Ich akzeptiere diese Anerkennung gern - jedoch nicht für mich, sondern für all jene, die so schwer gearbeitet haben, um die Not derer zu lindern, die weniger glücklich als wir sind.«

In Gedanken war sie vor zweiundvierzig Jahren in Gary, Indiana.

Als Achtzehnjährige arbeitete Ellen Dudash in einer Fabrik für Autoteile der Firma Scott Industries in Gary, Indiana. Sie war eine attraktive, aufgeschlossene, bei ihren Kolleginnen beliebte junge Frau. Eines Tages sollte Milo Scott das Werk besichtigen, und Ellen wurde als seine Begleiterin eingeteilt.

»He! Was hältst du’n davon, Ellie? Vielleicht heirat’st du dem Boss sein’ Bruder, und wir arbeiten dann alle für dich.«

Ellen Dudash lachte. »Genau! Und das am gleichen Tag, an dem Schweine Flügel kriegen.«

Milo Scott war ganz anders, als Ellen ihn sich vorgestellt hatte. Er war Anfang Dreißig, groß und schlank. Sieht nicht schlecht aus, dachte Ellen. Er war schüchtern und fast ehrerbietig.

»Wirklich sehr freundlich von Ihnen, sich die Zeit zu nehmen, mir alles zu zeigen, Miss Dudash. Ich hoffe, dass ich Sie nicht von der Arbeit abhalte.«

Sie lachte. »Und ich hoffe, dass Sie’s tun!«

Es war ganz leicht, sich mit ihm zu unterhalten.

Ich kann ’s selbst kaum glauben, dass ich hier mit dem Bruder vom Big Boss scherze, Mom und Pop werden Bauklötze staunen.

Milo Scott schien sich ernsthaft für die Arbeiter und ihre Probleme zu interessieren. Ellen führte ihn durch die Abteilung, in der Getriebezahnräder und Antriebswellen gegossen wurden. Sie zeigte ihm die Härterei, in der die noch weichen Teile gehärtet wurden, die Packerei und den Versand, und er wirkte entsprechend beeindruckt.

»Ein ziemlich großer Laden, nicht wahr, Miss Dudash?«

Er ist Mitbesitzer von allem, was ersieht, und benimmt sich wie ein ahnungsloser Junge. Na ja, es muss eben solche und solche geben.

In einer Montagehalle passierte dann der Unfall. Das Tragseil eines Laufkrans, der Rohlinge zur Bearbeitung in die Dreherei bringen sollte, riss mit einem Knall wie ein Pistolenschuss, und die Ladung kam herunter. Sie hätte Milo Scott genau getroffen. Ellen sah sie Sekundenbruchteile früher und stieß Milo Scott instinktiv beiseite. Zwei der schweren Rohlinge streiften sie dabei, und sie blieb bewusstlos liegen.

Sie wachte in einer Suite in einer Privatklinik auf. Ihr Zimmer war buchstäblich ein Blumenmeer. Als Ellen die Augen aufschlug und sich umsah, dachte sie: Ich bin gestorben und im Himmel.

In den Vasen standen Orchideen und Rosen und Lilien und Chrysanthemen und seltene Blumen, die sie noch nie gesehen hatte.

Ihr rechter Arm lag in Gips, und ihre schmerzenden Rippen verschwanden unter einem Pflasterverband.

Eine Krankenschwester kam herein. »Ah, Sie sind wieder wach, Miss Dudash. Ich informiere gleich den Stationsarzt.«

»Wo. wo bin ich?«

»Im Blake Center - einer Privatklinik.«

Ellen sah sich in der großen Suite um. Das alles kann ich niemals bezahlen.

»Wir haben Sie vor Anrufern abgeschirmt«, berichtete die Krankenschwester.

»Vor welchen Anrufern?«

»Die Zeitungen haben sich um Interviews mit Ihnen bemüht. Ihre Freunde haben angerufen. Mister Scott hat mehrmals telefoniert.«

Milo Scott! »Geht’s ihm gut?«

»Wie bitte?«

»Ist er bei dem Unfall verletzt worden?«

»Nein. Er ist heute morgen wieder hier gewesen, aber Sie haben geschlafen.«