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Milo Scott hatte das Gefühl, der Raum drehe sich um ihn.

Der Anwalt sah auf. »Fühlen Sie sich nicht wohl?«

Milo rang nach Luft. Großer Gott, was haben wir getan? Wir haben sie um ihr Geburtsrecht betrogen - und jetzt zeigt sich, dass das überflüssig gewesen ist! jetzt können wir’s ihr zurückgeben.

Er wollte etwas zu Ellen sagen, aber ihr Blick brachte ihn zum Schweigen.

»Es muss irgendwas geben, das wir tun können, Ellen. Wir können Patricia nicht einfach dort lassen. Jetzt nicht mehr.«

Sie waren in ihrem Apartment in der Fifth Avenue und zogen sich für ein Wohltätigkeitsdinner um.

»Genau das müssen wir aber tun«, stellte Ellen fest. »Es sei denn, du möchtest sie hierher holen und zu erklären versuchen, weshalb wir behauptet haben, sie sei nach dem Absturz mit den anderen verbrannt.«

Darauf wusste Milo keine Antwort. Er überlegte kurz. »Gut, dann schicken wir ihr jeden Monat Geld, damit sie.«

»Red keinen Unsinn, Milo!« schnitt Ellen ihm das Wort ab. »Wir sollen ihr Geld schicken? Damit die Polizei sich dafür interessiert, weshalb ihr jemand Geld schickt, und uns als Absender identifiziert? Kommt nicht in Frage! Wenn du Gewissensbisse hast, können wir Geld für wohltätige Zwecke spenden. Denk nicht mehr an die Kleine, Milo. Sie ist tot - oder hast du das vergessen?«

Während Ellen Scott im Waldorf-Astoria ihre Rede zu Ende brachte, glaubte sie das Echo dieser Worte zu hören. Ihre Zuhörer brachten ihr erneut stehende Ovationen dar.

Ihr steht für eine Tote auf, dachte sie.

In dieser Nacht kamen die Geister zurück, die Ellen längst ausgetrieben zu haben glaubte. In der ersten Zeit nach den Gedenkgottesdiensten für ihren Schwager, ihre Schwägerin und Patricia waren diese nächtlichen Besucher häufig gekommen. Blässlich wabernde Nebel hatten ihr Bett eingehüllt, und geisterhafte Stimmen hatten zu ihr gesprochen. Sie war jedes Mal mit hämmerndem Puls hochgefahren, ohne dann irgendetwas zu sehen.

Milo hatte sie nie davon erzählt. Er war schwach und hätte sich vielleicht aus Angst zu einer Dummheit hinreißen lassen, die der Firma hätte schaden können. Wäre die Wahrheit ans Tageslicht gekommen, hätte der Skandal das Ende des Konzerns bedeutet, und Ellen Scott war entschlossen, es niemals dazu kommen zu lassen. Deshalb ertrug sie die Geister schweigend, bis sie endlich verschwanden und sie in Ruhe ließen.

Aber jetzt - in der Nacht nach dem Bankett - kehrten sie zurück. Ellen Scott setzte sich in ihrem Bett auf und sah sich um. Der Raum war leer und still, aber sie wusste, dass sie da gewesen waren. Was hatten sie ihr zu sagen versucht? Wussten sie, dass sie sich bald zu ihnen gesellen würde?

Ellen Scott stand auf und ging in den geräumigen, mit Antiquitäten möblierten Salon des schönen Stadthauses hinüber, das sie nach Milos Tod gekauft hatte. Sie sah sich in dem geschmackvollen Raum um und dachte: Armer Milo! Er hatte kaum Gelegenheit gehabt, den ihm in den Schoß gefallenen Reichtum zu genießen. Ein Jahr nach dem Flugzeugabsturz war er einem Herzinfarkt erlegen, und Ellen hatte die Leitung des Konzerns übernommen und Scott Industries energisch und tatkräftig zu einem weltumspannenden Imperium ausgebaut.

Das Unternehmen gehört der Familie Scott, dachte sie. Ich habe nicht die Absicht, es gesichtslosen Fremden zu überlassen.

Diese Überlegung ließ sie an Byrons und Susans Tochter denken - an die rechtmäßige Thronerbin, die sie um ihr Erbe betrogen hatte. Bestimmte Angst ihre Gedanken? Hatte sie den Wunsch nach Wiedergutmachung vor ihrem Tode?

Ellen Scott saß die ganze Nacht lang in ihrem luxuriösen Salon, starrte ins Leere, dachte nach und plante. Wie lange war alles schon her? Achtundzwanzig Jahre. Falls Patricia noch lebte, war sie inzwischen längst eine erwachsene Frau. Wie hatte sich ihr Leben entwickelt? Hatte sie einen Bauern oder einen kleinen Geschäftsmann aus der Stadt geheiratet? Hatte sie Kinder? Lebte sie noch in Avila, oder war sie irgendwohin umgezogen?

Ich muss sie finden, dachte Ellen Scott. Und das so schnell wie möglich! Falls Patricia noch lebt, muss ich sie sehen, mit ihr sprechen. Ich muss mein Schuldkonto endlich bereinigen. Geld kann Lügen in Wahrheit verwandeln. Ich finde irgendeine Lösung, ohne sie jemals wissen zu lassen, was wirklich passiert ist.

Am nächsten Morgen ließ sie Alan Tucker, den Chef des Sicherheitsdienstes der Scott Industries, zu sich kommen. Er war ein ehemaliger Kriminalbeamter, ein hagerer, blässlicher, cleverer, eminent fleißiger Vierziger mit Stirnglatze.

»Ich möchte, dass Sie einen Auftrag für mich übernehmen.« »Ja, Mrs. Scott.«

Sie betrachtete ihn nachdenklich, während sie sich fragte, wie viel sie ihm erzählen durfte. Nichts, gar nichts, entschied sie. Solange ich lebe, will ich weder mich noch das Unternehmen gefährden. Er soll erst Patricia finden; danach überlege ich mir, wie ich mit ihm umgehe.

Sie beugte sich nach vorn. »Vor achtundzwanzig Jahren ist ein Waisenkind, ein einjähriges Mädchen, vor einem Bauernhaus in der Nähe der spanischen Stadt Avila ausgesetzt worden. Ich möchte, dass Sie ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort feststellen und sie so rasch wie möglich zu mir bringen.«

Alan Tuckers Gesicht blieb ausdruckslos. Mrs. Scott hatte es nicht gern, wenn ihre Angestellten Emotionen erkennen ließen.

»Ja, Ma’am. Wissen Sie zufällig, wie sie heißt?«

»Patricia. Sie heißt Patricia.«

17

Oberst Ramon Acoca war bester Laune. Alle Teile des Puzzlespiels schienen endlich zusammenzupassen.

Sein Adjutant erschien an der Tür seines Dienstzimmers. »Oberst Sostelo ist hier.«

»Ich lasse bitten.«

Ich brauche ihn nicht mehr, dachte Acoca. Er kann zu seinen Zinnsoldaten zurückgehen.

Oberst Fal Sostelo kam herein. »Guten Tag, Oberst.«

»Guten Tag, Oberst.«

Eigentlich verrückt, überlegte Sostelo sich. Wir haben den gleichen Dienstgrad, aber dieser Riese mit dem Narbengesicht könnte dafür sorgen, dass ich meinen verliere. Er muss Verbindung zu diesem verdammten OPUS MUNDO haben.

Sostelo fand es empörend, auf Acocas Wink hier antreten zu müssen, als sei er irgendein kleiner Untergebener. Aber es gelang ihm, sich nichts davon anmerken zu lassen. »Sie wollten mich sprechen?«

»Ja.« Acoca bot ihm mit einer Handbewegung einen Sessel an.

»Nehmen Sie Platz, Sostelo. Ich habe eine Überraschung für Sie. Jaime Miro hat die Nonnen.«

» Was?«

»Ja. Sie sind mit ihm und seinen Männern unterwegs. Er hat drei Gruppen bilden lassen.«

»Wo. woher wissen Sie das?«

Ramon Acoca lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Spielen Sie Schach?«

»Nein.«

»Schade. Ein sehr lehrreiches Spiel. Um ein guter Spieler zu sein, muss man sich in die Geisteshaltung seines Gegenspielers hineinversetzen. Jaime Miro und ich spielen Schach miteinander.«

Fal Sostelo starrte ihn an. »Ich verstehe nicht, wie.«

»Nicht tatsächlich, Oberst. Wir benützen kein Schachbrett, sondern nur unseren Kopf. Wahrscheinlich verstehe ich Miro besser als jeder andere auf der Welt. Ich weiß, wie sein Verstand arbeitet. Ich habe gewusst, dass er versuchen würde, den Staudamm bei Punta va Reina zu sprengen. Wir haben dort drei seiner wichtigsten Leute geschnappt, und Miro ist uns nur durch Zufall entwischt. Ich habe gewusst, dass er versuchen würde, sie zu befreien, und Miro hat gewusst, dass ich’s gewusst habe.« A-coca zuckte mit den Schultern. »Ich habe nur nicht vorausgesehen, dass er für diesen Befreiungsversuch die Stiere einsetzen würde.« Aus seinem Tonfall sprach unüberhörbare Anerkennung.