»Sie tun was viel Besseres«, antwortete Patricio Arrieta grinsend. »Sie zeigen Ihnen den Weg zum Himmel, Schwester.«
Die Männer drängten näher heran, umringten sie.
»Du hast aber hübsche Sachen an«, sagte einer der Soldaten. »Weißt du bestimmt, dass du ‘ne Nonne bist, Liebling?«
»O ja!« beteuerte sie. Raoul hatte sie Liebling genannt. War dieser Mann Raoul? »Die habe ich nur an, weil wir uns auf der Flucht vor den Soldaten haben verkleiden müssen.« Aber diese Männer waren doch Soldaten! Alles war so verwirrend.
Einer der Uniformierten stieß Teresa auf ein Feldbett, »‘ne Schönheit bist du nicht gerade - aber wir wollen mal sehen, wie du unter all dem Zeug aussiehst.«
»Aufhören! Lassen Sie mich in Ruhe!«
Während er sie mit einer Hand festhielt und ihr mit der anderen die Bluse aufriss, war ein zweiter Mann dabei, ihr den Rock vom Leib zu reißen.
»Keine schlechte Figur für ‘ne alte Dame, stimmt’s, Kameraden?«
Teresa schrie laut auf. Sie starrte die Männer an, von denen sie jetzt umringt war. Gott wird sie alle tot niederstrecken. Er wird nicht zulassen, dass sie mir etwas antun, denn ich bin sein Gefäß. Ich bin eins mit dem Herrn und trinke aus seinem Brunnen der Keuschheit.
Einer von Arrietas Männern löste seinen Gürtel. Sekunden später fühlte Teresa, wie ihre Beine gewaltsam geöffnet wurden. Als der Mann sich auf sie warf, spürte sie, wie seine harte Männlichkeit in sie eindrang, und schrie erneut auf.
»Jetzt, Herr! Züchtige sie jetzt!«
Sie wartete auf den von einem gewaltigen Donnerschlag begleiteten Blitzstrahl, der herabzucken und sie alle niederstrecken würde.
Aber nichts geschah.
Ein weiterer Mann warf sich auf Teresa, deren Blick rot verschleiert war. Sie lag kraftlos da, wartete darauf, dass Gott die Sünder züchtigen würde, und nahm die Vergewaltiger kaum wahr. Sie empfand keine Schmerzen mehr.
Leutnant Arrieta stand neben dem Feldbett. »Haben Sie genug, Schwester?« fragte er jedes Mal, wenn wieder ein Mann von ihr abließ. »Sie haben’s in der Hand, wann wir aufhören. Sie brauchen mir nur zu sagen, wo Jaime Miro ist.«
Schwester Teresa hörte ihn nicht. Eine Stimme in ihrem Inneren kreischte: Strecke sie mit deiner Macht nieder, o Herr! Zerschmettere sie, wie du die anderen Sünder in Sodom und Gomorrha zerschmettert hast!
Unglaublicherweise gab er jedoch keine Antwort. Das war nicht möglich, denn Gott war allgegenwärtig. Und dann erkannte sie plötzlich die Wahrheit. Mit dem sechsten Mann, der in sie eindrang, kam die Erleuchtung.
Gott hörte sie nicht, weil es keinen Gott gab. Sie hatte sich all diese Jahre dazu verleiten lassen, an einen Allmächtigen zu glauben, ihn anzubeten und ihm treu zu dienen. Aber es gab keinen Allmächtigen! Gäbe es Gott, hätte er mich errettet.
Der rote Schleier hob sich von Teresas Augen, und sie nahm ihre Umgebung erstmals deutlich wahr. In dem Zelt warteten noch mindestens ein Dutzend Soldaten darauf, ihr Gewalt anzutun. Leutnant Arrieta stand neben dem Feldbett und beobachtete sie dabei. Die Schlange stehenden Soldaten trugen Uniform. Sie machten sich nicht erst die Mühe, sich auszuziehen.
Während ein Soldat von Teresa abließ, öffnete der nächste seine Hose und holte sein Glied heraus. Er stieg über Teresa und drang im nächsten Augenblick in sie ein.
Es gibt keinen Gott, aber einen Satan - und dies sind seine Helfer, dachte Teresa. Und sie müssen sterben. Sie müssen alle sterben!
Während der Uniformierte in sie hineinstieß, riss Teresa ihm die Pistole aus dem Halfter. Bevor jemand reagieren konnte, richtete sie die Waffe auf Arrieta und drückte ab. Der Leutnant brach mit durchschossenem Hals zusammen. Teresa zielte nacheinander auf weitere Soldaten und traf jedes Mal mit traumwandlerischer Sicherheit. Vier der Getroffenen waren tot, bevor die anderen sich von ihrem Schock erholten und das Feuer zu erwidern begannen. Wegen des auf ihr liegenden Uniformierten war es schwierig, richtig zu zielen.
Schwester Teresa und ihr letzter Vergewaltiger starben gemeinsam.
21
Jaime Miro wachte durch eine Bewegung am Rande der Lichtung auf und war augenblicklich hellwach. Er kroch mit seiner Pistole in der Hand aus dem Schlafsack und sah Megan auf den Knien liegend beten. Er blieb stehen, um sie zu beobachten. Ein überirdisch schönes Bild, wie dieses blonde Wesen mitten in der Nacht im Wald kniete und betete, aber Jaime Miro ärgerte sich darüber.
Wäre Felix Carpio nicht damit rausgeplatzt, dachte er, dass wir nach San Sebastian unterwegs sind, hätte ich diese Betschwester jetzt nicht am Hals.
Dabei mussten sie unbedingt so schnell wie möglich nach San Sebastian. Oberst Acoca, seine Leute und die halbe Armee fahndeten nach ihnen, und es wäre schwierig genug gewesen, allein durch ihr engmaschiges Netz zu schlüpfen. Und diese Frau, die ein Klotz an seinem Bein war, vergrößerte die Gefahr, geschnappt zu werden, ums Zehnfache!
Jaime baute sich vor Megan auf, und seine Stimme klang strenger, als er beabsichtigt hatte.
»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie schlafen sollen! Ich will nicht, dass Sie uns morgen aufhalten.«
Megan blickte zu ihm auf. »Tut mir leid, wenn ich Sie erzürnt habe«, sagte sie leise.
»Schwester, ich spare mir meinen Zorn für wichtigere Dinge auf. Sie und Ihresgleichen langweilen mich nur. Sie verbringen Ihr Leben hinter irgendwelchen Mauern und warten auf eine Freifahrt gen Himmel. Ich finde Sie alle zum Kotzen!«
»Weil wir an ein Leben nach dem Tode glauben?«
»Nein, Schwester. Weil Sie nichts vom Leben vor dem Tode halten. Sie sind davor weggelaufen.«
»Um für Sie zu beten. Wir verbringen unser Leben damit, für Sie zu beten.«
»Und Sie glauben, dass die Probleme der Welt sich dadurch lösen lassen?«
»Ja, im Laufe der Zeit.«
»Diese Probleme dulden aber keinen Aufschub! Wegen des Kanonendonners und der Schreie der von Bomben zerrissenen Kinder kann Ihr Gott Ihre Gebete nicht hören.«
»Wer auf Gott vertraut.«
»Oh, ich vertraue auf vieles, Schwester! Ich habe Vertrauen zu der Sache, für die ich kämpfe. Ich habe Vertrauen zu meinen Leuten und meinen Waffen. Aber ich habe kein Vertrauen zu Menschen, die übers Wasser wandeln. Wenn Sie glauben, dass Ihr Gott jetzt zuhört, bitten Sie ihn, uns schnellstens zum Kloster Mendavia zu bringen, damit ich Sie endlich loswerde!«
Er war wegen dieses Wutanfalls zornig auf sich selbst. Schließlich war es nicht ihre Schuld, dass die Kirche untätig zugesehen hatte, als Francos Falangisten in Katalonien und im Baskenland vergewaltigt, gefoltert und gemordet hatten. Sie kann nichts dafür, sagte Jaime sich, dass meine Angehörigen zu den Opfern gehört haben.
Jaime Miro war damals erst ein kleiner Junge gewesen - aber diese Erinnerungen hatten sich für ewig in sein Gedächtnis eingebrannt.
Eines Nachts war er von Bombendetonationen aufgeschreckt worden. Die Bomben fielen wie todbringende Samenkapseln vom Himmel und verbreiteten überall ihre tödlichen Keime.
»Steh auf, Jaime! Schnell!«
Die Angst in der Stimme seines Vaters entsetzte den Jungen mehr als das schreckliche Krachen der ringsum detonierenden Bomben.
Guernica war eine Hochburg der Basken, und General Franco hatte beschlossen, dort ein Exempel zu statuieren.
»Dem Erdboden gleichmachen!« hatte der Befehl gelautet.
Die gefürchtete deutsche Legion Condor und ein halbes Dutzend italienischer Bomber flogen einen erbarmungslosen konzentrierten Angriff. Die Stadtbewohner versuchten, vor dem tödlichen Bombenhagel zu flüchten, aber sie fanden nirgends Schutz.
Jaime, seine Eltern und seine beiden älteren Schwestern befanden sich wie die anderen auf der Flucht.