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»In die Kirche«, sagte Jaimes Vater. »Die Kirche werden sie nicht bombardieren.«

Damit hatte er recht. Jedermann wusste, dass die Kirche auf der Seite des Caudillos stand und die von ihm angeordnete Unterdrückung seiner Gegner geflissentlich übersah.

Die Familie Miro arbeitete sich durch verstörte Menschenmassen, die aus der Stadt zu fliehen versuchten, bis zur Kirche vor.

Der kleine Junge hielt die Hand seines Vaters umklammert und versuchte, das grässliche Krachen der Bomben um sie herum zu überhören. Er erinnerte sich an eine Zeit, in der sein Vater keine Angst gehabt hatte und nicht auf der Flucht gewesen war.

»Wird’s Krieg geben, Papa?«

»Nein, Jaime, das schreiben bloß die Zeitungen. Wir fordern nur, dass die Regierung uns ein vernünftiges Maß an Selbständigkeit gewährt. Die Basken und Katalanen haben ein Recht auf ihre eigene Sprache, ihre eigene Flagge und eigene Feiertage. Wir sind nach wie vor eine geeinte Nation. Und Spanier werden niemals gegen Spanier kämpfen.«

Jaime war damals zu jung, um die wahren Hintergründe zu verstehen, aber selbstverständlich ging es bei diesen Auseinandersetzungen nicht nur um den Freiheitsdrang der Basken und Katalanen. In Wirklichkeit handelte es sich um einen tief reichenden ideologischen Konflikt zwischen der republikanischen Regierung und den rechtsgerichteten Nationalisten, und aus den ursprünglichen Meinungsverschiedenheiten entwickelte sich rasch eine unkontrollierbare Feuersbrunst, die ein Dutzend ausländischer Mächte auf den Plan rief.

Nachdem Francos überlegene Kräfte die Republikaner besiegt und die Nationalisten ganz Spanien unter ihre Kontrolle gebracht hatten, konzentrierte er seine Aufmerksamkeit auf die unversöhnlichen Basken.

»Bestraft sie!«

Und Blut floss weiter in Strömen.

Ein harter Kern baskischer Führer schloss sich zur ETA zusammen - zu einer Bewegung, die für einen baski-schen Freistaat kämpfte -, und Jaimes Vater wurde zum Beitritt aufgefordert.

»Nein, das ist nicht recht. Wir müssen mit friedlichen Mitteln erringen, was uns rechtmäßig zusteht. Durch bewaffneten Kampf ist nichts zu erreichen.«

Aber die Falken erwiesen sich als stärker als die Tauben, und die ETA wurde rasch zu einem der Hauptziele der Angriffe der Falangisten.

Jaime hatte Freunde, die von den Heldentaten ihrer Väter berichteten, die der ETA angehörten.

»Mein Vater und seine Freunde haben einen Sprengstoffanschlag aufs Hauptquartier der Guardia Civil verübt«, erzählte einer beispielsweise.

»Habt ihr in der Zeitung von dem Bankraub in Barcelona gelesen?« fragte ein anderer. »Das ist mein Vater gewesen! Jetzt können sie Waffen für den Kampf gegen die Faschisten kaufen.«

Und Jaimes Vater sagte: »Gewalt ist unrecht. Wir müssen verhandeln.«

»Wir haben eine ihrer Munitionsfabriken in Madrid in die Luft gejagt. Warum kämpft dein Vater nicht auf unserer Seite? Ist er ein Feigling?«

»Jaime, hör nicht auf deine Freunde«, forderte sein Vater ihn auf. »Was sie tun, ist kriminell.«

»Franco hat die Hinrichtung eines Dutzends Basken ohne jegliche Gerichtsverhandlung befohlen. Wir organisieren einen landesweiten Streik. Macht dein Vater auch mit?«

»Papa.?«

»Wir sind alle Spanier, Jaime. Wir dürfen uns nicht auseinanderdividieren lassen.«

Und der Junge wurde hin und her gerissen. Haben meine Freunde recht? Ist mein Vater ein Feigling? Jaime glaubte seinem Vater.

Und nun. der Jüngste Tag. Um ihn herum brach die Welt zusammen. Auf den Straßen Guernicas drängte sich ein angstvoll kreischender Mob, der dem Bombenhagel zu entkommen versuchte. Überall rissen Bomben die Straßen auf und ließen Gebäude einstürzen, deren brennende Trümmer Schreckensszenen beleuchteten.

Jaime, seine Eltern und seine Schwestern hatten die große Kirche erreicht - das einzige auf dem Hauptplatz Guernicas noch stehende Gebäude. Eine erregte Menge hämmerte ans Portal.

»Lasst uns rein! Im Namen Gottes, macht auf!«

»Was geht hier vor?« rief Jaimes Vater laut.

»Die Pfaffen haben die Kirche zugesperrt! Sie lassen uns nicht rein!«

»Kommt, wir schlagen die Tür ein!«

»Nein!«

Jaime starrte seinen Vater überrascht an.

»Wir brechen in kein Haus Gottes ein«, sagte sein Vater. »Er wird uns beschützen, wo immer wir sind.«

Zu spät sahen sie eine Abteilung Falangisten, die um eine Ecke kam, sofort das Feuer aus ihren MGs eröffnete und die unbewaffneten Männer, Frauen und Kinder auf dem Platz niedermähten. Noch während Jaimes Vater spürte, wie die Kugeln seinen Körper durchschlugen, drückte er seinen Sohn in Deckung und schützte Jaime mit seinem eigenen Leib vor dem tödlichen Kugelhagel.

Ein unheimliches Schweigen schien die ganze Welt zu überziehen. Die Schreie, das Hämmern der Maschinenwaffen und das Trampeln fliehender Füße verstummten wie durch einen Zaubertrick. Jaime öffnete die Augen, blieb aber noch lange liegen und spürte das Gewicht seines toten Vaters wie eine liebevolle Zudecke auf sich. Auch seine Mutter und seine Schwestern waren wie Hunderte weitere Menschen tot. Und vor diesen Toten ragte die Kirche mit ihrem verschlossenen Portal gen Himmel.

Am späten Abend dieses Tages verließ Jaime Miro die Stadt in Richtung Bilbao, wo er zwei Tage nach seiner Ankunft der ETA beitrat.

»Du bist zu jung für uns«, meinte der Anwerber zunächst. »Du solltest noch zur Schule gehen.«

»Ihr werdet meine Schule sein«, sagte Jaime ruhig. »Ihr werdet mich kämpfen lehren, damit ich den Tod meiner Angehörigen rächen kann.«

Diesem Vorsatz war er treu geblieben. Er kämpfte für sich und seine ermordete Familie, und seine Erfolge machten ihn zu einer legendären Gestalt. Jaime war für die Planung und Durchführung wagemutiger Überfälle auf Banken und Fabriken verantwortlich und übernahm die Hinrichtung brutaler Unterdrücker. Wurden ETA-Angehörige gefangen genommen, organisierte er tollkühne Befreiungsaktionen, um sie zu retten.

Jaime lächelte, als er hörte, dass zur Bekämpfung der baskischen Terroristen die GEO aufgestellt werden würde, und sagte: »Gut. Sie haben uns also wahrgenommen.«

Er fragte sich niemals, ob seine Tollkühnheit vielleicht etwas mit dem Vorwurf »Dein Vater ist ein Feigling!« zu tun hatte - oder ob er etwa versuchte, sich selbst und anderen etwas zu beweisen. Ihm genügte es, seine Tapferkeit immer wieder unter Beweis zu stellen und sich nicht zu fürchten, sein Leben für seine Überzeugung aufs Spiel zu setzen.

Und jetzt hatte Jaime diese Nonne wie einen Klotz am Bein, nur weil einer seiner Männer nicht den Mund hatte halten können.

Eigentlich eine Ironie des Schicksals, dass ihre Kirche jetzt auf unserer Seite steht, dachte er verbittert. Aber ihr Einlenken kommt viel zu spät - es sei denn, sie könnte die Wiederkehr Christi arrangieren und zugleich die Wiederauferstehung meiner Eltern und meiner Schwestern erreichen.

Sie zogen nachts durch Laubwälder, deren Boden von weißsilbernem Mondschein gefleckt war. Sie mieden Städte und Hauptstraßen und achteten ständig auf Anzeichen drohender Gefahr. Jaime ignorierte Megan. Er blieb neben Felix, mit dem er Erinnerungen an vergangene Abenteuer austauschte, und Megan hörte den beiden fasziniert zu. Einem Menschen wie Jaime Miro war sie noch nie begegnet. Er war so stolz und selbstbewusst!

Es gab Augenblicke, in denen Jaime Mitleid mit der Klosterschwester hatte und sogar widerstrebende Bewunderung für ihr Durchhaltevermögen auf diesem anstrengenden Marsch empfand. Und er fragte sich, wie seine anderen Männer mit ihren Schutzbefohlenen Gottes zurechtkamen.

Wenigstens hatte er Amparo Jiron. In den Nächten war sie ihm ein großer Trost.

Sie kämpft so überzeugt für unsere Sache wie ich, dachte Jaime. Sie hat sogar mehr Grund als ich, das gegenwärtige Regime zu hassen.