Journalisten aus aller Welt strömten in Madrid zusammen, wo Ministerpräsident Martinez sich zu einer Pressekonferenz bereit erklärte, um die Erregung der internationalen Öffentlichkeit zu dämpfen. Im Konferenzsaal seines Amtssitzes waren knapp fünfzig Journalisten versammelt, als Martinez, von Oberst Acoca und Oberst Sostelo flankiert, an der Stirnwand des Raums Platz nahm. Der Ministerpräsident kannte die Schlagzeile, mit der die Nachmittagsausgabe der Times erschienen war: Spaniens Armee und Polizei weiter auf der Jagd nach Nonnen und Terroristen.
»Herr Ministerpräsident«, fragte der Vertreter der Pariser Illustrierten Match eben, »haben Sie wenigstens eine ungefähre Vorstellung davon, wo die untergetauchten Nonnen jetzt sein müssten?«
»Für die Fahndung ist Oberst Acoca zuständig«, stellte Martinez fest. »Deshalb überlasse ich die Beantwortung dieser Frage lieber ihm.«
»Wir haben Grund zu der Annahme, dass die drei Nonnen sich in der Hand baskischer Terroristen befinden«, sagte Acoca. »Leider weist jedoch einiges darauf hin, dass sie mit diesen Terroristen zusammenarbeiten.«
Die Journalisten schrieben fieberhaft mit.
»Was können Sie zur Erschießung Schwester Teresas und der Soldaten sagen?«
»Nach unseren Informationen hat Schwester Teresa im Auftrag Jaime Miros gehandelt. Unter dem Vorwand, uns helfen zu wollen, ihn aufzuspüren, ist sie in ein Militärlager gekommen und hat ein halbes Dutzend Soldaten erschossen, bevor sie unschädlich gemacht werden konnte. Ich kann Ihnen versichern, dass Armee und GOE nichts unversucht lassen, um diese Verbrecher ihrer gerechten Strafe zuzuführen.«
»Und was ist mit den Nonnen, die verhaftet und nach Madrid gebracht worden sind?«
»Die werden noch vernommen«, antwortete der Oberst.
Ministerpräsident Martinez wollte die Pressekonferenz so rasch wie möglich beenden. Es fiel ihm schwer, seinen aufgestauten Zorn zu beherrschen. Dass es bisher nicht gelungen war, die Nonnen aufzuspüren oder die Terroristen zu fassen, ließ seine Regierung - und ihn selbst -tollpatschig und unfähig erscheinen, und die Medien schlachteten diesen Tatbestand natürlich aus.
»Können Sie uns irgend etwas über die Herkunft der drei noch flüchtigen Nonnen sagen, Herr Ministerpräsident?« fragte die Vertreterin von Oggi.
»Tut mir leid, ich habe keine weiteren Informationen für Sie. Ich wiederhole, meine Damen und Herren, dass die Regierung alles in ihrer Macht Stehende tut, um die Nonnen aufzuspüren.«
»Herr Ministerpräsident, bei dem Überfall auf das Kloster Avila soll es zu Brutalitäten gekommen sein. Möchten Sie sich zu diesem Vorwurf äußern?«
Für Martinez war das ein wunder Punkt, weil der Vorwurf berechtigt war. Oberst Acoca hatte seine Befugnisse weit überschritten. Aber mit Acoca würde er später abrechnen. Im Augenblick kam es darauf an, Einigkeit zu demonstrieren.
»Diese Frage beantwortet Oberst Acoca am besten selbst«, sagte Martinez deshalb gelassen.
»Ich kenne diese haltlosen Gerüchte«, bestätigte Acoca. »Tatsächlich ist folgendes passiert: Wir hatten aus zuverlässiger Quelle erfahren, dass Jaime Miro und zehn bis zwölf seiner schwer bewaffneten Männer im dortigen Kloster Unterschlupf gefunden hatten. Als wir die Abtei durchsucht haben, waren die Terroristen jedoch bereits geflüchtet.«
»Oberst, Ihre Leute sollen die Nonnen belästigt und.«
»Das ist eine empörende Unterstellung!«
»Danke, meine Damen und Herren, das war’s für heute«, sagte Ministerpräsident Martinez. »Wir halten Sie über die weitere Entwicklung auf dem laufenden.«
Damit war die Pressekonferenz beendet. Nachdem die Journalisten murrend den Saal verlassen hatten, wandte Martinez sich an die beiden Obersten. »Dieses Pack stellt uns in den Augen der Weltöffentlichkeit als Barbaren hin!«
Seine Befürchtungen interessierten Oberst Acoca nicht im geringsten. Acoca war in Gedanken noch immer bei dem Anruf, den er letzte Nacht erhalten hatte.
»Oberst Acoca?«
Diese Stimme kannte er nur allzu gut. Er war sofort hellwach.
»Ja, Exzellenz.«
»Wir sind enttäuscht von Ihnen. Wir hatten auf schnellere Ergebnisse gehofft.« »Exzellenz, ich bin ihnen dicht auf den Fersen.« Er merkte, dass ihm der Schweiß ausbrach. »Haben Sie bitte noch etwas Geduld. Ich werde Sie nicht enttäuschen!«
Er hielt den Atem an, während er auf Antwort wartete. »Ihnen bleibt nicht mehr viel Zeit.« Der Anrufer legte auf.
Oberst Acoca legte den Hörer auf und blieb frustriert im Bett sitzen. Wo ist dieser Scheißkerl Miro?
26
Ich bringe sie um, dachte Ricardo Mellado. Ich erwürge sie mit bloßen Händen, stoße sie in eine Schlucht oder erschieße sie einfach. Nein, den meisten Spaß hätte ich beim Erwürgen.
Schwester Graciela brachte ihn mehr auf als jeder andere Mensch, den er in seinem Leben kennen gelernt hatte. Sie war unmöglich! Als Jaime Miro ihn als ihren Begleiter eingeteilt hatte, war Ricardo sehr zufrieden gewesen. Gewiss, sie war eine Nonne - aber zugleich auch die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Er hatte sich vorgenommen, sie besser kennen zu lernen und herauszukriegen, weshalb sie beschlossen hatte, ihre Schönheit hinter Klostermauern zu verstecken. Das wird ein höchst interessanter Ausflug, hatte Ricardo Mellado sich gesagt.
Aber ihr Verhältnis hatte sich unerwartet anders entwickelt. Das Problem bestand darin, dass Schwester Gracie-la sich weigerte, mit ihm zu reden. Seit Beginn ihres Marsches hatte sie noch kein Wort gesagt, obwohl sie zu Ricardos Verblüffung weder ängstlich noch verwirrt, noch zornig wirkte. Sie hatte sich einfach in irgendeinen Winkel ihres Ichs zurückgezogen und schien sich weder für ihn noch für die Ereignisse um sie herum zu interessieren. Die beiden waren gut vorangekommen. Sie waren auf heißen, staubigen Nebenstraßen durch vom Wind bewegte goldgelbe Weizenfelder gezogen, vorbei an Weinbergen und Gersten- und Haferfeldern. Sie umgingen an ihrem Weg liegende Dörfer wie Berrocule und Aldeavieja und wanderten durch Felder, auf denen Sonnenblumen ihre großen gelben Köpfe nach der Sonne drehten.
»Möchten Sie hier rasten, Schwester?« fragte Ricardo, als sie den Rio Moros überquerten.
Schweigen.
Bevor sie nach Nordosten zu den schneebedeckten Gipfeln der Credos abbogen, näherten sie sich Segovia. Ricardo Mellado versuchte weiterhin, höfliche Konversation zu machen, aber das war völlig aussichtslos.
»Bald sind wir in Segovia, Schwester.«
Keine Reaktion.
Womit kann ich sie so beleidigt haben? »Haben Sie Hunger, Schwester?«
Nichts.
Für sie schien er Luft zu sein. Ricardo Mellado war sein Leben lang noch nie so frustriert gewesen. Vielleicht ist sie geistig behindert, dachte er. So muss es wohl sein! Gott hat ihr überirdische Schönheit geschenkt und sie als Ausgleich dafür mit Schwachsinn bestraft. Aber er glaubte nicht daran.
Schon in den Außenbezirken Segovias fiel Ricardo auf, dass in der Stadt ungewöhnlich viel los war, was bedeutete, dass die Guardia Civil noch wachsamer als sonst sein würde.
Kurz vor der Plaza del Conde de Cheste sah er zwei Angehörige der Guardia Civil auf sie zukommen. »Halten Sie meine Hand, Schwester«, flüsterte er Graciela zu. »Wir müssen wie ein Liebespaar aussehen, das händchenhaltend spazieren geht.«
Sie ignorierte ihn.
Großer Gott, dachte Ricardo, vielleicht ist die Ärmste taubstumm!
Als er nach ihrer Hand griff, verblüffte ihn Gracielas heftige Reaktion. Sie wich vor ihm zurück, als habe er sie geschlagen.