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Die beiden Uniformierten kamen näher.

Ricardo sprach laut auf Graciela ein. »Ich verstehe ja, dass du wütend bist«, sagte er. »Meine Schwester ist ganz deiner Meinung. Gestern Abend, als sie die Kinder ins Bett gebracht hat, hat sie gemeint, es wäre wirklich besser, wenn wir Männer nicht herumhocken, Zigarillos paffen und Geschichten erzählen würden, während ihr Frauen euch nebenan allein unterhaltet. Ich möchte wetten, dass ihr.«

Dann waren die Uniformierten an ihnen vorüber. Ricardo starrte Graciela an, deren Gesicht ausdruckslos blieb. Innerlich begann er, Jaime zu verfluchen, und wünschte sich, er hätte eine andere Nonne mitbekommen. Diese hier schien aus Stein gehauen zu sein, so kalt und unnahbar wirkte sie.

Bei aller Bescheidenheit wusste Ricardo Mellado, dass er für Frauen attraktiv war. Das hatten ihm schon viele bestätigt. Er war groß und blond, athletisch gebaut und hatte ein intelligentes Gesicht mit Patriziernase und blitzend weißen Zähnen. Er stammte aus einer der prominentesten baskischen Familien. Sein Vater, ein Bankier aus dem Baskenland im Norden, hatte dafür gesorgt, dass Ricardo eine gute Ausbildung erhielt. Er hatte an der Universität Salamanca studiert, und sein Vater hatte erwartet, dass er in seine Privatbank eintreten werde.

Nach Abschluss seines Studiums hatte Ricardo pflichtbewusst in der väterlichen Bank gearbeitet, war aber schon bald mit den Problemen seines Volkes konfrontiert worden. Er hatte an Kundgebungen, Demonstrationen und Protestaktionen gegen die Regierung in Madrid teilgenommen und war bald zu einem der führenden Köpfe der ETA aufgestiegen. Als sein Vater von diesen Aktivitäten Ricardos erfuhr, rief er seinen Sohn in sein riesiges holzgetäfeltes Büro, um ihm ins Gewissen zu reden.

»Ich bin ein Baske wie du, Ricardo, aber ich bin auch Geschäftsmann. Wir dürfen nicht unser eigenes Nest beschmutzen, indem wir in dem Land, in dem wir unseren Lebensunterhalt verdienen, eine Revolution anzetteln.«

»Keiner von uns versucht, die Regierung zu stürzen, Vater. Wir fordern lediglich Freiheit. Die Unterdrückung der Basken und Katalanen durch diesen Staat ist unerträglich.«

Mellado senior lehnte sich in seinen Sessel zurück und musterte seinen Sohn. »Mein guter Freund, der Oberbürgermeister, hat gestern unter vier Augen mit mir gesprochen. Er findet, dass es besser für dich wäre, wenn du nicht mehr bei Demonstrationen gesehen, sondern deine Energien aufs Bankgeschäft konzentrieren würdest.«

»Vater, ich.«

»Hör zu, Ricardo, als junger Mann bin ich auch heißblütig gewesen. Aber es gibt andere Möglichkeiten, sich abzureagieren. Du bist mit einem hübschen Mädchen verlobt. Ich hoffe, dass ihr viele Kinder haben werdet.« Seine Handbewegung umfasste die luxuriöse Einrichtung. »Und vor dir liegt eine glänzende Zukunft.«

»Verstehst du denn nicht, dass.?«

»Ich sehe die Dinge klarer als du, mein Junge. Auch deinem zukünftigen Schwiegervater missfallen deine Aktivitäten. Ich möchte nicht, dass deine Heirat mit Dolores irgendwie gefährdet wird. Ist das klar genug ausgedrückt?«

»Ja, Vater.«

Am Samstag darauf wurde Ricardo Mellado als Organisator einer Baskendemonstration in Barcelona verhaftet. Er lehnte es ab, gegen eine von seinem Vater gestellte Kaution freizukommen, wenn dieses Angebot nicht auf die übrigen Festgenommenen erweitert werde. Sein Vater weigerte sich, auch für sie Kaution zu stellen. Damit war Ricardos Karriere bei der Bank zu Ende, und seine Verlobung ging ebenfalls in die Brüche.

Das war vor fünf Jahren gewesen. Fünf Jahre voller Gefahren, denen er oft nur um Haaresbreite entkommen war. Fünf aufregende Jahre, in denen Ricardo Mellado leidenschaftlich für seine Überzeugungen gekämpft hatte. Jetzt befand er sich auf der Flucht vor der Polizei und begleitete eine geistig behinderte, taubstumme Klosterschwester durch Spanien.

»Hier biegen wir ab«, erklärte er Schwester Graciela und hütete sich, dabei ihren Arm zu berühren.

In der Seitenstraße kamen sie an einem Musikaliengeschäft vorbei. Die Instrumente im Schaufenster brachten Ricardo auf eine Idee.

»Augenblick, Schwester«, sagte er. »Ich bin sofort wieder da.«

Er betrat den Laden und wandte sich an den jungen Verkäufer hinter der Verkaufstheke.

»Buenos dias. Was kann ich für Sie tun?«

»Ich möchte zwei Gitarren kaufen.«

Der Verkäufer lächelte. »Ah, da haben Sie Glück, Se-nor. Wir haben gerade eine Lieferung Ramirez-Gitarren rein bekommen. (Das sind die besten.«

»Vielleicht nicht ganz so teure. Meine Freundin und ich klimpern nur ein bisschen.«

»Ganz wie Sie wünschen, Senor. Wie war’s mit diesen?« Der Verkäufer trat an einen Ständer mit zwei Dutzend Gitarren. »Ich kann Ihnen zwei Konos zu je fünftausend Peseten anbieten.«

»Noch zu teuer.« Ricardo suchte zwei preiswerte Gitarren aus. »Die genügen völlig.«

Wenig später kam Ricardo mit den beiden Gitarren auf die Straße zurück. Er hatte fast gehofft, Schwester Graciela werde nicht mehr da sein. Aber sie stand noch immer geduldig wartend da.

Ricardo hielt ihr eines der Instrumente hin. »Hier, Schwester. Hängen Sie sich diese Gitarre über die Schulter.«

Sie starrte ihn an.

»Keine Angst, Sie brauchen sie nicht zu spielen«, erklärte Ricardo ihr geduldig. »Sie dient nur zur Tarnung.«

Er drängte ihr die Gitarre auf, und sie griff widerstrebend danach. Sie gingen durch die verwinkelten Gassen Segovias weiter und kamen unter dem gigantischen römischen Viadukt vorbei.

Ricardo entschloss sich zu einem neuerlichen Anlauf. »Sehen Sie dieses Viadukt, Schwester. Seine Quader sind ohne Mörtel zusammengefügt. Der Sage nach ist es vor zweitausend Jahren vom Teufel erbaut worden, und die Steine werden angeblich nur durch einen Teufelszauber zusammengehalten.« Er wartete auf eine Reaktion.

Wieder nichts.

Der Teufel soll sie holen! dachte Ricardo Mellado. Ich geh’s auf.

Überall waren Angehörige der Guardia Civil unterwegs. Bei jeder Begegnung mit ihnen gab Ricardo vor, sich angelegentlich mit Graciela zu unterhalten, wobei er sorgfältig jeglichen Körperkontakt vermied.

Die Zahl der Polizeibeamten und Soldaten schien noch zuzunehmen, aber Ricardo fühlte sich verhältnismäßig sicher. Die Uniformierten würden nach einer Nonne in Ordenstracht und einer Gruppe von Jaime Miros Leuten Ausschau halten - aber sie hatten keinen Grund, zwei junge Touristen mit Gitarren über der Schulter zu verdächtigen.

Ricardo hatte Hunger, und obwohl Schwester Graciela natürlich nichts gesagt hatte, wusste er, dass sie ebenfalls hungrig sein musste. Eben kamen sie an einer kleinen Bodega vorbei.

»Wir kehren hier ein und essen eine Kleinigkeit, Schwester.«

Sie blieb stehen und beobachtete ihn schweigend.

Er seufzte. »Gut, von mir aus brauchen Sie nicht mitzugehen.«

Ricardo betrat das Lokal. Graciela folgte ihm einen Augenblick später.

»Was möchten Sie essen, Schwester?« fragte er sie, nachdem sie Platz genommen hatten.

Sie gab keine Antwort. Aber das regte ihn gar nicht mehr auf.

»Zwei Gazpachos«, bestellte Ricardo bei der Serviererin, »und zweimal Chorizos.«

Als die Suppe und die Würstchen kamen, aß Graciela, was ihr hingestellt wurde. Ricardo sah jedoch, dass sie automatisch aß, ohne das Essen zu genießen, als erfülle sie damit nur eine Pflicht ihrem Körper gegenüber. Die Männer an den übrigen Tischen starrten sie an, was allerdings verständlich war. Der junge Goya hätte sie malen müssen! überlegte Ricardo sich.

Trotz Gracielas mürrisch abweisender Art spürte er jedes Mal einen Klumpen im Hals, wenn er sie ansah, und beschimpfte sich dann selbst als romantischen Narren. Sie erschien ihm rätselhaft, wie hinter einem undurchdringlichen Wall verborgen. Ricardo Mellado hatte Dutzende von schönen Frauen gekannt, aber keine hatte ihn je so fasziniert wie Graciela. Ihre Schönheit hatte beinahe etwas Mystisches an sich. Das Verrückte war nur, dass er nicht die geringste Ahnung hatte, was hinter dieser schönen Fassade lag. War sie klug oder beschränkt? Interessant oder langweilig? Frigide oder leidenschaftlich? Hoffentlich ist sie beschränkt, langweilig und frigide, dachte Ricardo, sonst kann ich ’s nicht ertragen, sie zu verlieren. Als ob ich sie jemals für mich haben könnte! Sie gehört Gott. Er sah weg, weil er fürchtete, sie könnte seine Gedanken erraten.