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Das erste Jahr 

(110 v. Chr.)

Unter den Konsuln

Marcus Minucius Rufus

und Spurius Postumius Albinus

Gaius Julius Caesar stand keinem der beiden neuen Konsuln besonders nahe, und so reihte er sich mit seinen Söhnen einfach irgendwo in jene Prozession ein, die ganz in der Nähe seines Hauses begann, die Prozession des Konsuls Marcus Minucius Rufus. Beide Konsuln wohnten auf dem Palatin; das Haus von Spurius Postumius Albinus, dem jüngeren Konsul, lag jedoch in einem eleganteren Viertel. Man munkelte, daß Albinus’ Schulden in schwindelerregende Höhen gestiegen seien. Kein Wunder, das war der Preis, wenn man Konsul werden wollte.

Nicht, daß Gaius Julius Caesar sich den Kopf darüber zu zerbrechen brauchte, was der politische Aufstieg kostete, und aller Wahrscheinlichkeit nach würden auch seine Söhne sich nie darum sorgen müssen. Es war vierhundert Jahre her, daß ein Julier auf der sella curulis, dem elfenbeinernen Amtsstuhl der Konsuln, Platz genommen hatte. Zwar war die Ahnenreihe der Julier wirklich imposant, aber die nachfolgenden Generationen hatten es versäumt, die Schatztruhen wieder aufzufüllen, und mit jedem Jahrhundert wurde das Geschlecht der Julier ärmer. Konsul? Unmöglich! Vielleicht Prätor, der zweithöchste Beamte nach dem Konsul? Unmöglich! Nein, heute konnte ein Julier nur noch ein bescheidenes, ruhiges Plätzchen als Hinterbänkler im Senat erben, und die Aussichten der Caesaren - der Linie der Julier, die wegen ihres üppigen Haupthaares diesen Beinamen trugen - waren auch nicht besser.

Die Toga, die der Kammerdiener seinem Herrn Gaius Julius Caesar an diesem Morgen über die linke Schulter gelegt, um den Leib geschlungen und über den linken Arm geführt hatte, war die schlichte weiße Toga eines Mannes, der nie nach dem Elfenbeinstuhl getrachtet hatte. Nur die dunkelroten Schuhe, der eiserne Senatorenring und der breite Purpurstreifen auf der rechten Schulter unterschieden ihn von seinen beiden Söhnen Sextus und Gaius, die gewöhnliche Schuhe und Siegelringe trugen und eine Tunika mit dem schmalen Purpurstreifen der Ritter.

Die Dämmerung war noch nicht angebrochen, als die Familie den neuen Tag begrüßte: ein kurzes Gebet, am Herd im Atrium das Salzopfer für die Hausgötter und, als der wachhabende Sklave die vom Hügel herannahenden Fackeln ankündigte, die Verbeugung vor dem Gott Janus Patulcius, der über das Öffnen der Türen wachte.

Dann trat der Vater mit seinen Söhnen hinaus auf die schmale, gepflasterte Straße, und dort trennten sie sich. Während die beiden jungen Männer sich dem Zug der Ritter anschlossen, die vor dem neuen Konsul gingen, mischte Gaius Julius Caesar sich hinter Marcus Minucius Rufus und den Liktoren unter die Senatoren.

Marcia richtete ein kurzes ein kurzes Gebet an den Gott Janus Clusivius, der über das Schließen der Türen wachte, und gab dann den gähnenden Sklaven ihre Anweisungen. Jetzt war sie endlich allein und konnte sich um ihre Schützlinge kümmern. Wo waren die Mädchen nur? Marcia hörte Lachen aus dem Zimmer ihrer beiden Töchter. Da saßen sie, die beiden Julias und aßen dünn mit Honig bestrichene Brote zum Frühstück. Wie bezaubernd sie doch aussahen!

Man sagte, jede Julia aus diesem Geschlecht sei ein kostbares Juwel, denn alle Julias hätten die seltene Gabe, ihre Männer glücklich zu machen. Diese beiden kleinen Julias würden die Familientradition gewiß fortsetzen.

Die ältere der beiden, Julia genannt, war fast achtzehn. Hochgewachsen und von würdevollem Ernst, hatte sie die bronzefarbenen Haare tief im Nacken zu einem Knoten zusammengebunden, und der Blick ihrer großen grauen Augen war prüfend und sanft zugleich auf ihre Umgebung gerichtet. Ein ruhiges, kluges Mädchen.

Ihre jüngere Schwester, genannt Julilla, war sechzehneinhalb, die Jüngste der Familie und eigentlich ein unerwünschter Nachzügler, doch sie hatte schon bald die Herzen der Eltern und der drei älteren Geschwister erobert. Ihre Haut hatte die Farbe des Honigs, Haare und Augen den weichen Glanz von Bernstein. Natürlich war sie es, die soeben gelacht hatte. Sie hatte ein unruhiges, unvernünftiges Temperament.

»Fertig, Kinder?« fragte Marcia. Schnell stopften sie sich die letzten Bissen des klebrigen Brotes in den Mund, fuhren mit den Fingern durch eine Wasserschale, dann über ein Handtuch und folgten ihrer Mutter hinaus.

»Es ist frisch«, sagte Marcia und griff nach den Wollmänteln, die ein Sklave über dem Arm trug. Es waren einfache, schwere Umhänge.

Die Mädchen sahen sie enttäuscht an, hüteten sich aber, etwas zu sagen. Geduldig ließen sie sich einwickeln wie Raupen in einen Kokon, bis nur noch ihre Gesichter aus dem rauhen, braunen Tuch hervorlugten. Auch Marcia wickelte sich in eine Decke, dann führte sie den kleinen Zug aus Töchtern und Sklaven hinaus auf die Straße.

Sie wohnten am Cermalus, dem unteren Teil des Palatin, in einem bescheidenen Haus, das Vater Sextus zusammen mit fünfhundert iugera guten Ackerlandes zwischen Bovillae und Aricia seinem jüngeren Sohn Gaius vermacht hatte. Das Land würde zwar ausreichen, um den Sitz im Senat zu halten, aber es war viel zu wenig, um ein Amt im cursus honorum anzusteuern. Vater Sextus hatte sich von keinem seiner beiden Söhne trennen wollen, und diese eigennützige Haltung hatte zwangsläufig dazu geführt, daß sein Vermögen zwischen seinem älteren Sohn Sextus und seinem jüngeren Sohn Gaius aufgeteilt wurde. Dies bedeutete wiederum, daß keiner seiner Söhne sich Hoffnungen auf das Amt eines Prätors oder gar Konsuls machen durfte.

Gaius’ Bruder Sextus war nicht so sentimental wie sein Vater. Er hatte mit seiner Frau Popillia drei Söhne gezeugt, eine unerträgliche Belastung für jede Senatorenfamilie, und dafür gab es nur eine Lösung: Er hatte sich von seinem ältesten Sohn getrennt und ihn dem kinderlosen Quintus Lutatius Catulus zur Adoption gegeben. Das hatte ihm ein Vermögen eingebracht und sichergestellt, daß auch sein Ältester einmal ein Vermögen erben würde, denn der alte Catulus war unvorstellbar reich. Freudig hatte er eine riesige Summe dafür springen lassen, daß er einen Patrizierjungen adoptieren konnte, der nicht nur blendend aussah, sondern auch leidlich intelligent war. Sextus hatte das Geld, das der Junge ihm eingebracht hatte, wohlüberlegt in Ländereien und Immobilien angelegt. Seine beiden jüngeren Söhne hatten somit mehr zu erwarten als ein Hinterbänklerdasein im Senat.

Der nüchtern rechnende Sextus war freilich eher eine Ausnahme. Die anderen Männer der Familie hatten seit je das Problem, daß sie mehr als einen Sohn zeugten und alle gleichermaßen liebten. Nie brachten sie es über sich, einen ihrer zahlreichen Sprößlinge zur Adoption freizugeben oder wenigstens dafür zu sorgen, daß ihre Kinder vorteilhafte Ehen eingingen. So waren ihre einstmals großen Ländereien im Lauf der Jahrhunderte immer weiter geschrumpft, weil sie auf immer mehr Söhne verteilt oder für die Mitgift der Töchter verkauft werden mußten.

Auch Marcias Mann Gaius Julius setzte diese Tradition fort. Er hing an seinen Kindern, war stolz auf seine Söhne und vernarrt in seine Töchter und ließ sich nicht von der Vernunft leiten, wie es einem richtigen Römer geziemte. Denn sonst hätte er den ältesten Sohn zur Adoption freigeben und die beiden Mädchen schon vor Jahren reichen Bürgern für die Ehe versprechen müssen. Nur das Geld bestimmte die politische Karriere. Auf die aristokratische Herkunft war schon lange kein Verlaß mehr.

Das neue Jahr begann wenig verheißungsvoll. Ein kalter Wind trieb dünne Regenschleier vor sich her über das nasse, rutschige Pflaster und verstärkte den beißenden Gestank abgestandener Asche, der in der Luft lag. An einem solchen Feiertag zogen es die einfachen Leute in Rom vor, in ihren engen Wohnungen auf ihren Strohsäcken liegenzubleiben.