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»Sie kennen den Buchstaben des Gesetzes. Es dürfen keine Bücher und Häuser hergestellt werden, die die Existenz vor Gespenstern, Vampiren, Feen oder sonstigen Fantasiegebilden vortäuschen.«

»Sie werden als nächstes auch noch Babbits verbrennen!« »Sie haben uns schon viel Kummer gemacht, Mr. Stendahl. Steht alles in den Unterlagen. Vor zwanzig Jahren auf der Erde. Sie und Ihre Bibliothek.«

»Ja, ich und meine Bibliothek. Und ein paar andere Männer wie ich. O ja, Poe ist schon seit vielen Jahren vergessen, und Oz und die anderen Wesen. Aber ich hatte mein kleines Versteck. Wir, ein paar Privatleute, hatten unsere Bibliotheken noch zur Verfügung, bis Ihre Männer mit den Flammenwerfern kamen und meine fünfzigtausend Bücher zerrissen und verbrannten. So wie Sie auch die Hexennacht vor Allerheiligen verboten und den Filmproduzenten sagten, daß sie sich an Ernest Hemingway halten müßten, wenn sie unbedingt etwas machen wollten. Himmel, wie oft ist Wem die Stunde schlägt eigentlich schon verfilmt worden! In dreißig verschiedenen Versionen hat’s das gegeben, und alle waren sie realistisch! O ja, der Realismus! Realismus über alles! Ich spucke drauf!«

»Es hat keinen Sinn, daß Sie so verbittert sind.«

»Mr. Garrett, Sie müssen doch einen umfassenden Bericht abfassen, nicht wahr?«

»Ja.«

»Dann sollten Sie der Vollständigkeit halber auch mal hereinkommen und sich umsehen. Es dauert nur eine Minute.«

»Gut, Gehen Sie voraus. Und versuchen Sie keine Tricks. Ich bin bewaffnet.«

Die Tür zum Haus von Ascher öffnete sich quietschend. Ein feuchter Windhauch schlug ihnen entgegen. Ein gewaltiges Seufzen und Stöhnen war zu hören. Ein unterirdischer Atem in verlassenen Katakomben.

Eine Ratte huschte über den Steinfußboden. Garrett schrie auf und versetzte ihr einen Tritt. Die Ratte fiel auf den Rücken, und aus ihrem Nylonpelz löste sich ein unglaublicher Schwarm metallischer Fliegen.

»Erstaunlich!« Garrett bückte sich interessiert.

In einer Nische saß eine alte Hexe und hielt ihre zitternden Hände über einen Satz orange und blau bedruckter Tarockkarten. Sie ließ ihren Kopf herumrucken, zischte Garrett aus zahnlosem Mund etwas zu und klopfte auf ihre speckigen Karten.

»Tod!« rief sie.

»Also, solche Dinge habe ich gemeint«, sagte Garrett.

»Schrecklich.«

»Sie dürfen sie später persönlich verbrennen.« »O wirklich?« Garrett war angenehm berührt. Dann runzelte er die Stirn. »Ich muß sagen, Sie tragen das alles mit bemerkenswerter Gelassenheit.«

»Es war genug, dieses Haus überhaupt zu bauen. Und sagen zu können, daß ich’s geschafft habe. Sagen zu können, daß ich in einer modernen, zweifelnden Welt eine mittelalterliche Atmosphäre schaffen konnte.«

»Ich kann mir nicht helfen, aber ich hege fast so etwas wie Bewunderung für Ihr Genie, Sir.« Garrett beobachtete eine Nebelwolke, die flüsternd vorüberschwebte und die Gestalt einer wunderschönen, durchsichtigen Frau angenommen hatte. In einem feuchten Korridor arbeitete eine Maschine. Wie Zuckerwatte entströmten ihr die Nebelschwaden und wallten murmelnd durch die stillen Flure.

Ein Menschenaffe erschien aus dem Nichts.

»Achtung!« rief Garrett.

»Keine Angst!« Stendahl tätschelte dem Tier die schwarze Brust. »Ein Roboter. Kupferskelett und so weiter, wie bei der Hexe. Sehen Sie?« Er stülpte den Pelz zurück, und der Metallkörper wurde sichtbar.

»Ja.« Garrett streckte furchtsam die Hand aus und streichelte das Ding. »Aber warum? Mr. Stendahl, warum das alles? Was hat Sie dazu getrieben?«

»Die Bürokratie, Mr. Garrett. Aber ich habe leider keine Zeit zu weiteren Erklärungen. Die Regierung wird die Antwort sowieso schnell genug finden.« Er nickte dem Affen zu. »Also los!«

Und der Affe tötete Mr. Garrett.

»Sind wir bald soweit, Pikes?«

Pikes blickte von der Tischplatte auf. »Jawohl, Sir.«

»Ich muß Sie zu Ihrer Arbeit beglückwünschen.«

»Dafür werde ich bezahlt, Mr. Stendahl«, sagte Pikes leise, lüpfte das Plastikkleid des Roboters und bettete das Glasauge in die Gummimuskeln. »Das wär’s.«

»Das Ebenbild Mr. Garretts.«

»Was machen wir mit ihm, Sir?« Pikes nickte zu der Bahre hinüber, auf der der echte Mr. Garrett ruhte - tot.

»Wir werden ihn verbrennen, Pikes. Wir wollen doch nicht, daß zwei Mr. Garretts herumgeistern, nicht wahr?«

Pikes rollte Mr. Garrett zum Verbrenner. »Leben Sie wohl.« Er stieß Mr. Garrett hinein und schlug die Tür zu.

Stendahl wandte sich an den Roboter Garrett. »Du hast deine Befehle, Garrett?«

»Jawohl, Sir.« Der Roboter richtete sich auf. »Ich soll zur Moralbehörde zurückkehren und einen ergänzenden Bericht anfertigen. Der Eingriff ist um mindestens achtundvierzig Stunden zu verzögern. Angeblich stelle ich noch weitere Ermittlungen an.«

»Richtig, Garrett. Auf Wiedersehen.«

Der Roboter eilte zu Garretts Rakete, stieg ein und flog davon.

Stendahl wandte sich um. »Und jetzt, Pikes, versenden wir die restlichen Einladungen für heute abend. Wir werden uns herrlich amüsieren, meinen Sie nicht auch?«

»In Anbetracht der Tatsache, daß wir zwanzig Jahre darauf warten mußten - ja!«

Sieben Uhr. Stendahl sah auf die Uhr. Es war fast Zeit. Er drehte das Sherryglas in der Hand. Leise setzte er sich. Von den Eichenbalken hoch oben blinzelten Fledermäuse herab und kreischten heiser, ihre empfindlichen Metallkörper unter künstlichem Fleisch verborgen. Er hob sein Glas und prostete ihnen zu. »Auf unseren Erfolg.« Dann lehnte er sich zurück, schloß die Augen und überdachte noch einmal seinen Plan. Welch ein Hochgenuß auf seine alten Tage - die Rache an der antiseptischen Regierung für ihren literarischen Terror und Verbrennungswahn. Oh, wie die Wut und der Haß im Laufe der Jahre gewachsen waren! Wie der Plan in seinem betäubten Geist langsam Gestalt annahm bis zu jenem Tag vor drei Jahren, da er Pikes kennenlernte!

Ah, ja, Pikes. Pikes, den eine Bitterkeit erfüllte, bodenlos wie ein tiefer schwarzer Brunnen gefüllt mit ätzender grünschillernder Säure. Wer war dieser Pikes? Der größte von allen! Pikes, der Mann mit den zehntausend Gesichtern, eine Furie, eine Rauchwolke, ein täuschender Nebel, ein weißer Regenschauer, eine Fledermaus, ein dürstender Schlund, ein Monstrum - das alles war Pikes! War er besser als Lon Chaney der Ältere? Stendahl überlegte. Nächtelang hatte er Chaney in den uralten Filmen betrachtet. Ja, besser als Chaney war er. Auch besser als jener andere alte Darsteller - wie hieß er doch gleich? Karloff? Weitaus besser! Lugosi? Kein Vergleich! Nein, es gab nur einen Pikes, ein Mann, der all seiner Illusionen beraubt war; er wußte nicht, wo er hingehörte, er hatte kein Publikum mehr. Es war ihm sogar untersagt, sich selbst im Spiegel etwas vorzuspielen!

Armer, unmöglicher, geschlagener Pikes! Wie muß es für dich gewesen sein, Pikes, in der Nacht, da man dir deine Filme nahm, da man sie wie Gedärme aus dem Projektor zerrte, als risse man sie dir aus dem Leib, da man sie zu wilden Haufen zusammenraffte, um sie in den Ofen zu stecken und zu verbrennen? Ja. Ja. Stendahl spürte, wie seine Hände kalt wurden in sinnloser Wut. Was war natürlicher, als daß sie eines Tages zusammenkamen und über zahllosen Tassen Kaffees unzählige Nächte lang diskutierten und daß aus all dem Reden und bitteren Ränkeschmieden eines hervorging - das Haus von Ascher!

Eine große Kirchenglocke ertönte. Die Gäste kamen.

Lächelnd ging er ihnen entgegen.

Voll ausgewachsen und doch ohne Erinnerung, so warteten die Roboter. In waldgrüner Kleidung, in frosch- und farnfarbener Seide warteten sie. Sie hatten sonnengelbes oder sandgelbes Haar und warteten. Geölt lagen sie da, mit Knochen aus bronzenen Röhren, in Gallerte gebettet. In Särgen für die Nicht-Toten und die Nicht-Lebenden, in Bretterkisten warteten die Metronome auf ihr Startzeichen. Es roch nach Schmiermittel und geschliffenem Messing. Es war still wie auf einem Friedhof. In Geschlechter aufgeteilt, aber geschlechtslos - Roboter. Mit Namen versehen, doch namenlos, mit allen inneren und äußeren Eigenschaften des Menschen außer der Menschlichkeit, so starrten die Roboter zu den genagelten Deckeln ihrer FOB-Kisten auf und verharrten in einer Totenstarre, die kein richtiger Tod war, da sie nie ein Leben gekannt hatten. Und plötzlich war überall das Knirschen herausgezogener Nägel zu hören. Deckel wurden angehoben. Scharten lagen über den Kisten, und eine Hand drückte Schmieröl aus einer Kanne. Nun wurde eine Uhr in Gang gesetzt, ein schwaches Ticken. Es folgten eine zweite und eine dritte, bis der ganze Raum ein gewaltiger surrender Uhrenladen geworden war. Murmelaugen wurden gerollt, Gummilider öffneten sich, Nasenflügel zitterten. Die Roboter, die das Fell von Affen trugen und den weißen Pelz von Kaninchen, erhoben sich: Tweedledum folgte Tweedledee. Mockturtle, Haselmaus, die Gestalten Ertrunkener, aus Salz und Tünche bestehend, schwankend; Erhängte mit blauen Hälsen und hochgerollten Augen wie Muschelfleisch, Wesen aus Eis und schimmerndem Flitterwerk, Tonzwerge und agile Elfen. Tick-tack-Ruggedo, der Nikolaus mit selbstgemachtem Schneehauch, Blaubart mit flammendem Backenbart, Schwefelwolken, aus denen grüne Feuerspitzen hervorstachen; schließlich kam eine gewaltige schuppige Schlange, ein Drache mit einem Hochofen in seinem Bauch, durch die Tür gerollt und schrie und tickte und bellte und schwieg und blies und erzeugte einen seltsamen Hauch. Zehntausend Kistendeckel fielen zu. Der Uhrenladen zog in das Haus von Ascher ein. Die Nacht war verzaubert.