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»Und wann war das?«

»Das muss im Jahre des Herrn neunzehnhundertvierundzwanzig gewesen sein. Was schätzen Sie, wie alt ich bin?«

Das war unmöglich zu sagen. Er hätte aus altem Holz geschnitzt sein können. Über fünfzig und jünger als Methusalem. Das sagte ich ihm.

»Ich bin Jahrgang 1906. Das ist die Wahrheit.«

»Wo sind sie geboren? Hier in L.A.?«

Er schüttelte den Kopf. »Als ich zur Welt kam, war Los Angeles nicht viel mehr als ein Orangenhain. Kein Vergleich mit New York.« Er streute Fischfutter auf die Wasseroberfläche. Die drei Fische tauchten auf, blasse, silberweiße Geisterkarpfen, starrten uns an oder so schien es jedenfalls, das O ihrer Mäuler öffnete und schloss sich ständig, als sprächen sie in ihrer eigenen, geheimen, lautlosen Sprache zu uns.

Ich wies auf den, den er mir vorhin gezeigt hatte. »Also das ist Ghost, ja?«

»Das ist Ghost, ganz genau. Der da unter der Lilie, sehen Sie seinen Schwanz, da vorn? Er heißt Buster. Benannt nach Buster Keaton. Keaton wohnte gerade hier, als wir die älteren beiden bekamen. Und das hier ist unsere Princess.«

Princess war leicht von den anderen Karpfen zu unterscheiden. Sie hatte eine blasse, cremeweiße Farbe und einen leuchtend roten Fleck auf dem Rücken.

»Sie ist wunderschön.«

»Das ist sie. Ja, das ist sie wirklich.«

Er atmete tief durch und fing an zu husten, ein röchelnder Husten, der seine ganze magere Gestalt schüttelte. Jetzt sah er auf einmal tatsächlich wie ein Neunzigjähriger aus.

»Alles in Ordnung?«

Er nickte. »Sicher, sicher, sicher. Alte Knochen«, sagte er. »Alte Knochen.«

Wir gaben uns die Hand und ich kehrte ins Halbdunkel zu meinem Treatment zurück.

Ich druckte das fertige Treatment aus und faxte es Jacob ins Studio.

Am nächsten Tag suchte er mich in meinem Chalet auf. Er wirkte bekümmert.

»Alles okay? Gibt es ein Problem mit dem Treatment?«

»Nur Scheiße, die nach unten läuft. Wir haben diesen Film gedreht mit …« und er nannte eine berühmte Schauspielerin, die ein paar Jahre zuvor in ein paar erfolgreichen Filmen gespielt hatte. »Die Frau ist ein Publikumsmagnet, richtig? Nur ist sie leider nicht mehr so jung, wie sie mal war, und sie besteht darauf, ihre Nacktszenen selbst zu machen, dabei ist das wirklich kein Körper, den irgendwer noch sehen will, das können Sie mir glauben.

Der Plot ist folgender: Da ist dieser Fotograf, der Frauen überredet, die Hüllen für ihn fallen zu lassen. Dann vergewaltigt er sie. Nur glaubt niemand, dass er das tut. Darum muss die Polizeichefin – gespielt von unserer Ms. Lasst-mich-der-Welt-meinen-nackten-Hintern-zeigen – einsehen, dass der einzige Weg, ihn zu verhaften, ist, sich als eine der Frauen auszugeben. Also geht sie mit ihm ins Bett. Aber dann läuft die Sache schief …«

»Sie verliebt sich in ihn?«

»Oh. Genau. Dann erkennt sie, dass Frauen immer Gefangene der männlichen Vorstellungen von Frauen sein werden, und um ihre Liebe zu ihm zu beweisen, steckt sie all die Fotos in Brand, als die Polizei kommt, um sie beide zu verhaften. Sie kommt in den Flammen um, nachdem ihr die Kleider vom Leib gebrannt sind. Wie klingt das für Ihren Geschmack?«

»Bescheuert.«

»Das fanden wir auch, als wir’s gesehen haben. Also haben wir den Regisseur gefeuert, das ganze Ding neu gecuttet und einen weiteren Drehtag angesetzt. Jetzt trägt sie eine Wanze, als sie mit ihm ins Bett geht. Und als sie anfängt, sich in ihn zu verlieben, findet sie raus, dass er ihren Bruder umgebracht hat. Sie sieht im Traum, wie ihr die Klamotten vom Leib brennen, sie rückt mit dem Sondereinsatzkommando aus, um ihn festzunehmen. Aber er wird von ihrer kleinen Schwester erschossen, die er auch gevögelt hat.«

»Und das ist besser?«

Er schüttelte den Kopf. »Es ist Müll. Wenn sie zustimmen würde, ein Double für die Nacktszenen zu nehmen, stünden wir vielleicht besser da.«

»Wie fanden Sie das Treatment?«

»Was?«

»Mein Treatment. Das ich Ihnen geschickt habe.«

»Ach so. Das Treatment. Toll. Wir fanden es alle toll. Es war großartig. Wirklich super. Wir sind alle ganz aus dem Häuschen.«

»Also was passiert als Nächstes?«

»Na ja, sobald alle Gelegenheit hatten, einen Blick draufzuwerfen, setzen wir uns zusammen und reden darüber.«

Er klopfte mir auf die Schulter und ging und ich war ohne Beschäftigung allein in Hollywood.

Ich beschloss, eine Shortstory zu schreiben. Schon bevor ich England verlassen hatte, war mir diese Idee gekommen. Etwas mit einem kleinen Theater am Ende eines Piers. Eine Zaubervorführung, während es draußen schüttet. Ein Publikum, das nicht zwischen Magie und Illusion unterscheiden kann, dem es völlig gleich wäre, wenn jede Illusion real wäre.

Beim Spaziergang an diesem Nachmittag kaufte ich im »fast rund um die Uhr«-Buchladen ein paar Bücher über Zauberkunst und viktorianische Zauberkünstler. Eine Geschichte oder jedenfalls das Samenkorn einer Geschichte war in meinem Kopf und ich wollte die Materie erforschen. Ich setzte mich auf die Bank im Innenhof und blätterte die Bücher durch. Es war eine ganz bestimmte Atmosphäre, die ich einfangen wollte, ging mir auf.

Ich las gerade über die Pockets Men, die alle nur denkbaren kleinen Gegenstände in ihren Taschen hatten und hervorzauberten, was immer man nannte. Keine Illusion, nur eine Meisterleistung in Organisation und Merkfähigkeit. Ein Schatten fiel auf die Seite. Ich sah auf.

»Hallo«, sagte ich zu dem alten schwarzen Mann.

»Sir.«

»Bitte nennen Sie mich nicht so. Es gibt mir das Gefühl, als müsste ich einen Anzug tragen oder so was.« Ich sagte ihm meinen Namen.

Er nannte mir seinen: »Pious Dundas.«

»Pious?« Ich war nicht sicher, ob ich mich nicht verhört hatte. »Der Fromme?«

Er nickte stolz. »Manchmal bin ich das, manchmal nicht. Meine Mama hat mich so genannt und es ist ein guter Name.«

»Ja.«

»Und? Was tun Sie hier, Sir?«

»Ich bin nicht ganz sicher. Ich soll ein Drehbuch schreiben, glaub ich. Oder zumindest warte ich darauf, dass sie mir sagen, ich soll anfangen, das Drehbuch zu schreiben.«

Er kratzte sich an der Nase. »All die Filmleute haben hier gewohnt. Wenn ich anfangen wollte, Ihnen von allen zu erzählen, könnte ich bis nächsten Mittwoch reden und wäre noch nicht mal zur Hälfte fertig.«

»Wen mochten Sie am liebsten?«

»Harry Langdon. Er war ein Gentleman. George Sanders. Er war Engländer, wie Sie. Er sagte immer; ›Ach, Pious, Sie müssen für meine Seele beten.‹ Und ich sagte darauf: ›Ihre Seele ist Ihre Angelegenheit, Mister Sanders.‹ Aber ich hab trotzdem für ihn gebetet. Und June Lincoln.«

»June Lincoln?«

Seine Augen funkelten und er lächelte. »Sie war die Königin der Silberleinwand. Sie war feiner als all die anderen: Mary Pickford oder Lilian Gish oder Theda Bara oder Louise Brooks … Sie war die Beste. Sie hatte ›es‹. Wissen Sie, was ›es‹ ist?«

»Sexappeal.«

»Mehr als das. Sie war alles, wovon Sie je geträumt haben. Wenn man einen June-Lincoln-Film sah, wollte man …« Er brach ab und zog kleine Kreise mit der Hand, als versuche er, die fehlenden Worte einzufangen. »Ich weiß nicht. Auf die Knie fallen vielleicht, wie ein Ritter vor seiner Königin. June Lincoln war die Beste von allen. Ich hab meinem Enkel von ihr erzählt und versucht, einen ihrer Filme auf Video zu kriegen, aber nichts zu machen. Gibt es nicht mehr. Sie lebt nur noch in den Köpfen alter Männer.« Er tippte sich an die Stirn.

»Sie muss sehr außergewöhnlich gewesen sein.«

Er nickte.

»Was wurde aus ihr?«

»Sie hat sich erhängt. Manche Leute sagten, sie hätte es getan, weil sie im Tonfilm keine Chance gehabt hätte, aber das stimmt nicht. Sie hatte eine Stimme, die man niemals vergaß, wenn man sie mal gehört hatte. Cremig und dunkel war diese Stimme, wie Irishcoffee. Manche haben behauptet, ein Mann hätte ihr das Herz gebrochen oder eine Frau. Oder dass sie gespielt oder gesoffen oder sich mit Gangstern eingelassen habe. Wer weiß? Es waren wilde Zeiten.«