Pious Dundas stand mit einer Flasche Politur und einem Lappen in der Nähe und wienerte die Blätter einer Pflanze.
»Hi, Pious.«
»Sir.«
»Herrlicher Tag.«
Er nickte und hustete, hämmerte sich mit der Faust an die Brust und nickte nochmals.
Ich kehrte den Fischen den Rücken und setzte mich auf die Bank.
»Warum sind Sie nicht im Ruhestand?«, fragte ich. »Hätten Sie nicht vor fünfzehn Jahren in Rente gehen sollen?«
Er polierte weiter. »Um Himmels willen, nein. Ich bin so was wie ein Wahrzeichen hier. Sie können behaupten, all die Stars hätten hier gewohnt, aber ich erzähle den Leuten, was Cary Grant zum Frühstück gegessen hat.«
»Daran erinnern Sie sich?«
»Natürlich nicht. Aber das wissen die ja nicht.« Er hustete wieder. »Was schreiben Sie?«
»Na ja, letzte Woche habe ich ein Treatment für diesen Film geschrieben. Dann hab ich ein neues Treatment geschrieben. Und jetzt warte ich auf … irgendwas.«
»Also, was schreiben Sie jetzt?«
»Eine Geschichte, die nicht in Gang kommen will. Über einen viktorianischen Zaubertrick. Er heißt ›Der Traum des Malers‹. Ein Künstler kommt mit einer großen Leinwand auf die Bühne, die er auf eine Staffelei stellt. Es ist das Gemälde einer Frau. Und er betrachtet das Gemälde und verzweifelt, weil er glaubt, dass er niemals ein wirklicher Künstler sein wird. Dann setzt er sich hin und schläft ein und die Frau auf dem Gemälde erwacht zu Leben, steigt herab und befiehlt ihm, nicht aufzugeben. Weiterzukämpfen. Eines Tages werde er ein großer Maler sein. Sie klettert zurück in den Rahmen. Die Lichter werden gedämpft. Dann wacht er auf und es ist wieder ein Gemälde …«
»… und der andere Trick hieß ›Das verzauberte Fenster«, erzählte ich der Frau vom Studio, die den Fehler gemacht hatte, am Beginn der Besprechung Interesse zu heucheln. »Ein Fenster hängt in der Luft und Gesichter erscheinen darin, aber es ist niemand in der Nähe. Ich denke, ich kann eine gewisse Parallele zwischen dem verzauberten Fenster und dem Fernsehen hinkriegen.«
»Ich mag ›Seinfeld‹«, sagte sie. »Haben Sie das schon mal gesehen? Es geht um gar nichts. Ich meine, sie drehen ganze Episoden, die von rein gar nichts handeln. Und ich mochte Garry Shandling, bevor er diese neue Show angefangen hat und so gehässig wurde.«
»Diese Zaubertricks …« fuhr ich fort. »Wie alle großen Illusionen veranlassen sie uns, die Natur der Realität infrage zu stellen. Aber sie werfen auch die Frage aus, wohin Unterhaltung sich entwickeln sollte. Filme, bevor es Filme gab. Das Fernsehen, lange bevor es erfunden wurde.«
Sie runzelte die Stirn. »Soll das ein Filmskript werden?«
»Das will ich nicht hoffen. Eine Kurzgeschichte, wenn ich es hinkriege.«
»Also, lassen Sie uns über den Film reden.« Sie blätterte einen Stapel Notizen durch. Sie war Mitte zwanzig und wirkte ebenso attraktiv wie steril. Ich fragte mich, ob sie eine der Frauen war, die am ersten Morgen an diesem Frühstück teilgenommen hatten, eine Deanna oder Tina.
Sie las etwas und schien verwirrt. »I Knew the Bride When She Used to Rock and Roll?«
»Das hat er aufgeschrieben? Es hat nichts mit diesem Film zu tun.«
Sie nickte. »Also, ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass einige Punkte Ihres Treatments nicht ganz unproblematisch sind. Diese Manson-Sache … na ja, wir haben Zweifel, ob das ankommt. Könnten wir ihn rausnehmen?«
»Aber nur um ihn geht es doch. Ich meine, der Roman heißt Menschensöhne. Manson – Menschensohn. Er handelt von ihm und seinen Kindern. Wenn Sie ihn rausnehmen, bleibt nicht viel übrig, oder? Ich meine, das ist das Buch, das Sie gekauft haben.« Ich hielt es hoch, damit sie es sehen konnte. Meinen Talisman. »Manson rauszuschmeißen wäre wie … ich weiß nicht. Als würde man eine Pizza bestellen und sich dann beschweren, weil sie flach und rund ist und Tomaten und Käse drauf sind.«
Sie gab keinerlei Anzeichen, dass sie auch nur ein Wort gehört hatte, sondern fragte: »Was halten Sie von When We Were Badd als Titel? Mit zwei Ds in Badd.«
»Keine Ahnung. Für diesen Film?«
»Wir wollen nicht, dass die Leute denken, es sei irgendwas Religiöses. Menschensöhne. Es klingt, als wäre es irgendwie antichristlich.«
»Na ja, ich habe schon irgendwie angedeutet, dass die Macht, von der die Manson-Kinder besessen sind, eine Art Dämon ist.«
»Wirklich? Das haben Sie gesagt?«
»Im Roman.«
Sie bedachte mich mit einem mitleidigen Blick von der Sorte, die nur Leute zustandebringen, die wissen, dass Romane – wenn überhaupt – nur eine einzige Daseinsberechtigung haben: als unverbindliche Filmvorlagen.
»Tja, ich fürchte, das Studio würde das als unpassend empfinden.«
»Wissen Sie, wer June Lincoln war?«, fragte ich sie.
Sie schüttelte den Kopf.
»David Gambol? Jacob Klein?«
Sie schüttelte wieder den Kopf, ein bisschen ungeduldig. Dann gab sie mir eine getippte Liste von Details, die ihrer Ansicht nach der Nachbesserung bedurften, was auf so ziemlich alles hinauslief. Die Liste war an: mich und eine Reihe weitere Leute, deren Namen mir nichts sagten, und von: Donna Leary.
Ich sagte, danke schön, Donna, und fuhr dann zurück ins Hotel.
Den Rest des Tages war ich düsterer Stimmung. Dann kam mir eine Idee, wie ich das Treatment umarbeiten konnte, sodass Donnas Beanstandungen samt und sonders behoben würden.
Ein weiterer Tag Denkarbeit, ein paar Tage Schreibarbeit und schließlich faxte ich das dritte Treatment ans Studio.
Pious Dundas brachte mir sein Sammelalbum, als er zu dem Schluss gekommen war, dass ich mich wirklich für June Lincoln interessierte – benannt, wie ich herausfand, nach dem Monat und dem Präsidenten und 1903 mit dem bürgerlichen Namen Ruth Baumgarten geboren. Es war ein in Leder gebundenes, altes Sammelalbum und hatte die Größe und das Gewicht einer Familienbibel.
Sie war vierundzwanzig gewesen, als sie starb.
»Ich wünschte, Sie hätten sie sehen können«, sagte Pious Dundas. »Ich wünschte, ein paar ihrer Filme hätten überlebt. Sie war so großartig. Sie war der größte Star von allen.«
»War sie eine gute Schauspielerin?«
Er schüttelte entschieden den Kopf. »Nein.«
»War sie eine besondere Schönheit? Wenn ja, kann ich es jedenfalls nicht sehen.«
Er schüttelte wieder den Kopf. »Die Kamera liebte sie, das steht fest. Aber das war es nicht. In jedem Film gab es ein Dutzend Komparsen, die hübscher waren als sie.«
»Was war es dann?«
»Sie war ein Star.« Er hob die Schultern. »Sie hatte das, was es ausmacht, ein Star zu sein.«
Ich blätterte weiter: Zeitungsausschnitte, Besprechungen von Filmen, die mir völlig unbekannt waren, Filme, die mitsamt den Negativen vor langer Zeit verloren gegangen waren, verlegt oder von der Feuerwehr vernichtet, weil Nitratnegative eine so berüchtigte Feuergefahr darstellten. Dann Ausschnitte aus Filmzeitschriften: June Lincoln in Aktion, June Lincoln in der Drehpause, June Lincoln am Set zu Das Hemd des Pfandleihers, June Lincoln in einem riesigen Pelzmantel – der das Foto irgendwie deutlicher datierte als der seltsame Pagenkopf oder die unvermeidliche Zigarette.
»Haben Sie sie geliebt?«
Er schüttelte den Kopf. »Nicht wie man eine Frau lieben würde …«, sagte er.
Es war einen Moment still. Dann streckte er die Hand aus und blätterte die nächste Seite um.
»Und meine Frau hätte mich umgebracht, wenn sie mich das hätte sagen hören …«