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»Sprechen wir nicht davon«, sagte ich barsch.

Ho-Tu sah mich offen an. »Wer immer du bist – ich habe niemanden getötet.«

Sein Blick fiel auf das Seidentuch und die verstreuten Fläschchen und Schmuckstücke.

»Was habt ihr hier gemacht?« fragte er.

»Er hat mir das Spiel beigebracht«, sagte sie lachend.

Ho-Tu grinste. »Hat es dir gefallen?«

»Nein, Ho-Tu«, sagte Sura lachend und küßte ihn. »Es ist zu schwierig für mich.«

Ho-Tu wandte sich um. »Ich spiele mit dir, wenn du möchtest.«

»Nein, Ho-Tu«, erwiderte sie. »Das würde mir nicht gefallen.« Dann löste sie sich aus seinen Armen, holte ihre Kalika, hockte sich in die Mitte des Zimmers und begann zu spielen.

Unbemerkt trat ich auf den Korridor.

Ich fand Flaminius, den Arzt, in seinem Quartier, und obwohl er betrunken war, versorgte er meinen Arm, den Ho-Tu mit seinem Hakenmesser angeritzt hatte. Die Wunde war nicht schlimm.

»Das ist die sechste Messerwunde, die ich heute verbinde«, sagte er.

»Oh?«

»Dein Gegner ist wahrscheinlich tot.«

»Nein«, sagte ich. »Ich erhielt die Wunde im Quartier Suras.«

»Ha!« machte Flaminius. »Was für ein Mädchen! Eine arrogante Sklavin!

Aber nimm dich vor Ho-Tu in acht. Er ist sehr eifersüchtig, dabei ist sie nur eine Sklavin. Übrigens hat er vorhin nach dir gesucht.«

»Ich weiß«, sagte ich.

»Nimm dich vor ihm in acht.«

»Ich glaube nicht, daß sich Kuurus aus der schwarzen Kaste wegen Ho-Tu Sorgen machen müßte«, sagte ich und stand auf.

Flaminius starrte mich nicht ohne Ehrfurcht an. Dann erhob er sich und holte eine große Flasche Paga. Er öffnete sie und goß zwei Schalen ein.

»Du scheinst mir ein guter Arzt zu sein«, sagte ich.

Er reichte mir die zweite Schale.

»Im vierten und fünften Jahr der Herrschaft Marlenus'«, sagte er, »war ich in meiner Kaste führend.«

»Dann hast du den Paga entdeckt? Oder die Mädchen?«

»Nein«, sagte er. »Nein. Ich hoffte etwas anderes zu finden – ein Mittel gegen die Dar-Kosis.«

»Die Dar-Kosis ist unheilbar«, sagte ich.

»Es gab eine Zeit vor vielen Jahrhunderten, da Angehörige meiner Kaste der Meinung waren, das Alter sei unheilbar. Andere gaben sich damit nicht zufrieden und setzten ihre Arbeit fort. Das Ergebnis war das Unsterblichkeitsserum.«

Die Dar-Kosis, die sogenannte Heilige Krankheit, ist eine von langem Siechtum begleitete Seuche. Wer davon befallen wird, gilt als Aussätziger und wird aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Die armen Kranken wandern in gelben Lumpen durch die Lande und schlagen hölzerne Stäbchen gegeneinander, um Gesunde zu warnen; einige lassen sich auch in Dar-Kosis-Gruben aussetzen, von denen es in der Umgebung Ars mehrere gibt.

»Die Dar-Kosis«, sagte ich schließlich, »wird doch als heilig betrachtet.«

»Das ist eine Lehre der Wissenden«, sagte Flaminius bitter, »ein Mythos, eine angebliche Strafe der Priesterkönige. Aber die Krankheit hat nichts Heiliges.«

»Woher weißt du das?«

»Ich bin immerhin Arzt. Wir und verschiedene andere haben zur Zeit Marlenus' jahrelang insgeheim daran gearbeitet – wir haben geforscht und experimentiert. Leider erfuhr der Höchste Wissende der Stadt von unseren Bemühungen. Der Zylinder der Wissenden verlangte, der Hohe Rat der Kaste der Ärzte solle unserem Treiben ein Ende setzen, auch sollten die bisherigen Ergebnisse unserer Arbeit vernichtet werden. Doch die Ärzte stellten sich auf unsere Seite. Zwischen den Wissenden und den Ärzten besteht wenig Freundschaft, ebensowenig wie zwischen den Schriftgelehrten und den Wissenden. Der Zylinder der Wissenden verlangte dann von der Stadtführung, man solle uns die Arbeit untersagen, doch mit Genehmigung Marlenus' konnten wir weitermachen. Marlenus ließ ausrichten, daß die Wissenden entweder mit unserer Arbeit einverstanden sein müßten, dann sollte sie weitergehen; daß sie aber widrigenfalls als Herren Gors auch mächtig genug sein müßten, ihr ein Ende zu bereiten.«

Ich lachte.

Flaminius musterte mich neugierig. »Ich habe noch nie einen Angehörigen der schwarzen Kaste lachen sehen«, sagte er. »Na, jedenfalls brachen vor Beginn der nächsten Passage-Hand Bewaffnete in den Zylinder der Ärzte ein. Dabei wurde das Gebäude schwer beschädigt. Unsere Arbeit, unsere Unterlagen, unsere Versuchstiere wurden vernichtet, mehrere Angehörige meiner Abteilung wurden getötet, andere vertrieben.« Er hob seine Tunika, und ich bemerkte, daß sein Körper schreckliche Brandwunden aufwies. »Die kommen von den Flammen.« Er stockte. »Erst kurz vorher hatten wir eine Urt-Art entwickelt, die der Dar-Kosis widerstehen konnte. Es war ein Anfang, ein Versuch – und ich hatte große Hoffnungen darauf gesetzt.«

»Und diese Bewaffneten – was waren das für Leute?«

»Zweifellos Söldner der Wissenden«, sagte Flaminius. »Aber sie konnten unerkannt entkommen.«

»Hast du deine Arbeit wieder aufgenommen?« fragte ich.

»Ich hatte doch überhaupt nichts mehr. Wer von meinen Leuten überlebt hatte, wollte die Arbeit natürlich nicht fortsetzen.« Flaminius nahm einen großen Schluck Paga.

»Was hast du also getan?«

Flaminius lachte. »Ich machte mir sehr schnell klar, daß ich gegen die Wissenden nichts ausrichten konnte. Sie würden stets die Sieger bleiben.«

»Das glaube ich nicht.«

»Aberglaube«, sagte er, »als Wahrheit proklamiert, wird immer über die Wahrheit siegen, die als abergläubisch verhöhnt wird.«

»Das darfst du nicht glauben.«

»Mir war klar, daß die Menschen von Gier und Wollust und von Macht und Gold gelenkt werden, und daß ich, der ich eine Krankheit besiegen wollte, ein Narr war.«

»Du bist kein Narr«, entgegnete ich.

»Nicht mehr. Ich verließ den Zylinder der Ärzte und trat am nächsten Tag in die Dienste des Cernus. Seither bin ich hier, und ich bin zufrieden.

Man bezahlt mich gut. Was kann sich ein Mann mehr wünschen?«

»Flaminius!« sagte ich.

Er blickte mich verblüfft an. Dann lachte er und schüttelte den Kopf.

»Nein, ich verachte die Menschen. Deshalb ist dieses Haus auch gut für mich.« Er starrte mich noch einmal an, trunken vor Haß und Paga. »Ich verachte die Menschen!« sagte er. »Darum trinke ich mit dir.«

Ich nickte knapp und wandte mich zum Gehen.

»Meine kleine Geschichte hat noch ein hübsches Ende«, sagte Flaminius und reichte mir die Flasche.

»Bei den Spielen am zweiten En'Kara sah ich den Höchsten Wissenden, Complicius Serenus, im Stadion der Klingen.«

»Na und?«

»Er weiß es nicht«, sagte Flaminius, »und wird es wahrscheinlich auch erst in einem Jahr erfahren.«

»Was erfahren?« fragte ich.

Flaminius nickte und schenkte sich noch eine Schale Paga ein. »Daß er an Dar- Kosis stirbt.«

Meine Schritte führten mich wieder in die Halle, in der wir zu Abend gegessen hatten. Neugierig öffnete ich die Tür, durch die der Sklave geführt worden war, nachdem er den Messerkampf verloren hatte. Ich stieß auf eine lange Treppe und folgte ihr zu einem Treppenabsatz und von dort in einen langen Korridor, an dessen Ende zwei Wächter standen. Als sie mich erblickten, sprangen sie auf.

»Kajuralia«, sagte ich.

Beide Männer zogen ihre Waffen. »Nicht weitergehen, Attentäter«, sagten sie.

»Na gut«, erwiderte ich und betrachtete die schwere Tür hinter ihnen.

Sie war nicht auf dieser Seite verschlossen, was ich sehr interessant fand. Ich fand, es wäre logisch gewesen, wenn man sie aus Angst vor dem Ungeheuer verriegelt hätte. Es gab jedoch zwei schwere Balken, die in massige Klampen gelegt werden konnten.

Plötzlich klang ein wildes Brüllen hinter dem Durchgang auf.

»Ich bin von einer Hakenklinge verwundet worden«, sagte ich.

Dabei zog ich meinen Ärmel zurück und zeigte die Bandage vor; Blut war hindurchgesickert.

»Geh jetzt!« rief einer der Wächter.

»Ich will's dir zeigen«, sagte ich, zog den weißen Verband zur Seite und entblößte die Wunde.