Die Tarnkämpfer, die eng gedrängt kämpfen mußten und sich gegenseitig behinderten, boten dem Tuchukbogen ein gutes Ziel, und mit einem Schreckensschrei wirbelten sie ihre Tiere zur Seite.
»Das Rennen!« brüllte ich. »Das Rennen!«
Zu meiner Verblüffung ließ der Tarn sofort vom Kampf ab und hielt wieder auf die Ringe zu.
Menicius aus Port Kar hatte nun einen großen Vorsprung, doch mein mächtiger Tarn nahm stumm die Verfolgung auf.
Während des Kampfes hatten uns vier Renntarns überholt, während die anderen noch hinter uns lagen, entweder aus dem Rennen geworfen oder von den herumkreisenden Tarnreitern aufgehalten. Schnell überholten wir das erste Tier, einen Tarn ohne Mannschaft, so daß nur noch der Silberne, der Rote und der Blaue vor uns waren – und mein Gegner Menicius aus Port Kar.
Zwei hölzerne Tarnköpfe standen noch auf den hohen Masten.
Wieder zischte ein Armbrustpfeil dicht an mir vorüber.
Als ich um die Kehre kam, stieß ich wieder auf eine Horde Tarnflieger, die sich inzwischen neu formiert hatte. Wieder trat der Tuchukbogen in Aktion, und verzweifelte Tarnreiter fühlten den tödlichen Kuß des gezackten Stahls. Dann waren alle Pfeile, von denen ich vierzig im Köcher gehabt hatte, verschossen.
Ich hörte einen Freudenschrei hinter mir und sah, wie der Anführer des Tarntrupps seinen Männern Befehl gab, über die Trennwand zu fliegen und mir auf der entgegengesetzten Seite wieder aufzulauern.
Zwischen den Ringen überholte ich den Silbernen und dann den Blauen.
Ich stellte fest, daß der Rote Menicius bedrängte, der ihn zu blockieren versuchte; was immer hinter den Kulissen verabredet sein mochte, der wilde Mann mit der Knochenkette wollte jedenfalls siegen.
Plötzlich sah ich etwa zehn Tarnreiter vor mir, die Waffen erhoben. Der Ubar des Himmels warf sich mitten hinein, sein Schnabel fetzte hin und her, und er brach durch. Als die Männer zur Verfolgung ansetzen wollten, wurden vier von ihnen in meinem Tuchuklasso gefangen, das ihre Tarns, da sie sich nicht mehr frei bewegen konnten, zum Absinken brachte. Als ich um die Kurve kam, schimmerte nur noch ein Tarnkopf auf den Masten.
Schon hatte ich die Tuchuk-Bola zur Hand genommen und wirbelte sie um den Kopf. Auf der Gegengeraden stellten sich mir erneut Tarns entgegen, die sich jedoch nun vor der wirbelnden Waffe in acht nehmen mußten; das Gewicht der Bola kann Knochen brechen und die Schnüre können einen Menschen erwürgen. Ein Tarnkämpfer bedrängte mich mit dem Schwert, doch ich wehrte mich erfolgreich mit dem Tarnstab; einen zweiten Mann erledigte ich mit meinem Schwert, so daß der letzte, der Anführer, schließlich fluchend abdrehte.
»Ubar des Himmels!« rief ich. »Jetzt mußt du fliegen wie nie zuvor!«
Auf der Geraden vor uns näherten sich der Gelbe und der Rote der nächsten Kehre. Wie ein Pfeil, wie eine schwarze Lanze stach der Ubar des Himmels zwischen ihnen hindurch. Ein Ausdruck des Hasses entstellte das Gesicht des Menicius, und er zerrte etwas aus seinem Gürtel. Der Rote versuchte uns fluchend zur Seite zu drängen; bei unserer Geschwindigkeit war das nicht ungefährlich. Menicius' Arm zuckte plötzlich nach vorn, und ich duckte mich instinktiv über den Hals meines Vogels. Ein Glasgefäß zersplitterte, und der bärtige Mann mit der Knochenkette, der etwa neben mir flog, kreischte plötzlich auf und wischte sich im Gesicht und an der Brust herum. Sein Vogel geriet aus dem Rhythmus, verlor die Kontrolle, und der Mann schlug mit der Schulter gegen die Seitenkante eines Ringes und wurde aus dem Sattel gerissen. Schreiend und blutüberströmt überschlug er sich und stürzte ins Netz.
Ein Knall ertönte, und auf meinem linken Arm erschienen zwei Blutbahnen; mein Schwert zuckte hoch, und als das Peitschenmesser zum zweitenmal vorschnellte, durchtrennte ich es. Fluchend warf Menicius die nutzlose Waffe fort. Wir fegten nun durch die letzten Ringe des Rennens. Er hatte das Tarnmesser in der Hand, doch ich hielt meine Tuchuk-Quiva stoßbereit; mein Tarn wandte sich gegen seinen, und wir schwebten Sattel an Sattel und kämpften miteinander, wobei ich sein Handgelenk festhielt und er das meine; er stieß einen Schmerzensschrei aus und ließ das Messer fallen. In diesem Augenblick ertönte die Schiedsrichterglocke: Wir beide hatten den letzten Ring verfehlt. Ich zog meinen Vogel herum, um das Versäumnis nachzuholen. Fluchend machte es mir Menicius nach, dessen Tier sofort reagierte. Doch mit gewaltigem Flügelschlag berührte der Ubar des Himmels die Stange des Siegers. Ich hob die Arme. Sekunden später landete auch Menicius.
Das Toben der Menge war ohrenbetäubend.
Ich sah vier Armbrustschützen neben der Loge des Ubar, die auf ein Zeichen Saphronicus' einen Schuß abgaben. Menicius, von den Pfeilen getroffen, sank in den Sand. Einer der Armbrustschützen wurde von einem Pfeil getroffen, der von der gegenüberliegenden Seite des Stadions heranschwirrte. Cernus sprang auf und sammelte Taurentianer um sich. Aus der Ferne ertönte Gesang, das Lied zum Ruhme Ars, und die Melodie wurde nun auch auf den Rängen angestimmt.
»Aufhören!« rief Cernus. »Aufhören!«
Doch das Lied tönte immer lauter. Wut schwang mit in diesem Lied, Triumph, Trotz und Stolz, viel Stolz auf diese Stadt. Bürger zerrten die grünen Banner von den Logen des Ubar und des Hochsten Wissenden und brachten statt dessen eine gelbe Stoffbahn an, und Cernus wagte nicht, seine Männer auf die Leute schießen zu lassen.
Einer nach dem anderen gingen die Renntarns ins Ziel, doch niemand kümmerte sich mehr um das Rennen.
Das Lied erfüllte das ganze Stadion. Plötzlich sprangen die Großen Tore auf, und Tausende von Bürgern, aus dem Stadion der Klingen kommend, marschierten in die Arena, geführt von der mächtigen Gestalt des Murmilius.
Cernus starrte wütend zu mir herüber, der ich in das tosende Lied eingefallen war, obwohl ich nicht aus dieser Stadt stammte.
Langsam zog ich die Maske vom Gesicht.
Er stieß einen Entsetzensschrei aus und taumelte zurück. Sogar Saphronicus, der Anführer der Taurentianer, schien die Fassung zu verlieren.
Murmilius blieb vor der Loge des Ubar stehen und setzte seinen Helm ab, den Arenahelm, der viele Monate lang seine Züge verborgen hatte.
Cernus schlug entsetzt die Hände vors Gesicht. Mit einem gellenden Schrei warf er die Robe des Ubar von sich und floh aus der Loge. Seine Wächter warfen die Armbrüste fort. Saphronicus schritt langsam die Treppe hinab, kniete vor dem großen Mann nieder und legte sein Schwert in den Sand.
Nun erstieg der Mann die Loge des Administrators, wo ihm die Robe des Ubar umgelegt wurde. Das Schwert über die Knie gelegt, nahm er auf dem Thron Platz.
Ich hörte ein Kind seinen Vater fragen: »Vater, wer ist der Mann?«
»Das ist Marlenus«, sagte der Vater. »Er ist nach Hause zurückgekehrt.
Er ist Ubar von Ar.«
Wieder begann der Gesang. Ich stieg ab, trat neben den toten Menicius und warf das Mordmesser mit der Inschrift ›Ich habe gesucht. Ich habe gefunden‹ neben ihm in den Sand.
Dann stieg ich wieder in den Sattel. Ich hatte noch eine Aufgabe.
21
Ich wartete in der Halle des Cernus, auf seinem großen Thron sitzend.
Auf dem Holztisch vor mir lag mein Schwert.
Ich hatte keine Mühe gehabt, vor ihm hier einzutreffen, war ich doch auf dem Rücken meines Tarns geflogen. Das Haus war fast völlig verlassen; offenbar war die Nachricht von den Geschehnissen im Stadion der Klingen schon eingetroffen.
In ihrer Kammer hatte ich Sura gefunden.
Sie lag auf ihrem Strohlager, mit geschlossenen Augen. Ihr Gesicht war totenblaß.
Ich eilte zu ihr und nahm sie in die Arme. Sie öffnete die Augen, schien mich jedoch nicht zu erkennen.
»Er war ein so schöner Junge«, sagte sie. »Er ist ein so schöner Junge.«
Ich legte sie wieder hin und band Tücher um ihre blutigen Handgelenke.
»Ich rufe einen Arzt«, flüsterte ich. Bestimmt war Flaminius noch im Haus. »Warum hast du das getan?«
Sie sah mich überrascht an. »Kuurus« sagte sie. »Du bist es, Kuurus.«
»Ja.«