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Meine Nase ist wieder gereizt, flüsterte sie und starrte dabei gedankenverloren auf ihre Knie, wie überhaupt meine Sinne, meine Kinder, ich liebe euch.

Auf der hölzernen Lehne von Marthas Sessel saß Leontine und wippte ungeduldig mit den Zehen. Martha hatte Leontine im Sommer wiedergetroffen, seither sahen sich die beiden jeden Tag. Immer häufiger übernachtete Leontine in der Beletage der Achenbachstraße.

Mein Freund sagt, sie haben nur eine Stelle frei. Sie suchen eine erfahrene Schwester. Das ist Martha. Fanny machte einen mitleidigen Schnabelmund in Helenes Richtung, sie klimperte mit den Wimpern, damit Helene ihr Bedauern erkannte und für wahr nahm. Gute Helene, Liebchen, für dich werden wir etwas anderes finden, ganz bald.

Schon in der kommenden Woche sollte Martha in der Exerzierstraße im Norden der Stadt anfangen. Fannys Verehrer war Oberarzt auf der Sterbestation des Jüdischen Krankenhauses. Fanny behauptete, er sei greis und lüstern und habe die Stelle entsprechend ausgeschrieben. Die Schwester sollte zwischen zwanzig und dreißig sein. Also Martha. Im richtigen Alter sollte sie sein. Er mochte Frauen im richtigen Alter. Nur solche. Weshalb sich die Verehrung für Fanny in den letzten Jahren etwas verflüchtigt habe. Die Sterbestation sei schwer zu verkraften, wegen der Siechen und Sterbenden, deshalb sei der Leitung eine ältere Schwester lieber. Nun sei sechsundzwanzig noch nicht alt, aber immerhin, Martha habe im Vergleich zu Helene schon mehr Erfahrung, nicht wahr?

Helene bemühte sich um ein bescheidenes Gesicht. Martha konnte ihr Gähnen nicht unterdrücken. Sie trug noch den seidenen Morgenmantel, den ihr die Tante jüngst überlassen hatte.

Leontine nickte für Martha: Kein Zweifel, Martha leert und füllt, reinigt und beruhigt, füttert und wickelt wie keine andere.

Das Beten wirst du noch lernen? Fanny meinte es ernst. Sie nahm Martha zu hohen Feiertagen mit in die Synagoge, aber Martha war schon im Petridom keine beflissene Beterin gewesen.

Martha spreizte den kleinen Finger ab, sie griff nach einem Ingwerstäbchen aus der blütenförmigen Glasschale und knabberte zögernd daran. Helene und Martha hatten sich häufig in den letzten Monaten darüber unterhalten, wie ungern sie der Tante zur Last fielen und auf ihre Kosten lebten. Sie genossen das gemeinsame Leben in der großen Wohnung, aber sie hätten Fanny gern etwas Geld gegeben und eigenes Geld zur Verfügung gehabt. Es war ihnen unangenehm, die Geldgeschenke der Tante annehmen zu müssen. Die Breslauer Erbschaft entpuppte sich als Schwierigkeit. Die Mieten kamen nicht flüssig, der bestellte Verwalter meldete sich schon seit Monaten nicht mehr. Martha und Helene trauten sich nicht, die Tante um Geld zu bitten, das sie gern nach Bautzen geschickt hätten. Als ein hilfesuchender Brief vom Mariechen gekommen war, sie wisse nicht, wovon sie der Mutter etwas zum Essen kaufen sollte, hatte sich Helene in die Speisekammer geschlichen und Lebens mittel erbeutet, die in einem Paket nach Bautzen geschickt worden waren. Zur gleichen Zeit hatte Martha eine von Fannys Schallplatten entwendet und sie im Pfandhaus gegen etwas Geld eingelöst. Eine Leihgabe, so hatten es Martha und Helene voreinander bezeichnet, bis Tante Fanny sie beiläufig gefragt hatte, ob sie wüssten, wohin ihr Richard Tauber verschwunden sein könnte. Helene hatte einen Hustenanfall erlitten, um Fanny nicht die angebrachte Gewissensnot zeigen zu müssen. Die sei ihr runtergefallen und kaputt gegangen, das hatte Martha sofort geantwortet. Sie habe sich nur nicht getraut, es der Tante zu sagen. Falsche Reue? Marthas Augenaufschlag, die Unschuld in ihrem Antlitz war immer wieder erstaunlich. Fanny konnte Großmut beweisen.

Martha und Helene hatten sich in den vergangenen Monaten in einigen Krankenhäusern vorgestellt, aber bislang ohne Erfolg. Die ganze Stadt schien Arbeit zu suchen, und wer welche hatte, wollte eine bessere, eine mit höherem Lohn. Wer keine hatte, machte Geschäfte, aber von denen verstanden die Schwes tern noch zu wenig. In Andeutungen wurde von Schiebereien und Wetten gesprochen und davon, dass sich nur hübsche Mädchen verkaufen könnten, zumindest in der Revue. Lucinde, Fannys Freundin, arbeitete in einer Revue, nackt, wie sie zum Besten gab, bekleidet nur mit ihrem Haar. Helenes Zeugnisse aus Bautzen fanden einige Bewunderung, doch schreckte ihr Alter ab, man fand sie für eine feste Stelle im Krankenhaus zu jung.

Das werde ich machen, Martha legte das angeknabberte Ingwerstäbchen auf den Rand ihrer Untertasse. Sie lehnte ihren Kopf an Leontine und hielt sich wieder die Hand vor den Mund. Fanny betrachtete Leontine und Martha, sie lächelte und fuhr sich mit der Zunge erst über die Zähne und an schließend über die Lippe.

Das freut mich. Ihr wisst ja, ihr seid meine Gäste, für immer, wenn ihr so wollt. Meinetwegen müsst ihr nicht arbeiten, keine von euch. Das wisst ihr? Fanny blickte in die Runde. Zwar hatte sie keinen Mann und keine Eltern mehr, aber offenbar war Fanny noch so reich und allein mit ihrem Vermögen, dass sie sich keine Gedanken über finanzielle Dinge machen musste. Außer Leontine natürlich, sagte Fanny, wer wollte nicht endlich eine schöne Frau zur Hausärztin haben. Leontine, wann machst du dein Examen?

Im Herbst. Keine falschen Hoffnungen, ich werde bei Professor Friedrich an der Charité anfangen. Es könnte sein, dass er sich für eine Habilitation einsetzt.

Du enttäuschst mich, Liebchen, ich sehe dich mit dem Arztkoffer in einem kleinen Doktorwagen vor meinem Haus halten. Warum keine Praxis — du könntest dir junge Assistenten zur Hilfe nehmen, solche wie Erich oder Bernard.

Leontine lächelte geschmeichelt. Sie hatte sich in Berlin eine seltsame Geschmeidigkeit zugelegt, sie lächelte häufiger, manch mal nur mit den Augen, und selbst ihre Bewegungen waren denen einer Katze ähnlich geworden. Leontine erhob sich und ging um den Tisch herum. Sie nahm Helenes blonden Zopf in beide Hände, als wolle sie ihr Haar wiegen, und legte dann ihre Hand auf Helenes Kopf. Helene wurde warm, es gab nichts Besseres als Leontines Hand auf dem Kopf.

Den privaten Patienten fehlt noch das Zutrauen in eine Ärztin, sagte Leontine und hob entschuldigend die Augenbrauen. Zudem verfüge ich nicht über das nötige Kleingeld.

Selbstverständlich müssen es keine Assistenten sein, es könnten auch Assistentinnen sein, Leontine. Solche wie Martha und Helene. Fanny kicherte. Wie ich höre, bist du mit einem debilen Paläontologen verheiratet. Man möchte meinen, der hätte etwas Kleingeld.

Lorenz und debil? Leontines Augen funkelten. Wer behauptet das? Mein werter Mann hegt wohl nicht das nötige Vertrauen in meine Niederlassung. Jetzt lachte Leontine ihr altbekanntes schwarzes Lachen.

Muss er nicht debil sein, wenn ihm nicht auffällt, dass seine Frau ihre Nächte nicht zu Hause verbringt? Fannys Zunge glitt wieder an der oberen Zahnreihe entlang und fuhr über die Lippen.

Lorenz ist liberal, von Grund auf, und zudem hat er schlicht das Interesse an mir verloren.

Fanny warf ihrem Königspudel Cleo einen Brocken vom Mohnkuchen zu und schenkte sich ein Glas Weinbrand ein. Jetzt fiel Fannys Blick auf Helene. Leontine sagt, du beherrschst die Schreibmaschine und Stenographie? Fannys Nase lief, doch sie bemerkte es zu spät. Es gelang ihr lediglich, das Rinnsal mit dem Taschentuch am Kinn aufzufangen. Du hast die Buchhaltung in der Druckerei eures Vaters gemacht?

Helene zuckte unschlüssig die Achseln. Es schien ihr lange her zu sein, dass sie diese Dinge erledigt hatte. Ihr altes Leben war in eine gute Ferne gerückt, sie erinnerte sich lieber nicht. Was sie übte, war die Erinnerungslosigkeit, nur so, das hatte sie bei einer Gesellschaft jüngst einem Galan zugeflüstert, könne man die Jugend halten. Dabei hatte sie ihn so unschuldig angesehen, dass der Galan sie ernst nehmen musste und ihr zustimmen wollte.