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Sie wartete, bis das Ärgste vorüber war, zog sich an der Wand neben der Tür in die Höhe und lauschte in sich hinein. Der Schmerz in ihren Eingeweiden war noch da, aber er war nicht zu schlimm. Und sie vertraute auf den verläßlichen Mechanismus ihres Körpers, der ihr mit einem gehörigen Adrenalinstoß unter die Arme greifen würde. Entschlossen ergriff sie den Stuhl und schleuderte ihn mit aller Kraft gegen das Fenster.

Es war, als flöge er in Zeitlupe. Der Stuhl pflügte durch die Dunkelheit, und sie sah jeden Millimeter, den er zurücklegte, mit phantastischer Klarheit. Ihre Gedanken schienen mit Überlichtgeschwindigkeit zu arbeiten. Was, wenn sie schlecht gezielt hatte oder er einfach vom Fenster abprallte wie von einer Gummi wand, weil die Magie dieses Hauses schon zu stark war?

Das Klirren, mit dem Glas und Holz zerbarsten, wischte ihre Befürchtungen hinweg, aber es dröhnte auch wie ein Kanonenschuß durch das Haus. Völlig unmöglich, daß Stefan es nicht hörte. Draußen auf dem Flur erklang ein Laut wie das überraschte Grunzen eines Schweines, dann hörte sie Belderson Aufschreien und schwere Schritte sich der Tür nähern. Sie spurtete los.

Als sie zwei Schritte vor dem Fenster war, wurde der Schlüssel herumgedreht. Sie sprang.

Sie hatte nicht einmal gewußt, daß sie es konnte, aber sie flog, in einer perfekten Haltung wie eine Turmspringerin, mit gerade ausgestreckten Armen - und gesenktem Kopf durch das Fenster, ohne die scharfkantigen Glassplitter auch nur zu berühren, machte eine halbe Drehung in der Luft und kam mit einer Rolle auf, die dem Sturz seine vernichtende Wucht nahm. Dann zuckte der Schmerz durch ihren Körper.

Sie schrie, krümmte sich zusammen und verlor die Kontrolle über ihre Bewegungen; aus der eleganten Judorolle wurde ein haltloses Kollern. Sie schlitterte drei, vier Meter weit durch den aufgeweichten Morast, ehe sie wimmernd zur Ruhe kam. Hinter ihr im Haus ertönte ein wütender Schrei, dann ein einzelner, ungeheuer kraftvoller Schlag, in den sich das Bersten von Holz mischte.

Liz kämpfte sich auf Hände und Knie hoch. Klebriger Morast bedeckte ihr Gesicht und versuchte in ihren Mund zu kriechen, irgendwo unter ihr bewegte sich etwas, und der Regen, der in wütenden Schleiern vom Himmel prasselte, durchnäßte sie binnen einer einzigen Sekunde bis auf die Haut. Sie spie aus, wischte sich mit dem Handrücken Schlamm und Wasser aus den Augen und sah zum Haus zurück. Sie war ein wenig überrascht, wie weit sie der Sprung und der anschließende Sturz nach draußen getragen hatten - sie war fast zehn Meter vom Haus entfernt, und das zersplitterte Fenster sah nun wirklich aus wie die Höhle eines ausgestochenen Auges. Ein Schatten bewegte sich darin - Stefan -, dann ein zweiter - Belderson -, und für einen Moment starrten sie beide reglos zu ihr heraus, dann stieß Stefan ein hysterisches Kreischen aus und machte Anstalten, zu ihr herauszuklettern. Belderson versuchte ihn davon abzuhalten. Sie sah, wie Stefan ihn zurück stieß, wie Belderson ihn ein zweites Mal bei den Schultern packte und zurückzerrte, dann fuhr Stefan herum und begann mit den Fäusten auf seinen Gegner einzuschlagen, aus den beiden Schatten wurde ein einziger, voller Arme und wirbelnder Fäuste und aggressiver Bewegung. Belderson schrie vor Schmerz. Liz kämpfte sich auf die Beine und taumelte auf die Scheune zu.

43.

Der Schrei begann, als sie den halben Weg geschafft hatte. Zuerst hörte sie ihn kaum. Es war ein Laut, der im Klatschendes Regens und dem Rauschen der Baumwipfel fast unterging, aber er gewann rasch an Lautstärke, und etwas in ihr war viel zu sehr auf diesen entsetzlichen Laut programmiert, als daß sie ihn auch nur eine Sekunde lang nicht hören würde - es war der Schrei, dieser scheußliche, dicht an der Hörgrenze vibrierende Laut, wie ihn kein Wesen dieser Welt hervorbringen konnte, der Schrei der Banshee, mit dem alles angefangen hatte und mit dem es enden würde.

Sie rannte schneller, glitt im Morast aus und fiel auf die Knie. Gehetzt sprang sie wieder hoch, schleuderte ihre Schuhe davon und warf einen raschen Blick zum Haus zurück, ehe sie weiter hetzte. Hinter dem Fenster rangen noch immer die beiden Schatten miteinander, aber am Ausgang des Kampfes bestand überhaupt kein Zweifel. Eigentlich glich es einem Wunder, daß Belderson Stefan bisher hatte standhalten können. Sie hatte nur noch Sekunden.

Keuchend, durchnäßt, über und über mit Schlamm bespritzt und aus einem halben Dutzend ungefährlicher und einer möglicherweise tödlichen Wunde blutend, erreichte sie die Scheune, torkelte durch die Tür und wankte auf den Wagen zu. Sie hatte noch niemals einen Wagen kurzgeschlossen, aber irgendwie würde es schon gehen. Schlimmstenfalls würde sie ihn mit ihrer bloßen Willenskraft zum Fahren bringen. Sie hatte den Jaguar fast erreicht, als sie bemerkte, daß sie nicht allein in der Scheune war, und abrupt stehen blieb.

Was sie sah, übertraf alles, was sie bisher erlebt hatte. Und es bestätigte ihre Theorie, daß es keine Grenzen für den absoluten Schrecken gab, auf entsetzliche Weise. Draußen schwoll der Schrei der Banshee weiter an, und jetzt erkannte sie auch, daß ein Rhythmus in diesem Ton war, der gleiche Rhythmus, in dem sich Andys schmale nackte Schultern wiegten, die vor ihr kniete. Sie war nackt wie am vergangenen Morgen, als sie sie das letzte Mal gesehen hatte, aber sie trug noch immer dieses faden dünne, schwarz glitzernde Netz, ein Gewebe aus zuckenden pulsierenden Nervenfäden, das ihren Körper überall bedeckte, und sie kniete über Peters regloser Gestalt und tat etwas mit seinem Gesicht, das Liz sehr wohl erkannte, das zu akzeptieren sich aber ihr Gehirn einfach weigerte. Ihre Hände waren voller Blut, und die Klinge des schmalen Messers, das sie führten - schnell und routiniert wie eine Chirurgin - blitzte rot.

Dann stieß die verstümmelte Gestalt unter ihr ein ganz leises, unendlich qualvolles Stöhnen aus. Einer ihrer Arme bewegte sich, die Hand rollte zur Seite, haltlos wie die einer Puppe, wieder erscholl dieses leise, von schrecklicher Pein erfüllte Stöhnen, und Liz begriff endlich, daß Peter noch lebte.

Sie schrie gellend auf.

Andys Kopf flog mit einem Ruck in die Höhe, und Liz schrie ein zweites Mal, als sie ihr Gesicht sah. Das Messer beschrieb einen Bogen und richtete sich auf sie. Mit phantastischer Klarheit konnte sie erkennen, wie sich die Muskeln in Andys schlankem Körper spannten und sie das Gewicht verlagerte, um sie an zuspringen. Liz war eine Winzigkeit schneller.

Als das Mädchen hoch federte, war sie bereits bei ihr. Mit der hundertprozentigen Kraft, die ihr die Angst gab, packte sie ihr Handgelenk und verdrehte es, bis der Knochen brach, dann kam ihr Knie hoch, traf Andys Dämonengesicht und schmetterte ihren Kopf in den Nacken. Andy verlor das Gleichgewicht, stürzte nach hinten und fiel halb über den Körper ihres Vaters. Sofort versuchte sie wieder auf die Beine zu kommen. Liz gab ihr nicht die Spur einer Chance. Sie trat zu, traf das Mädchen in den Magen und versetzte ihr einen fürchterlichen Hieb mit der flachen Hand, als sie sich krümmte.

Aber sie kämpfte nicht gegen ein lebendes Wesen, sondern einen Dämon. Das Mädchen kam mit einer katzenhaften Bewegung wieder auf die Füße, wich einen halben Schritt zurück und griff sofort wieder an. Liz konnte der vorschnellenden Messerklinge nur im allerletzten Moment ausweichen. Verzweifelt taumelte sie rücklings vor Andy davon, wehrte einen weiteren Messerstich mit der flachen Hand ab und schlug gleichzeitig zurück.

Andy versuchte noch einmal, dem Hieb auszuweichen. Liz keuchte selbst vor Schmerz, so hart hatte sie getroffen, aber das Mädchen taumelte nur kurz, gab einen fauchenden Laut von sich und griff sofort wieder an. Diesmal hinterließ die Messerklinge eine brennende Schmerzspur auf Liz' Rippen. Sie tat so, als wiche sie weiter zurück, machte dann blitzschnell einen Schritt vor und trat nach Andys Knie. Sie traf. Andy stolperte, wankte ungeschickt an Liz vorüber und kämpfte mit rudernden Armen um ihr Gleichgewicht, und Liz half der Entwicklung mit einem kräftigen Stoß in die Seite nach. Andy fiel. Aber wieder rollte sie herum, so geschmeidig und kraftvoll wie eine Raubkatze, und wieder war sie auf den Beinen, ehe Liz ihren Vorteil ausnutzen konnte. Ihr Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse, einer scheußlichen, jeder Beschreibung spottenden Visage, auf der die dünnen Fäden des Nerven-Netzes pulsierten wie haarfeine blutgefüllte Äderchen. Ihre Augen waren schwarz, matte Knöpfe ohne Pupillen wie Tieraugen, und auch in ihrem Mund war etwas Dunkles, Glänzendes, das sie von innen heraus aufgefressen hatte.