Liz erkannte Ohlsberg, noch bevor er sich zu ihr herumdrehte. Er trug die gleiche, am Kragen und den Ellbogen schon glänzend gewordene schwarze Arbeitsjacke, die er bei ihrem letzten Zusammentreffen angehabt hatte, die gleichen braunen Hosen und schweren geschnürten Arbeitsschuhe - und sie spürte die gleiche, kaum verhohlene Mischung aus Verachtung und Herablassung, mit der er im Dorfkrug mit ihr gesprochen hatte. Diesmal war eine ganz sachte Spur von Unsicherheit dabei. Aber sie begriff rasch, daß dies wohl sehr viel mehr daran lag, daß er nicht mit ihrem plötzlichen Auftauchen gerechnet hatte und sich ertappt fühlte. Es war kein Respekt, und schon gar nicht vor ihr. Nicht einmal so etwas wie ein Ausdruck von schlechtem Gewissen.
Allein diese Erkenntnis reichte, ihre Überraschung unversehens in Wut umschlagen zu lassen. Was, zum Teufel, tat dieser Kerl hier? Mit einer einzigen, sehr heftigen Bewegung trat sie vollends in die Küche hinein und warf die Tür hinter sich zu. Peter sprang erschrocken von seinem Stuhl hoch und erstarrte, als ihn ihr Blick streifte, während Ohlsberg schon wieder so überheblich und gelassen aussah wie immer. Ganz offensichtlich hatte er seine Überraschung bereits überwunden.
Einen Moment lang blieb Liz einfach unter der Tür stehen und starrte ihn an. »Ohlsberg?« sagte sie schließlich. »Sie?« Sie schüttelte den Kopf, blickte noch einmal flüchtig zu Peter hinüber, der noch immer in der schon beinahe grotesken Haltung dastand, in der er erstarrt war, und machte eine herrische Handbewegung, sich zu setzen.
»Frau König.« Ohlsberg deutete ein Nicken an, stand sehr umständlich auf und nahm seine Pfeife aus dem Mund; beides Bewegungen, die dem einzigen Zweck dienten, Zeit zu gewinnen.
»Ich hoffe doch, Sie haben eine einleuchtende Erklärung für Ihr Hier sein, Herr Ohlsberg.« Liz lächelte kalt, wartete aber die Antwort auf ihre Frage nicht ab, sondern ging mit zwei schnellen Schritten zur Anrichte und nahm eine Tasse aus dem Hängeschrank über der Spüle. Ihre Finger zitterte nein ganz kleines bißchen, als sie den Filter von der Kaffeemaschine nahm und die Tasse randvoll goß, aber sie wußte selbst nicht, ob es nun Zorn oder Übermüdung waren, die ihre Bewegungen unsicher werden ließen. Wahrscheinlich beides.
Aber gleich, was es war - als sie sich herumdrehte und Ohlsberg ansah, war nichts mehr davon geblieben. Ihre Hände zitterten kein bißchen, als sie die Kaffeetasse hob und an dem heißen Gebräu nippte.
»Was tun Sie hier, Ohlsberg?« fragte sie. Sie sprach betont ruhig, beinahe schon beiläufig, und trotzdem mußte irgendetwas in ihren Worten sein - vielleicht auch in ihrem Blick, was Ohlsbergs Selbstvertrauen sichtbar erschütterte. Er griff abermals nach seiner Pfeife und nahm einen tiefen, nervösen Zug.
»Ich...«, begann er.
»Ihnen ist zu Ohren gekommen, daß niemand hier ist«, unterbrach ihn Liz, so freundlich, wie sie nur konnte. »Nicht wahr? Und da haben Sie die Gelegenheit ergriffen, ein paar Worte mit Ihrem Spion zu wechseln.« Sie deutete auf Peter, ohne Ohlsberg allerdings auch nur eine halbe Sekunde aus dem Bann ihres Blickes zu entlassen. »Eine günstigere Gelegenheit findet sich sicher nicht, ein bißchen hier herumzuschnüffeln.« Sie lächelte bei diesen Worten, aber sie hörte selbst, wie kalt und herausfordernd ihre Stimme klang. Ohlsberg starrte sie an. Zu ihrer Verwunderung schwieg er, und sie begann sich zu fragen, ob sie nicht einen Fehler begangen hatte, Ohlsberg so direkt und - ja, auch ungeschickt anzugreifen. Sein Blick spiegelte Erstaunen, aber auch jenen bösen, überheblichen Triumph, mit dem er sie schon bei ihrem Streit im Dorfkrug so verletzt hatte. Dann begriff sie: Wenn sie ihn ganz offen beleidigte - nicht daß sie Angst davor hatte -, aber wenn sie es tat, so gab sie ihm Gelegenheit, sich ebenso plump aus der Affäre zu ziehen. Wenn sie eine Chance haben wollte, als Siegerin aus diesem ungleichen Kampf her vorzugehen, dann mußte sie ihn au fein Terrain locken, auf dem sie ihm überlegen war.
Sie nippte erneut an ihrem Kaffee und verzog das Gesicht. »Dieser Kaffee schmeckt scheußlich«, sagte sie. »Wenn ich es nicht besser wüßte, würde ich einen Eid schwören, daß Stefan ihn verbrochen hat. Haben Sie ihn gekocht, Peter?« Peter nickte. Sein Blick flackerte, und sie sah, daß seine Finger sich mit aller Kraft an die Tischkante klammerten, als hätte er Angst, den Halt zu verlieren. Sie trank einen weiteren, winzigen Schluck und schmiegte beide Hände um die schwere Keramiktasse, wie um sich an dem heißen Getränk zu wärmen. Dann sah sie wieder zu Ohlsberg hinüber.
»Tut mir leid, Herr Ohlsberg. Ich war... etwas unhöflich, fürchte ich.«
»Das macht nichts«, antwortete Ohlsberg, in einem Tonfall, der sogar echt klang. Und für einen Moment war es fast, als könnte sie seine Gedanken lesen. Er war echt, begriff Liz plötzlich. Dieses impertinente Arschloch nahm ihr ihre Worte wirklich nicht übel, ganz einfach, weil sie eine Frau war und somit zu einer Untergattung der menschlichen Rasse gehörte, die ihn so wenig beleidigen konnte wie ein Hund oder eine Kakerlake. Ärgern, verletzen und wütend machen sicherlich - aber doch nicht beleidigen. Liz' Hände schlossen sich so fest um die Kaffeetasse, daß das Material hörbar knackte. Eine Woge brennend heißer Wut stieg in ihr hoch. Trotzdem war sie erstaunlich beherrscht, als sie weiter sprach. »Nun, was verschafft uns die Ehre Ihres Besuches, Herr Ohlsberg?«
Ohlsberg antwortete nicht gleich, denn draußen fiel die Haustür ins Schloß, und dann hörte man Stefan auf dem Korridor lautstark rumoren. Ohlsberg blickte fast sehnsüchtig zur Tür.
»Sie müssen nicht auf Stefan warten, um zu antworten«, sagte Liz freundlich. »Ich bin durchaus in der Lage, mich in seiner Abwesenheit halbwegs gebildet zu unterhalten.« Diesmal wirkte Ohlsbergs Lächeln nicht mehr ganz echt. Seine Augen glitzerten, aber sie war sich nicht sicher, ob es Zorn oder Spott war, was sie darin las. »Sie haben vollkommen recht mit Ihrer Vermutung, Frau König«, begann er. »Ich habe gehört, daß Ihr Mann und Sie weggefahren sind, und da wollte ich ein wenig nach dem Rechten sehen.«
Liz blickte auf ihre Armbanduhr.
»Um fünf Uhr morgens?«
Ohlsbergs Lächeln gefror weiter. Er sog an seiner Pfeife, blickte abermals zur Tür und machte eine Bewegung, als wollte er sich herumdrehen und sie kurzerhand stehenlassen. Dann huschte ein Ausdruck von Trotz über seine Züge. Nein - er würde sich ganz gewiß nicht von einer Frau aus dem Haus werfen lassen, und schon gar nicht von ihr.
»Es war nicht besonders klug von Ihnen, Peter gleich in den ersten Tagen mit dem Hof allein zu lassen«, sagte er, wobei er ihre letzten Worte ganz bewußt ignorierte.
»So?« Liz lächelte, hob die Kaffeetasse, führte die Bewegung dann aber nicht zu Ende, sondern setzte den Becher wieder ab und nahm sich Zucker und Milch vom Tisch, um von beidem schiere Unmengen in die bereits halb geleerte Tasse zu kippen. Sie haßte schwarzen Kaffee; aber es gab auch nichts Besseres, um einen klaren Kopf zu bekommen. »Ich hatte den Eindruck, daß er ganz gut allein zurechtkommt«, fuhr sie fort, ohne Ohlsberg dabei auch nur anzusehen. »Das einzige, was er noch lernen muß, ist vielleicht, keine Fremden ins Haus zu lassen, wenn Stefan, und ich nicht da sind.«
Ohlsberg starrte sie an. Seine Augen blitzten, und seine Kiefer preßten sich so fest aufeinander, daß Liz einen Moment lang ernsthaft darauf gefaßt war, ihn das Mundstück seiner Pfeife abbeißen zu sehen. Aber diesen Gefallen tat er ihr dann doch nicht. Und bevor sie zum nächsten Hieb ausholen konnte, ging die Tür auf, und Stefan kam herein.