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Aber sie konnte sich eigentlich nicht vorstellen, daß er jetzt schrieb. Nach allem, was in den letzten Tagen geschehen war, erschien es ihr fast unvorstellbar, daß jemand so etwas Banales tun konnte wie arbeiten.

Stefan telefonierte, als sie ins Zimmer trat. Die Kopfhörer, deren Musik sie draußen auf der Treppe gehört hatte, lagen neben ihm auf dem Schreibtisch. Als sie die Tür hinter sich zuschob, murmelte er ein hastiges »Bis bald«, legte den Hörer auf die Gabel und lächelte ihr zu. Die Schreibmaschine hämmerte noch immer. Es war keine normale Schreibmaschine, sondern einer dieser winzigen Halb-Computer, die Texte speichern und nach Belieben ausdrucken konnten. Stefan gab seine Texte immer recht schlampig ein und verbesserte und korrigierte sie so lange, bis sie seinen Vorstellungen (und denen seines Agenten) von Sauberkeit entsprachen. Im Moment hatte er den Drucker eingeschaltet, obwohl ihn das Hämmern sicher beim Telefonieren gestört hatte, und er machte auch keine Anstalten, das Gerät abzuschalten, als sie an ihm vorbeiging und sich in den einzigen freien Stuhl sinken ließ. Stefans Arbeitszimmer war riesig, verglichen mit dem winzigen Kämmerchen, das er vorher gehabt hatte, aber es gab außer seinem eigenen Stuhl nur eine einzige Sitzgelegenheit - was ganz und gar kein Zufall war. Stefans Arbeitszimmer war ein Sanktuarium, in dem Besucher nicht erwünscht waren; nicht einmal sie.

Manchmal - wie eben jetzt - setzte sie sich über dieses unausgesprochene Verbot hinweg, aber nicht sehr oft.

Sie verbiß sich im letzten Moment die Frage, mit wem er telefoniert hatte; Stefan telefonierte gerne und ausgiebig, aber er wurde ruppig, wenn sie ihn fragte, mit wem er gesprochen hatte und worüber. Meistens erzählte er es ohnehin von sich aus. »Du siehst schrecklich aus«, sagte Stefan nach einer Weile. »Warum gehst du nicht schlafen?« Er sah auf die Uhr. »Der Tag ist ohnehin fast vorbei.«

Liz machte eine Handbewegung, als wollte sie seine Worte beiseite schieben. »Wie kommst du mit deinem Buch voran?« fragte sie.

»Der Roman?« Stefan blickte flüchtig auf den Stapel beschriebenen Papiers, der sich im Auffangkorb seines Druckers angesammelt hatte. »Gut. Ich denke, in zwei, drei Tagen bin ich fertig.« Er lächelte, aber irgend etwas an seiner Freundlichkeit war unecht. Liz glaubte über deutlich etwas Falsches, Heimtückisches hinter seinem Lächeln zu fühlen.Mein Gott, dachte sie, was geschieht mit mir?

Aber sie konnte sich nicht dagegen wehren. Das Gefühl war zu stark. Plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, widerte er sie an. Ein Gefühl des Ab scheues, des Ekels wallte in ihr empor. Seine Worte schienen wie Hohn in ihren Ohren zu klingen, und allein seine Nähe war ihr mit einem Mal fast unerträglich. Sie mußte ihre ganze Willenskraft auf bieten, um nicht auf zuspringen und aus dem Zimmer zu rennen.

Auch Stefan schien die Veränderung zu bemerken. »Was hast du?« fragte er. »Nichts«, sagte sie ausweichend. »Ich ... fühle mich nicht wohl, das ist alles.«

»Na ja, das ist auch nicht weiter verwunderlich«, murmelte Stefan, nachdem er sie eine Weile schweigend beobachtet hatte. »Hast du deine Tabletten genommen?« Sie nickte, hob verlegen die Hand und schüttelte den Kopf.

»Aha«, machte Stefan. »Und was bedeutet das jetzt?«

»Daß ich sie nicht genommen habe, was sonst?« antwortete sie bissig. »Ich brauche keine Tabletten. Schließlich bin ich nicht krank.«

Stefan lächelte resignierend. »Hätte ich mir eigentlich denken können«, murmelte er. »Aber das spielt ja nun auch keine Rolle mehr. Die Hauptsache ist, du fühlst dich besser. Du fühlst dich doch besser, oder?«

»Das weiß ich noch nicht so genau«, gestand Liz, die sich der Tatsache vollkommen bewußt war, daß sie nicht nur leichenblaß sein mußte, sondern auch am ganzen Leib zitterte. Warum, zum Teufel, stellte er solche dummen Fragen? Er wußte ganz genau, was mit ihr los war!

»Es tut mir leid, was heute morgen passiert ist«, sagte er plötzlich. Die Worte kamen so unvermittelt, daß sie einen Moment brauchte, um überhaupt zu begreifen, worüber er sprach. »Du hattest völlig recht, wenigstens, was Peter angeht.« Er lächelte verlegen, als wüßte er nicht genau, wie er fortfahren sollte. Worauf wollte er hinaus? »Ich habe mich vorhin mit ihm unterhalten. Ziemlich lange sogar. Eigentlich ist er ein ganz netter Kerl. Ein wenig verschlossen, aber im Grunde ganz prima. Wußtest du, daßer eine Tochter hat?« Liz sah überrascht auf, nickte. »Das hat er dir erzählt?«

»Warum? Stimmt es nicht?«

»Doch, doch«, sagte Liz hastig. »Ich....wundere mich nur, daß er es dir erzählt hat.«

»Und warum sollte er nicht?« gab Stefan beleidigt zurück. »Du weißt es ja schließlich auch, oder? Du wußtest es sogar vor mir. Ohne es für nötig zu halten, mich darüber zu informieren.«

Liz überging den vorwurfsvollen Ton in seiner Stimme, als hätte sie ihn nicht gehört. »Ich habe den armen Kerl auch ganz schön unter Druck gesetzt, um die Wahrheit aus ihm herauszubekommen«, sagte sie. »Ich bin mir ziemlich mies dabei vorgekommen, wenn ich ehrlich sein soll.«

Stefan grinste. »Das hatte ich gar nicht nötig«, sagte er überlegen.

»So?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein. Wenn sich zwei Männer wirklich verstehen, dann haben sie keine Geheimnisse voreinander.«

»Und gleich wirst du mir erzählen, daß es wahre Liebe sowieso nur unter Männern gibt«, seufzte Liz. »Du bist ganz schön chauvinistisch heute abend.«

»Wieso? Nur weil ich die Wahrheit sage?« Stefan lachte, ließ sich zurück sinken und starrte aus zusammengekniffenen Augen gegen die Decke. »Aber jetzt mal im Ernst, Liebling - warum hast du mir nichts davon gesagt?«

Liz zögerte sekundenlang. Sie war verwirrt. Wieso erwähnte er das Mädchen jetzt? Vorhin, unten im Hof, hatte sie selbst von Andy gesprochen, so unvermittelt, daß sie bis jetzt noch nicht genau wußte, warum sie es eigentlich getan hatte. Und jetzt Stefan... »Ich wollte, daß er es dir selbst erzählt. Ich wäre mir ziemlich gemein vorgekommen, wenn ich ihn verraten hätte.«

»Quatsch. Immerhin leben wir im zwanzigsten Jahrhundert. Es ist kein Kapitalverbrechen, ein uneheliches Kind zu haben.«

»Hier schon«, antwortete Liz kopfschüttelnd. »Es mag zwar das zwanzigste Jahrhundert sein, aber wir sind hier nicht in Frankfurt, sondern im tiefsten Ostfriesland.«

»Und?« witzelte Stefan. »Die Hanseaten sind zwar für ihre Sparsamkeit bekannt, aber so geizig, daß sie selbst an den Jahreszahlen sparen, sind sie nun auch wieder nicht.« Liz blieb ernst. »Immerhin reicht es, um Peter unter Druck zu setzen. Aber das hat er dir nicht erzählt, wie?«

Stefan machte eine wegwerfende Handbewegung. »Es gibt hier keine Geheimnisse«, sagte er achtlos. »Es sei denn, irgend jemand interessiert sich für das Ende meines neuesten Romanes.«

»Wie kommst du damit voran?«

»Gut. Aber du lenkst ab, meine Liebe. Ich möchte im Augenblick nicht über mein neuestes Meisterwerk reden, sondern über Peter und seine Tochter.«

»Weshalb?« fragte Liz verstört. »Hast du plötzlich dein Herz für Kinder entdeckt?«

»Ich überlege, ob wir die Kleine nicht zu uns nehmen sollten.«

Diesmal brauchte Liz Sekunden, um ihre Überraschung zu überwinden. »Du willst - was!« fragte sie verblüfft.

Stefan schlug die Beine übereinander und lehnte sich soweit zurück, daß sein Stuhl bedrohlich zu schwanken begann. »Ich will überhaupt nichts«, sagte er sanft, »Es war nur eine Idee, die mir vorhin gekommen ist. Mehr nicht. Das Haus ist groß genug, und Peter könnte für sich ein oder zwei Zimmer herrichten, wenn wir es ihm gestatten. Und Arbeit ist genug da, auch für eine weitere Person. Weißt du«, fügte er mit einem leisen, entschuldigenden Lächeln hinzu, »wir müßten ihr noch nicht einmal etwas zahlen. Die Idee gefällt mir immer besser: Peter wäre glücklich, seine Tochter bei sich zu haben, die Kleine käme dorthin, wo sie hingehört, Ohlsberg hätte nichts mehr, womit er den armen Kerl unter Druck setzen könnte, und du hättest eine weitere Hilfe. Und Gesellschaft.«