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»Er war hier«, sagte Liz stockend. »Er war draußen, bei der Ruine. Vorhin.«

»Er war was!« Er ließ ihre Schultern los, drehte sie mit sanfter Gewalt herum und sah ihr ernst in die Augen. »Hierbei uns? Auf dem Hof?«

Liz nickte. Sie sah die Gestalt noch einmal vor sich, deutlich und klar. Die kräftigen Hände, die breiten Schultern, die großen, dunklen Augen... Es gab keinen Zweifel. Es war Ohlsberg gewesen.

»Ich habe ihn gesehen«, sagte sie. »Einen Moment nur, aber ich bin ganz sicher. Er war wieder hier. Er... er spioniert uns nach, Stefan. Ich habe Angst vor ihm.«

»Wann?« schnappte Stefan. Plötzlich klang seine Stimme lauernd. »Wann genau hast du ihn gesehen?«

»Jetzt. Vor zehn Minuten.«

»Und - du bist ganz sicher?« fragte er, In seinen Augen lag plötzlich ein seltsamer, schwer zu deutender Ausdruck.

»Ich bin sicher.« Verdammt, was sollte diese Frage?

Stefan zögerte. Liz spürte, wie schwer es ihm fiel, auf ihre Frage zu antworten. Schließlich deutete er auf das Telefon.

»Du erinnerst dich, daß ich telefoniert habe, als du hereingekommen bist?«

»Und? Worauf willst du hinaus?« Sie verstand nicht, was der lauernde Unterton in seiner Stimme bedeutete, aber sie fühlte eine immer stärker werdende Beunruhigung. In seinem Blick war etwas, das ...

»Ich habe mit Ohlsberg gesprochen«, sagte Stefan ruhig. »Ich habe ihn angerufen. In Schwarzenmoor angerufen, Liz. Und wir haben fast eine Viertelstunde miteinander geredet. Er kann nicht hier draußen gewesen sein.«

»Du hast...«

»Ich habe mit ihm gesprochen. Jetzt gerade.« Stefan deutete auf das Telefon. »Ich habe ihn angerufen, Liz, nicht er mich. Er kann nicht hier gewesen sein.« Er seufzte. »Was immer du gesehen hast - Ohlsberg war es jedenfalls nicht.«

21.

In dieser Nacht hatte sie wieder einen Alptraum. Nach allem, was geschehen war, war dies nicht weiter erstaunlich, und es war auch nicht jener schreckliche Nachtmahr, mit dem die entsetzliche Entwicklung begonnen hatte, sonder nein ganz normaler Alptraum - aber er war schlimm genug. Als sie aufwachte, schweißgebadet und mit klopfendem Herzen, konnte sie sich nicht mehr an Einzelheiten erinnern, aber ihr Herz raste, und auf ihrer Zunge lag der süßliche Geschmack von Angst. Bilder wirbelten in heillosem Chaos hinter ihrer Stirn durcheinander. Der Traum hatte irgendetwas mit Wald zu tun gehabt - mit dem gleichen Wald, durch den sie vorgestern abend (war das alles wirklich erst zwei Tage her?!) wie eine Wahnsinnige gerast war.

In ihrem Traum war sie gelaufen, an so viel konnte sie sich erinnern, und die Bäume und Sträucher hatten die Umrisse von häßlichen Gnomen gehabt, hatten eine einzige, ineinander verwobene Masse gebildet und mit dornigen, stechenden Ästen und Zweigen nach ihr gegriffen. Dann war Ohlsberg zwischen den Bäumen erschienen, aber ein Ohlsberg, de raus Lehm und Schmutz und halb verfaulten Pflanzenteilen bestanden hatte. Er hatte irgend etwas gesagt, was sie nicht verstand, und er war auf sie zu getreten; seine entsetzlichen Pflanzenhände hatten sich nach ihr ausgestreckt, und dann hatte sich sein Mund geöffnet, aber keine Worte waren herausgekommen, sondern ein entsetzliches, feuchtes Blubbern und Würgen, ein Laut wie von etwas Großem, Nassem, das sich durch halb erstarrten Morast bewegte. - und in diesem Moment war sie erwacht.

Sie wälzte sich eine Zeit lang unruhig herum, ohne wieder einschlafen zu können, hob schließlich den Arm ins Mond licht und entzifferte mühsam die Anzeige ihrer Armbanduhr. Es war kurz nach drei - selbst für eine Frühaufsteherin wie sie eine mörderische Zeit, vor allem nach einer Nacht und zwei Tagen ohne Schlaf, dafür aber mit einer dreifachen Portion Streß und ein bißchen Terror als Zugabe.

Aber sie wußte, daß sie keinen Schlaf mehr finden würde, so dringend sie ihn auch nötig hatte, und so sehr sie sich auch danach sehnte. Etwas in ihr sträubte sich dagegen, wieder einzuschlafen, vielleicht, weil es Angst davor hatte, daß der Alptraum weitergehen könnte.

Nach einer Weile gab sie auf - schon um Stefan nicht durch ihr unruhiges Hin- und Her wälzen zu wecken - und schlich auf Zehenspitzen zum Fenster, ohne jedoch Licht zumachen. Vielleicht würde die frische Luft helfen, den dumpfen Druck aus ihrem Kopf zu vertreiben.

Sie öffnete lautlos das Fenster, stieß die Läden auf und atmete tief ein. Der Mond hing über dem Wald, eine runde, silberne Scheibe, der nur noch ein schmaler, schattiger Streifen an der Vollkommenheit fehlte. Morgen oder übermorgen würde Vollmond sein. Etwas an diesem Gedanken beunruhigte sie; sehr viel mehr, als sie zuzugeben bereit war. Und die Luft war nicht frisch.

Sie war kühl, aber sie hatte einen schalen, beinahe ... ja, beinahe widerlichen Geschmack, den sie nicht definieren konnte, ganz leicht nur, aber durchdringend, penetrant.

Unten im Hof begann Carry zu jaulen. Der Hund hatte sich längst wieder beruhigt, aber er war weiterhin reizbar und aggressiv geblieben. Er hatte sogar nach Stefan geschnappt, etwas, das noch nie vorgekommen war.

Sie stützte die Ellbogen auf das Fenstersims, lehnte sich weit hinaus und verdrehte sich fast den Hals, um die flache Hütte sehen zu können. Carry war herausgekommen, trotz der Kühle der Nacht, und jetzt heulte er den Mond an. Sie mußte unwillkürlich lächeln. Hunde, die den Vollmond anheulen, hatten bisher für sie immer in das Reich sentimentaler Märchen gehört. Aber vieles von dem, was sie während der letzten Tage erlebt hatte, gehörte eigentlich nicht ins Reich der Realität. Und sehr wenig davon war so harmlos wie ein Hund, der den Mond verbellte.

Ein Windstoß fegte über den Hof und brachte einen neuen Schwall dieses süßlichen, ekelerregenden Geschmacks mit sich. Er war jetzt sehr viel intensiver. Sie verzog das Gesicht und blinzelte aus zusammengekniffenen Augen nach Westen.

Was sie sah, ließ sie erstarren.

Sie kannte den Ausblick aus diesem Fenster.

Sechs Monate lang war sie jeden Morgen aufgestanden und ans Fenster getreten, ganz egal ob es regnete, schneite oder die Sonne schien, um das herrliche Panorama zu betrachten, bis sie es so gut kannte, daß sie es mit geschlossenen Augen hätte malen können.

Aber das Bild hätte nicht das gezeigt, was sie jetzt sah.

Im ersten Moment fiel es ihr schwer, die Veränderung in Worte zu fassen. Nichts war wirklich anders, nicht in dem Sinn, in dem man das Wort normalerweise benutzt. Der Wald war immer noch da, eine ungleichmäßige Reihe schweigender Riesen, die sich über den Horizont zum Schlaf ausgestreckt hatten, seine Wipfel in sanften Wellen wie ein grünes, mitten in der Bewegung erstarrtes Meer gegen den Himmel anrollend, davor die Wiese, die den Waldrand vom Hof trennte. Ein flaches Gemälde in Silber und Schwarz und allen nur denkbaren Grau- und Blau tönen, durchdrungen von diesem entsetzlichen süßlichen Gestank, der jetzt so intensiv war, daß sie sich für einen Moment wirklich fast einbildete, ihn sehen zu können.

Die Aussicht war unverändert, und doch stimmte sie nicht. Irgend etwas war da, störte den Gesamteindruck, die Vertrautheit des Bildes. Es war, als verberge sich hinter den bekannten Konturen die Ahnung von etwas unglaublich Bösem, Fremdartigem, als wäre die Schönheit dieses Landstriches zu einer häßlichen Karikatur ihrer selbst pervertiert. Die Spitzen der Blautannen dort draußen schienen sich in häßliche, gratige Spieße verwandelt zu haben, gefährliche Felsdolche, die den tief hängenden Himmel aufschlitzen wollten, und die Wiese hatte ihr samt weiches Gras gegen einen Teppich harter, schimmernder Glassplitter getauscht. Das Bild strahlte eine körperlich spürbare Lebensfeindlichkeit aus, eine aktive Verneinung all dessen, was die Schönheit dieses Landes ausmachte. Und der Umstand, daß sich eigentlich nichts verändert hatte, daß Formen und Farben - für sich betrachtet - so waren wie eh und je, machte alles nur noch schlimmer.