O ja, dachte sie erneut, du kannst deinen Krieg haben, Ohlsberg. Du kannst ihn haben. Liz kicherte betrunken. Die Vorstellung, daß es wirklich so etwas wie einen Krieg zwischen ihnen werden würde, gefiel ihr - Ohlsberg mit seinem ostfriesischen Dickkopf auf der einen Seite, wie ein schnaubender Stier, der nur dar aufwartete, sie einfach niederzuwalzen, und Liz, ein rotes Tuch schwenkend, hinter dem sich der tödliche Degen verbarg, auf der anderen. Sie war nicht hundertprozentig davon überzeugt, zu gewinnen, aber sie rechnete sich gute Chancen aus. Und Angriff, entschied sie, war wohl in diesem Fall die beste Verteidigung - oder auch nicht. Möglicherweise war es gerade das Falscheste, was sie tun konnte - aber es war auch das einzige, was ihr im Moment blieb. Die beiden anderen Möglichkeiten - nämlich die, entweder gar nichts zu unternehmen und so zu tun, als wäre nichts geschehen, oder (was Stefan trotz allem sicher am liebsten gesehen hätte) sich gar bei Ohlsberg zu entschuldigen - erschienen ihr beide im gleichen Maße unmöglich. Er hatte weitaus mehr getan, als Peter hinter ihrem und Stefans Rücken ein paar Fragen zustellen. Er hatte ihr Vertrauen mißbraucht, sie betrogen und völlig grundlos angegriffen.
Aber sie würde es ihm heimzahlen.
Liz kicherte erneut. Sie wußte, daß sie betrunken war und daß sie die Dinge ein wenig kühler sehen würde, wenn die Wirkung des Alkohols erst einmal nachließ. Aber nur ein wenig. Der Krieg war unvermeidlich, und er würde lange dauern und sehr hart werden. Aber sie hatte eine gute Chance, ihn zu gewinnen.
Und sie wußte auch schon, wie.
Sie war schon halb auf dem Weg zur Tür gewesen, aber jetzt blieb sie doch noch einmal stehen, ging nach kurzem Zögern zur Bar zurück und goß sich einen weiteren Drin kein - diesmal allerdings einen von normaler Größe. Sie mußte wohl doch schon betrunkener sein, als sie selbst gemerkt hatte, denn sie schüttete weit mehr Whisky auf den Teppich als in ihr Glas. Ihre Hände zitterten, und die ungeschickt mit einem Spültuch umwickelte Rechte behinderte sie zusätzlich.
Sehr vorsichtig stellte sie die Flasche zurück, schloß die Bar und trat ans Fenster. Es war sehr still. Der Plattenspieler lief noch, und das Eis in ihrem Glas klirrte leise, und trotzdem war es still; auf eine schwer in Worte zu fassende, unheimliche Weise. Es war... Ja, dachte sie schaudernd - es war nicht nur Stille, nicht nur die bloße Abwesenheit von Lauten, sondern das Gegenteil, die Anwesenheit von etwas anderem, etwas, das so fremd und mächtig war, daß selbst die Stimme der Natur erlosch, wo es sich ausbreitete. Und trotzdem - sie hatte überhaupt keine Angst mehr. Dabei spürte sie ganz genau, daß hier irgend etwas nicht mit rechten Dingen zuging.
Vielleicht lag es einfach daran, daß sie ihren wirklichen Gegner jetzt erkannt hatte. Möglicherweise war Ohlsberg nur ein Werkzeug dieses DINGs draußen im See, aber sie wußte einfach, daß sie ihn besiegen mußte, wollte sie jemals Ruhe haben. Mit ihrer Rückkehr hierher war etwas geschehen: Ihr Kampf war in eine andere Phase getreten, hatte eine andere, sehr viel direktere Qualität angenommen - sie stand jetzt nicht mehr gegen irgendwelche körperlosen Gespenster, sondern gegen einen höchst realen Gegner. Und irgendwie spürte sie, daß sie gar keine andere Wahl hatte.
Wenn sie und Stefan hier draußen leben und glücklich sein wollten, dann mußte sie diesen Kampf durchstehen. Ohlsberg hatte ihr den Fehdehandschuh ins Gesicht geworfen, als er Peter auf dem Hof eingeschleust hatte, und nun lag es an ihr, sich zu ducken oder zurück zuschlagen. Vielleicht benutzte sie Peter und seine Tochter dabei, aber wenn, dann geschah es nur zu ihrer beider Bestem.
Wenigstens redete sie sich das mit aller Macht ein.
Aber es blieb dabei, so erstaunlich es ihr selbst erschien: Sie hatte keine Angst mehr, und es war ganz und gar nicht der Alkohol, der sie mutig machte. Jetzt, als sie ihren Feind so zweifelsfrei erkannt hatte, fühlte sie sich im Gegenteil fast unbesiegbar, der Panik der letzten Tage folgte ein Gefühl von Stärke und Überlegenheit, das beinahe an Euphorie grenzte.
Sie zog die Gardine zurück und sah aus dem Fenster. Natürlich konnte sie das Gesindehaus von hier aus nicht erkennen - es lag auf der anderen Seite des Hofes -, aber etwas von den wog enden Schatten und dem Fremden, das sie gespürt hatte, war noch immer da, sie konnte den Wald sehen, der wie eine schwarze Mauer da lag. Die Nacht umgab den Hof wie eine Faust aus Schatten, aber anders als bisher war es eine beschützende Faust. Der Gedanke, daß sie einmal Angst vor diesem Wald da drüben gehabt hatte, erschien ihr plötzlich lächerlich. Möglicherweise waren dieser Wald und dieses Haus irgendwie verzaubert, aber sie standen eindeutig auf ihrer Seite - betrunken wie sie war, wunderte sie sich, daß sie es nicht schon gestern morgen begriffen hatte; spätestens in dem Moment, in dem sie Ohlsberg hier angetroffen hatte. Die Gefahr, der Feind, gegen die das Haus sie zur Hilfe gerufen hatte, war er gewesen. Und wenn ein gemeinsamer Feind sie nicht zu Verbündeten machte, was dann? Liz lächelte, als sie begriff, daß sie von diesem Haus schon wie von einem lebenden Wesen zu denken begann. Sie nippte an ihrem Glas, seufzte hörbar und stellte es vorsichtig aus der Hand. Allmählich hatte sie wirklich genug getrunken. Eigentlich schon ein bißchen zu viel.
Sie war sehr guter Laune, als sie ins Schlafzimmer zurückging.
23.
Peter ging ihnen auch am nächsten Morgen noch aus dem Weg. Sein Platz am Frühstückstisch, den sie für ihn gedeckt hatte, blieb leer, und Stefan antwortete auf ihre entsprechende Frage nur mit einem Achselzucken und einem in-den-Bart-gemurmelten-irgend-etwas. Er war brummig und schlechter Laune wie fast jeden Morgen, und Liz war ihm nicht besonders gram, als er nach kaum zehn Minuten aufstand und in sein Zimmer hinauf schlurfte. Manchmal war es etwas stressig, mit einem Morgenmuffel verheiratet zu sein.
An diesem Tag jedoch empfand sie es eher als angenehm,nicht mit ihm reden zu müssen. Sie hatte das sehr sichere Gefühl, daß Stefan alles andere als einverstanden gewesen wäre, hätte er ihren Plan gekannt, unbeschadet dessen, was er gestern selbst gesagt hatte. Und sie hatte das fast ebenso sichere Gefühl, daß es vielleicht besser wäre, noch einen weiteren Tag mit seiner Realisierung zu warten - sie war übermüdet, überreizt und verkatert, alles in allem keine besonders gute Voraussetzung, zum Gegenangriff anzusetzen.
Aber sie wußte auch ebenso sicher, daß sie es wahrscheinlich gar nicht tun würde, wenn nicht heute.
Sie wartete, bis sie sicher war, daß Stefan in seinem Arbeitszimmer angelangt war und auch für die nächsten Stunden nicht herauskommen würde, dann schüttete sie den Rest ihres längst kalt gewordenen Kaffees hinunter, ging ins Wohnzimmer und nahm das Telefonbuch von Hamburg aus der Schublade.
Eine dreiviertel Stunde, vier Telefonate und eine halbe Schachtel Zigaretten später verließ sie das Haus und ging in die Scheune hinüber, um Peter zu suchen. Wie immer, wenn sie ihm nichts Dringenderes aufgetragen hatte, arbeitete er an dem alten Traktor. Es war unschwer zu erkennen, daß er Spaß an dem rostzerfressenen Gefährt gefunden hatte. Vielleicht weil es das erste Mal war, daß er etwas ganz allein tun durfte, überlegte Liz, nur für sich und ohne daß ihm jemand jeden Handgriff vor schrieb.
Ganz flüchtig mußte sie lächeln. Peter war noch keine Woche auf dem Hof, aber sie dachte schon so selbstverständlich an ihn, als wäre er seit Ewigkeiten hier. Ein gutes Zeichen.