Выбрать главу

»Wozu ist es schon zu spät?« fragte Liz heftig. »Zum Teufel noch mal, Stefanie, beruhigen Sie sich!«

Aber Stefanie beruhigte sich nicht. Im Gegenteil. Ihre Stimme klang ganz hysterisch, sie schrie fast, aber im gleichen Maße wurden auch die Störgeräusche stärker, so daß Liz trotz allem nur Bruchstücke verstand. »... nur noch drei Tage. Sie müssen...« KLACK.

Die Leitung war tot, Stefanies Stimme, die Störgeräusche, alles verschwunden, von einer Sekunde auf die andere. Aus der Leitung drang nur noch monotones statisches Summen.

Ein paar Sekunden lang blickte Liz den Hörer verwirrt an, dann drückte sie die Gabel herunter, zwei-, drei-, viermal hintereinander, bis ihr die Sinnlosigkeit ihres Tuns bewußt wurde und sie einhängte. Als sie sich aufrichtete, fiel ihr Blick auf die Uhr. Die Zeiger hatten sich vereinigt. Es war Mitternacht.

Und draußen auf dem Hof begann Carry wahnsinnig zu bellen.

30.

Was geschieht mit mir? dachte sie entsetzt. Großer Gott, was ging hier vor? Was tat man ihr an?! Ihre Hände zitterten. Sie merkte erst, daß sie den Telefonhörer wieder abgenommen hatte, als sie sich herumdrehte und der Apparat scheppernd von seinem Tischchen herunter fiel; der lang gezogene Ton des Freizeichens erlosch und machte einem entnervenden Tuut-tuut Platz. Liz schrie auf, riß den Apparat vom Boden hoch und rammte den Hörer so heftig auf die Gabel, daß sie glaubte, der Apparat müsse zerbrechen. Sie fuhr herum, raste mit zwei, drei weit ausgreifenden Schritten zur Tür - und blieb wieder stehen.

Sie konnte nicht hinaus. Sie konnte nicht hinaus, diesen Raum nicht verlassen, nicht jetzt, nicht jetzt. Es war Mitternacht, die Stunde zwischen zwölf und eins, die Stunde, die den Geistern gehörte, den Nachtmahren und bösem Spuk, und wenn sie dieses Zimmer verließ, das ihre Festung war, würden sie auf sie warten, mit gierig ausgestreckten dreizehn fingrigen Krallen nach ihr greifen, Monster, die der Wald aus gespien hatte, die ...

Ihre Gedanken begannen sich zu verwirren. Sie keuchte, taumelte rücklings durch das Zimmer und fiel der Länge nach über den Telefontisch. Der Apparat fiel ein zweites Mal zu Boden, die Glasplatte des kleinen Tischchens zerbrach mit einem Klirren, das überlaut in ihren Ohren schrillte, und ein neuerlicher, scharfer Schmerz fuhr wie ein Messer durch ihre rechte Hand.

Es war dieser Schmerz, der sie halbwegs in die Wirklichkeit zurück brachte. Das Entsetzen hielt sie noch immer mit eisigen Klauen gepackt, aber sie war sich ihrer Lage jetzt wenigstens wieder bewußt und halbwegs zum Denken fähig. Sie mußte etwas tun.

Stefanie. Ihr Anruf. Ihre Worte: Nur noch drei Tage. Was, zur Hölle, bedeuteten sie? Nur noch drei Tage bis wann!Ganz automatisch suchte ihr Blick den Kalender, der neben der Tür an der Wand hing. Heute war der zweite Juni - nein, der dritte, denn es war ja schon nach Mitternacht -, und in drei Tagen war der sechste? Und? Was bedeutete das alles?! Was war am sechsten Juni? Vollmond?

Sie fuhr hoch, stürzte abermals auf die Knie herab und zerschnitt sich nun auch noch die linke Hand an einem der scharfkantigen Glassplitter, die den Teppich bedeckten. Leise, sinnlose Schreie ausstoßend, taumelte sie zur Tür, prallte wieder zurück, wie ein gefangenes Tier, das in Panik geriet - und fand endlich wieder zu sich selbst zurück.

Sie war in Sicherheit. Solange sie diesen Raum nicht verließ, nicht aus dem Haus ging (nein - nicht auf den Korridor ging, denn dort war etwas, sie wußte nicht, was, aber es hatte irgend etwas mit einer Tür zu tun und mit Peter, so sinnlos dieser Zusammenhang schien), solange sie nicht aus dem Zimmer ging, war sie in Sicherheit. Drei Tage...

Drei Tage bis wann?

Keuchend blieb sie stehen, fuhr sich mit beiden Händen durch das Gesicht und fühlte warmes, klebriges Blut auf der Haut. Als sie die Arme her unternahm und ihre Hände betrachtete, sah sie die blutende Schnittwunde, die ihre Linke verunzierte. Sie biß die Zähne zusammen, sah sich nach etwas um, was sie als Verband benutzen konnte, und ging schließlich zur Bar, um eine der Papierservietten herauszunehmen, ehe sieden Teppich vollends versaute. Sie betete, daß Stefan herunterkommen würde. Gleichzeitig hatte sie Angst davor. Angst vor den Fragen, die er stellen würde. Oder vielleicht gerade davor, daß er keine Fragen stellte - es blieb sich gleich.

Der Schmerz in ihrer Hand wurde zu einem wütenden Pochen, als sie ungeschickt daranging, die Wunde zu säubern. Sie war nicht sehr tief, blutete aber stark und tat gemein weh; möglicherweise würde sie sich entzünden.

Da sie nichts anderes hatte, entkorkte sie ungeschickt eine Whiskyflasche, goß sich etwas von der dunkelbraunen, scharf riechenden Flüssigkeit über die Hand und sog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein, als der Schmerz zu jäher Glut aufflammte. Sie hatte keine Ahnung, ob der Alkohol gegen irgendwelche Entzündungskeime half, aber es war wahrscheinlich besser als nichts. Ehe sie die Flasche zurückstellte, nahm sie selbst noch einen kräftigen Schluck - mit dem Ergebnis, daß sie zuerst einen fürchterlichen Hustenanfall bekam und sich anschließend beinahe übergeben mußte, ehe es ihr gelang, den Mund voll hochprozentigen Schnaps herunterzuwürgen. Zum Teufel - das half anscheinend auch nur in Filmen!

Aber immerhin war sie ein ganz kleines bißchen ruhiger, als sie die Flasche zurückstellte und sich herumdrehte. Ihr Herz jagte noch immer, und hinter ihrer Stirn schlugen ihre Gedanken Purzelbäume, aber das Zimmer war von einer beruhigenden Normalität, sah sie von dem zerbrochenen Tischchen und dem völlig verdreckten Teppichboden ab ...

Draußen auf dem Hof bellte Carry noch immer, aber es war jetzt nur noch ein ganz normales Bellen, nicht mehr dieses hysterische Kreischen, das zu einem Gutteil mit schuld an ihrem Beinahe-Zusammenbruch gewesen war. Und während sie lauschte, wurde es leiser und verklang schließlich ganz, als hätte sich das, was der Hund da verbellt hatte, jetzt wieder zurückgezogen. Der Angriff war gescheitert, der Feind zog seine Truppen zurück... es wäre wohl zu schön, um wahr zu sein.

Sie sah auf die Uhr. Nach ihrem Gefühl hatte es Stunden gedauert, aber die Wanduhr behauptete stur, daß seit jenem abrupt unterbrochenen Gespräch noch nicht einmal fünf Minuten vergangen waren, und sie mußte es wohl oder übel glauben. Fünf Minuten - das hieß noch fünfundfünfzig Minuten Geisterstunde, fünfundfünfzig Ewigkeiten, die der Banshee und der Moorhexe gehörten... und die sie in diesem Zimmer eingesperrt war. Fünfundfünfzig Minuten und drei Tage, bis...

Verdammt, bis was!

Sie mußte Stefanie erreichen. Hysterikerin oder nicht, sie mußte wissen, was sie gemeint hatte, und sei es nur, um sich davon zu überzeugen, daß die Kleine wirklich den gehörigen Knall hatte, den sie vermutete.

Sie hob das Telefon auf und hatte bereits die Vorwahl von Hamburg in das Tastenfeld getippt, ehe ihr einfiel, daß sie Stefanies Nummer ja gar nicht kannte - weder sie noch ihren Familiennamen. Enttäuscht ließ sie den Hörer wieder sinken, setzte sich zitternd auf die Couch und versuchte sich einzureden, daß sie nun dabei war, etwas ziemlich Dummes zu tun.

Aber es half nicht - sie mußte einfach wissen, was Stefanie sagen wollte, ehe sie unterbrochen wurden. Und sie wußte auch schon, wie.

Mit ganz bewußt langsamen, bedächtigen Bewegungen ließ sie sich zurück sinken, plazierte das Telefon auf ihren Knien und wählte Gabis Nummer. Es war nach Mitternacht, aber wahrscheinlich waren die beiden sowieso noch wach. Sie konnte sich nicht erinnern, daß Rainer und Gabi jemals vor zwei Uhr morgens schlafen gegangen waren. Und wenn doch - nun, das kam eben dabei heraus, wenn man sich verrückte Freunde suchte. Irgendeine fadenscheinige Erklärung würde sie schon finden, daß Gabi hin unterging und Stefanie an den Apparat holte.