Liz schrie auf, krümmte sich zusammen und verbarg das Gesicht zwischen den Händen.
Jemand berührte sie vorsichtig an der Schulter. Sie schrie auf, schlug instinktiv nach der Hand und prallte zurück.
»Ma'am, ich...«
»Peter!« keuchte sie erleichtert. »Sie sind es!« Heyning nickte. Er versuchte zu lächeln, aber seine Augen blieben ernst und, wie immer, ein bißchen traurig.
»Verzeihen Sie«, murmelte Liz verstört. »Ich wußte nicht, daß Sie es sind. Ich dachte ...« Sie brach verstört ab, sah in sein Gesicht, dann in das des Mädchens. »Sie haben sehr viel Angst, nicht?« sagte Peter plötzlich. Die unerwartete Intimität dieser Frage erschreckte sie, aber nicht nur sie - Peter klang mit einem Mal ganz anders als gewohnt. Liz sah auf, versuchte vergeblich, seinem Blick standzuhalten, und starrte dann zu Boden.
»Nein«, sagte sie kopfschüttelnd. »Das heißt... ja...ich... ich bin... nervös.« Sie stand auf, blieb drei, vier Sekunden lang unsicher stehen und ging dann mit raschen Schritten zur Bar. Ihre Hände zitterten sichtlich, als sie ein Glas vom Regal nahm und es zur Hälfte mit Brandy füllte. Sie sollte nicht trinken. Gott allein - und vielleicht nicht einmal er - wußte, was Swensons Droge zusammen mit dem Alkohol anrichten mochte. Aber sie wollte trinken. Es war ihr egal, ob sie sich damit um brachte. »Möchten... Sie auch etwas trinken?«
Heyning schüttelte den Kopf.
»Stellen Sie sich nicht an«, erwiderte Liz. Sie nahm ein zweites Glas, goß ein und hielt es Heyning auffordernd hin.
»Kommen Sie, Peter. In Gesellschaft schmeckt es besser.«
Er zögerte immer noch, trat dann aber gehorsam nähe rund nahm das Glas aus ihrer Hand entgegen. Er drehte es unschlüssig in den Fingern, machte jedoch keine Anstalten zu trinken.
Liz nippte an ihrem Brandy und lehnte sich gegen den Kaminsims. Ihr Blick glitt an Andy vorbei aus dem Fenster, tastete über den Hof, die Ruine... Sie konnte das Gebäude auch von hier aus deutlich sehen. Eigentlich gab es auf dem ganzen Anwesen keine Stelle, von der aus man es nicht sehen konnte, dachte sie. Irgendwie schien dieses schwarze, drohende Gerippe den gesamten Hof zu beherrschen.
»Geht es Ihnen... besser?« fragte Peter stockend.
Sie trank erneut an ihrem Glas und rang sich ein halbwegs gelungenes Lächeln ab. »Hatten Sie den Eindruck, daß es mir schlecht ging?« fragte sie.
Heyning wirkte verunsichert. »Ich ...«, stotterte er, trank dann doch an seinem Glas und hustete; länger und lauter, als nötig gewesen wäre.
»Hören Sie, Peter«, sagte sie ruhig. »Ich will Sie nicht in Verlegenheit bringen oder meine üblen Launen an Ihnen auslassen. Aber wir müssen einmal miteinander reden.« Warum jetzt? Warum nicht jetzt?! »Ich... wüßte nicht, worüber, und...«, stammelte Peter ausweichend. »Doch, Sie wissen es.«
»Bitte, Ma'am, ich ...«
»Peter, bitte«, unterbrach ihn Liz erneut. Mit einem Mal war sie ganz ruhig. Die Droge. Sie lachte lustlos. Stefan und dieser idiotische Arzt hatten ihr einen Gefallen getan, ohne es zu ahnen. Was sie willenlos hatte machen sollen, schützte sie jetzt. Sie mußte die Zeit nutzen, die ihr blieb. Sie sah zum Fenster, dann auf die Uhr. Sie hatte nicht mehr viel Zeit, wenn sie die Verabredung mit Ohlsberg einhalten wollte. Und bei Gott, das würde sie. »Es hat doch keinen Sinn, drumherum zu reden. Sie wissen, was hier los ist, und ich weiß es auch. In den letzten Tagen habe ich das Gefühl, langsam verrückt zu werden. Aber ich weiß, daß es nicht so ist. Irgend etwas geht hier vor, und ich will wissen, was.«
Peter wand sich, als hätte sie ihn getreten. Er spielte nervös mit seinem Glas, trat unruhig auf der Stelle und sah immer wieder zu Andy hinüber.
»Wir können woanders hingehen, wenn Sie nicht in Gegenwart des Mädchens reden wollen, Peter«, sagte Liz.
»Es ... es geht nicht um Andy«, antwortete Peter, ohne sie anzusehen. »Ich weiß wirklich nicht, was Sie von mir wollen, Ma'am, und...«
»Doch, das wissen Sie!« fiel ihm Liz scharf ins Wort. »Alles hat mit diesem verdammten Haus dort draußen angefangen. Ich will wissen, welches Geheimnis diese Ruine verbirgt. Und Sie können es mir sagen.«
»Das kann ich nicht, Ma'am«, antwortete Peter gequält.
»Können Sie nicht, oder wollen Sie nicht?«
»Ich kann es nicht, Ma'am, wirklich. Ich... ich weiß nichts über ... über dieses Haus. Nicht viel...«
»Dann erzählen Sie mir das Wenige, was Sie wissen«, verlangte Liz. »Bitte, Peter«, fügte sie etwas sanfter hinzu. »Ich will nicht verrückt werden. Und ich will auch nicht, daß Sie oder dieser sogenannte Arzt oder vielleicht mein eigener Mann glauben, ich wäre verrückt.« Daß es ihnen noch leichter fiel, sie verrückt zu machen. »Sagen Sie mir, was Sie wissen. Auch wenn es Ihnen unwichtig vorkommt. Was geschah mit diesem Haus?«
Peter schwieg eine ganze Weile. Dann wandte er sich um, trat auf Andy zu und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Das Mädchen nickte und verließ mit eiligen Schritten das Zimmer. Liz spürte eine echte körperliche Erleichterung, als Andy fort war. Plötzlich verstand sie, was Stefan mit negativem Feedback gemeint hatte. Nur zu gut. »Es ist... blanker Unsinn, was ich gehört habe«, erklärte er, nachdem sie allein waren. »Sie werden mich auslachen, Ma'am.«
»Bestimmt nicht«, versicherte Liz. Sie deutete nach draußen. »Nach dem, was hier passiert ist, glaube ich alles.« Sie merkte, daß ihr Glas bereits wieder leer war, schenkte es voll und ging zur Couch zurück. Wieder fiel ihr Blick auf die schwarze Ruine vor dem Fenster. Sie fror.
»Ich weiß nicht, ob alles so stimmt, wie ich es gehört habe«, begann Peter. »Wissen Sie, Ma'am, da, wo ich vorher gelebt habe, da habe ich nie viel von anderen Leuten, gesehen. Ich war immer nur auf dem Hof, und...«.
»Erzählen Sie einfach, was Sie wissen«, sagte Liz noch einmal. Die Wirkung der Droge war verflogen; vielleicht hatte der Alkohol sie neutralisiert, vielleicht hatte Swenson auch wirklich die Wahrheit gesagt, und es war nur ein harmloses Beruhigungsmittel.
Peter nickte, aber obwohl er sich Mühe gab, sich nichts anmerken zu lassen, spürte sie, wie nervös er plötzlich war. Wie viel Angst er hatte. Es gab Dinge, über die sprach man nicht.
»Bevor ...«, begann er stockend, »bevor Sie und Ihr Mann kamen, Ma'am, waren schon... andere Leute hier.«
Liz nickte. »Ich weiß. Sie haben angefangen, diese Bruchbude zu renovieren. Sie müssen eine Menge Geld hineinsteckt haben. Ich habe mich immer gefragt, warum sie einfach alles aufgegeben haben und fortgegangen sind.«
»Niemand weiß das genau, Ma'am«, antwortete Peter.
»Sie... sie sind einfach weggezogen, ohne Vorbereitung. Es ... es heißt, daß dieser Hof nicht für Fremde ist. Ein ...«, er lachte nervös, aber es wirkte unecht, »ein Fluch soll auf ihm liegen, erzählen die Leute.«
»Die Banshee.« Sie versuchte zu lachen, um ihren Worten etwas von ihrer Schärfe zu nehmen, aber es mißlang.
»So etwas gibt es nicht«, widersprach Peter, eine Spur zu heftig, wie sie fand. »Sind Sie sicher?«
Er antwortete nicht, aber sein Blick sprach Bände.
»Und vorher?« fragte Liz nach einer Weile, als klar wurde, daß er nicht von selbst antworten würde. »Was war vorher mit dem Hof. Bevor diese... Leute kamen?«
»Er stand leer«, antwortete Peter. »Er stand lange Zeit leer.«
»Seit dem Brand.«
Peter nickte. »Ja. Aber ich weiß nicht genau, was damals ... geschehen ist. Ich war noch ein kleines Kind, als es geschah, und...«
»Als was geschah?«
Wieder schwieg Peter für lange, endlose Sekunden. »Ich weiß es nicht«, murmelte er dann. »Man sagt, ein Mord wäre geschehen, aber ... jeder ... jeder erzählt etwas anderes, und...«
»Ein Mord? Hier auf dem Hof?« Sie war nicht besonders überrascht. Eher erleichtert. Sie hatte mit etwas Schlimmerem gerechnet.