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»Was wollen Sie von mir?« fragte sie.

»Sie warnen.« Belderson faltete die Hände auf der Tischplatte und starrte sekundenlang nachdenklich an ihr vorbei gegen die Wand. »Sehen Sie, Frau König, ich bin der Meinung, daß wir uns aussprechen sollten. Sie und ich. Sie sind jetzt seit einem halben Jahr hier, nicht?«

»Das wissen Sie ebenso gut wie ich.«

»Ein halbes Jahr«, fuhr er fort, »ist keine lange Zeit. Aber es ist auch lang genug, um sich einzuleben. Oder es zumindest zu versuchen, finden Sie nicht?«

Er auch? Verdammt, hatte sie mit Ohlsberg nicht genug Feinde? Er war der einzige in diesem elenden Kaff, dem sie noch ein letztes bißchen Menschlichkeit zugebilligt hatte! »Ich habe es versucht, und...«

»Nein, Frau König, das haben Sie nicht«, widersprach er sanft. »Sie haben versucht, den Leuten hier Ihre Weise zu leben und zu denken aufzuzwingen. Vom ersten Tag an.« Er sagte deutlich: den Leuten hier, nicht uns. Der Unterschied erschien ihm wichtig. »Aber das stimmt doch gar nicht! Ich...«

»Ich weiß, daß Sie glauben, Sie hätten sich Mühe gegeben«, fuhr Belderson -, oder wer immer es war, mit dem sie sprach - ungerührt fort. »Aber das stimmt nicht. Sehen Sie, niemand hier verlangt von Ihnen, daß Sie so leben, wie wir es für richtig halten. Ihre Art zu denken und zu handeln gefällt der Mehrzahl der Menschen hier in der Stadt nicht besonders. Aber es ist Ihr Leben. Leben Sie es so, wie Sie glauben, daß es richtig ist. Und lassen Sie ihnen ihr Leben. Sie sind dort draußen auf Ihrem Hof weit genug weg von Schwarzenmoor, daß Sie sich nicht gegenseitig in die Quere kommen.« Liz war für einen Moment sprachlos vor Erstaunen.

»Sie... Sie wollen mich auf den Arm nehmen, wie?« sagte sie dann. Belderson schüttelte den Kopf. »Ich wollte, es wäre so. Ich weiß, daß Sie glauben, ich wäre Ihr Feind, aber das stimmt nicht. Im Gegenteil - ich bin Ihr Freund.«

Liz lachte hell auf. »Mein Freund?« wiederholte sie spöttisch. »Wenn Sie sich als mein Freund bezeichnen, dann möchte ich keine Feinde haben.«

»Aber Sie haben sie«, sagte er ruhig. »Vielleicht noch nicht, aber wenn Sie so weitermachen, werden Sie Feinde haben. Die Menschen hier sind sehr geduldig, aber Sie vergessen nie. Sie haben nach Ohlsberg gefragt. Er hat gestern seinen ganzen Einfluß auf bieten müssen, um Sie zu schützen. Wäre es nach den Starbergs gegangen. ..«

»Das ist es also«, fiel ihm Liz ins Wort. »Ich habe die ganze Zeit darauf gewartet, daß Sie das Thema ansprechen.«

»Natürlich ist es das«, gab Belderson zurück. »Ich verstehe Sie nicht, Frau König. Das Mädchen hat fünfzehn Jahre beiden Starbergs gelebt, und Sie glauben, Sie können daherkommen und es ihnen wegnehmen. Andrea gehört ihnen, begreifen Sie das nicht?«

Liz antwortete erst nach sekundenlangem Schweigen. »Andy ist fast ein erwachsener Mensch«, sagte sie betont. »Sie gehört überhaupt niemandem. Allenfalls ihrem Vater. Und ich kann mir keinen besseren Ort für sie vorstellen. Sie ist da, wo sie hingehört. Bei ihrer Familie.« Warum verteidigte sie das Mädchen noch? Sie hatte längst begriffen, daß es ein Fehler gewesen war, Andy zu holen. Sie hätte einen drei Lichtjahre großen Bogen um sie schlagen sollen.

Belderson seufzte. »Ich zweifle nicht daran, daß es das Mädchen bei Ihnen gut hat«, sagte er ruhig. »Ich gebe sogar zu, daß es ihm draußen auf dem Hof vielleicht besser geht als hier. Aber wie lange?«

»Wie meinen Sie das?«

Plötzlich hatte sie den Eindruck, daß es ihm schwer fiel weiterzusprechen. »Ich will Ihnen nichts vormachen«, sagte er. »Sie wissen, daß vor Ihnen bereits eine andere Familie auf dem Hof gelebt hat. Und Sie wissen auch, daß sie sehr überstürzt weggezogen sind.«

Liz nickte. Endlich begann er, die Katze aus dem Sacke zulassen.

»Diese Leute«, sagte Beldersen, »begingen den gleichen Fehler wie Sie. Sie brachten ihr Leben mit hierher und versuchten es den Leuten hier aufzuzwingen. Es sind keine keulenschwingenden Barbaren, Frau König. Ihre Art zu leben mag anders sein als die Ihre aber es ist ihre Art, begreifen Sie? Machen Sie sich diese Menschen nicht zu Feinden. Es wäre ein Kampf, den Sie nicht gewinnen können. Ohlsberg und ich haben versucht, Ihnen zu helfen, auch wenn Sie es nicht glauben, aber auch unser Einfluß ist begrenzt. Und es gibt Dinge, gegen die auch wir Sie nicht zu schützen vermögen.«

Was war das? dachte Liz. Eine neue Drohung?

»Ich glaube, ich habe in den letzten Tagen einen kleinen Vorgeschmack von diesen Dingen bekommen«, sagte sie vorsichtig. »Aber ich hatte nicht den Eindruck, als ob Sie... als ob irgendwer hier auf meiner Seite stünde.«

Beldersen war nicht im mindesten überrascht. Er gab sich nicht einmal Mühe, Überraschung zu heucheln. »Ich verlange nicht, daß Sie mir glauben«, sagte er. »Aber ich versichere Ihnen, daß wir alle auf Ihrer Seite stehen, vielleicht mehr, als gut ist. Dieses Land ist nicht Ihr Hamburg. Es gibt hier Dinge, die Sie nie verstehen würden.« Liz nickte grimmig. »Eine Banshee zum Beispiel.«

Beldersen antwortete nicht.

»Wie heißt diese Banshee mit Nachnamen?« fuhr Liz fort, als sie begriff, daß sie keine Antwort erhalten würde. »Ohlsberg? Oder Starberg? Oder wie?«

Er seufzte. »Ich habe es versucht, Frau König«, sagte er. »Gott ist mein Zeuge, daß ich versucht habe, Sie zu warnen.«

Liz verzog abfällig die Lippen. »Oh, vielen Dank. Ich werde es mir aufschreiben.« Beldersen starrte sie lange und nachdenklich an, ehe erden Kopf schüttelte. Er lächelte müde, auf die Art, auf die man einem Kind zulächeln mochte, das einfach nicht verstehen konnte, was man ihm zu erklären versuchte.

»Ich weiß nicht, warum ich es tue, obwohl ich genau weiß, wie sinnlos es ist«, sagte er plötzlich. »Aber wenn Sie wirklich Hilfe brauchen, dann kommen Sie zu mir. Wenn es nicht zu spät ist.«

37.

Es wurde dunkel, ehe sie zurück auf den Hof kam, und Stefan war nicht zu Hause. Die Eingangstür stand offen, und seine Jacke hing nicht mehr am Haken. Im Haus brannte kein Licht. Sie ging hinauf in sein Arbeitszimmer, um nachzusehen, ob er eventuell eine Nachricht für sie hinterlassen hatte, aber auf dem überdimensionalen Schreibtisch fand sich nichts außer der gewohnten Unordnung und einem halben Dutzend Bücher, in denen er, den zwischen die Seiten gelegten Papierfetzen nach zu schließen, allem Anschein nach gleichzeitig zu lesen schien.

Einer der Bände erregte ihre besondere Aufmerksamkeit:der Atlas, in dem sie vergangene Nacht gelesen hatte. Liz verspürte eine schwache Regung ihres schlechten Gewissens, als sie die großen, bräunlich eingetrockneten Weinflecken auf den ausgebreiteten Seiten sah. Stefan war mit Recht zornig gewesen - das Buch hatte ein kleines Vermögen gekostet, und die Beschädigung steigerte seinen Wert nicht unbedingt. Außerdem sahen sie häßlich aus. Stefan hatte den Atlas auf der Fensterbank zum Trocknen ausgebreitet, und im schwachen Licht der kleinen Schreibtischlampe erinnerten die Flecken nun wirklich an eingetrocknetes Blut; sie hatten dem Buch eine Wunde geschlagen, die häßlich vernarbte.

Behutsam nahm sie das Buch zur Hand, blätterte um und stellte zu ihrer Erleichterung fest, daß der Wein das Papier nicht durchdrungen hatte; die Seiten klebten nicht aneinander. Glück im Unglück - oder Stefans schnelle Reaktion;der Schaden war auf die eine Doppelseite beschränkt, die die Ladung tatsächlich abbekommen hatte. Aber irgend etwas an den Flecken irritierte sie. Wie schon so oft in den vergangenen Tagen wußte sie nicht genau zusagen, was es eigentlich war, aber das Gefühl war sehr deutlich. Etwas an diesen Flecken... irritierte sie. Etwas mit ihrer Form, die ... kein Zufall war.

Ganz plötzlich begriff sie. Es war die ganze Zeit vor ihren Augen gewesen: der Fleck hatte eine ganz bestimmte Form, die so wenig zufällig entstanden war wie irgend etwas anderes, was sich in den letzten Tagen hier abgespielt hatte. Er zeichnete die Küste nach. Das bräunlich eingetrocknete Rot hatte das Blaßblau des gemalten Meeres ausgelöscht, aber es war über die Küstenlinie hinaus gekrochen, eine Daumennagelbreite landeinwärts, so willkürlich und unregelmäßig, wie Küstenlinien nun einmal verlaufen, ehe sie mit Deichen oder anderen Bauwerken korrigiert werden. Der Atlas war alt, aber er hatte ihr nichts genutzt, weil er nicht alt genug war. Der Weinfleck hatte sich sechshundert Jahre weit in die Küste hinein gefressen. Was sie jetzt in Händen hielt, war, wie es damals hier ausgesehen hatte. Damals, als Rumhold unterging.